Premiere beim Kampnagel-Sommerfestival

Überraschung erst ganz zum Schluss

Besucher stehen am 24.05.2012 vor dem Eingang einer großen Foyer-Halle des Theaters Kampnagel in Hamburg.
Das Internationale Kampnagel-Sommerfestival erlebte seine zweite Premiere. © picture-alliance / dpa / Georg Wendt
Von Alexander Kohlmann · 06.08.2015
"Als größte Eventbude des Sommers" kündigt Kampnagel sein Sommerfest an. Die zweite große Premiere des Abends versprach denn auch echten "Budenzauber" - enttäuschte aber eher. Bis auf den Schluss - der war überraschend.
In der Kampnagel-Vorhalle lodert bereits vor der Uraufführung ein brennender Flügel. Gordon hatte ihn für seine Installation "The End of Civilisation" bereits 2012 angezündet. Und zwar genau auf der Grenze zwischen dem einstigen Römischen Reich und dem heutigen Schottland. Auf riesigen Leinwänden sehen wir, wie dieses Monument der Hochkultur in einem radikalen Vernichtungsakt den Flammen geopfert wird - und fragen uns, wie werden erst die Lyrics der Popbarden in seiner neuesten Arbeit "Bound to hurt" diesen radikalen Künstler anfachen.
"Als größte Eventbude des Sommers" bezeichnet sich das diesjährige Internationale Kampnagel-Sommerfestival selber. Und nach einem überraschend gepflegten Auftakt mit dem Choreografie-Klassiker "Available Light" versprach die zweite große Premiere echten Budenzauber. Was für eine Aufstellung: Der anarchische, schottische Allround-Künstler Douglas Gordon trifft auf die leidenschaftlichsten Vertreter der Popkultur. Klangvolle Namen waren angekündigt, alles Künstler, deren Songs überquellen vor düsterer Leidenschaft: Throbbing Gristle "Almost a Kiss", Madonna "Oh Father", Jacques Brel "Next!", Eminem "Crazy in Love" - schon beim Lesen der Texte wird einem schwindelig. Endgültig ein wenig Furcht macht sich breit, als wir beim Eingang in die Halle Ohr-Stöpsel überreicht bekommen. Douglas Gordon, war das nicht der Wahnsinnige mit der Axt?
Die Erwartung verpufft
Die maximale Erwartungshaltung verpufft. Übrig bleibt ein in der Kunstgeschichte bereits etwas abgenutztes Setting. Eine einsame Frau liegt unter einem riesigen Bettlaken in der Mitte der Bühne, leere Flaschen stehen drum herum, Kerzen flackern. Ruth Rosenfeld, die bereits unter Frank Castorf und Herbert Fritsch gezeigt hat, zu was für Eskapaden sie fähig ist, verharrt den gesamten, knapp einstündigen Abend in der Pose der leidenden Frau in der Nacht.
Mal suhlt sie sich unter dem Lacken und leuchtet mit der Taschenlampe durch die Bettwäsche in die Finsternis. Oder betet den Mond an, der als als rundes Verfolgerlicht an der Rückwand der Halle erscheint. Über ihrem Lager funkelt eine Art bizarrer Weihnachtsbaum, von der Decke herunter hängt das verschlungene Knäuel mit vielen bunten Lampen.
Die Popsongs erkennt nur, wer wirklich gut mit den englischen Texten und Melodien vertraut ist. Trotzdem, der Klangteppich, den der britische Star-Komponist Philip Venables gespannt hat, ist der faszinierendere Teil des Abends. Die Mischung von klassischen Klängen des kleinen Orchesters am Bühnenrand und die Aus- und Höhenflüge in die Pop-Geschichte faszinieren - und finden gemeinsam mit Ruth Rosenfelds klarer Stimme immer wieder zu berührenden Monumenten der Einsamkeit. Augenblicke sind das, die aber in der Dauer-Beschallung wie alle extremem audiovisuellen Reize an Wirkung verlieren.
Eine Schauspielerin wie in einem Korsett
Das liegt sicherlich auch daran, dass die Schauspielerin wie in ein Korsett gezwängt erscheint, sie kann den extremen Emotionen körperlich keinen Ausruck verleihen, darf nicht loslassen und sich dem Wahnsinn hingeben, der diesem Abend durchaus inne ist. Sie muss mit schmerzverzerrten Gesicht nach innen spielen, kann die ungeheure Spannung, die der Körper ausstrahlt, fast nie aufbrechen lassen.
Anders ein einsamer Trommler im Orchester. Der Mann trommelt nicht, sondern schlägt immer wieder minutenlang brachial mit der Faust auf die Trommel ein, als wollte er sie final in ihre Einzelteile zerlegen. Die körperliche Anstrengung und die enorme Aggression erzählen mehr über die existentielle Not, als das kunstvolle Geschehen vorne an der Bühne. Man wünscht sich mehr davon.
Ganz zum Schluss gelingt es dann Douglas Gordon doch noch, zu überraschen. Eine zweite kleine Hand kommt plötzlich unter dem Lacken zum Vorschein. Die einsame Frau war die ganze Zeit nicht alleine, sondern aus dem zerknitterten Lager schält sich ein etwa dreizehn Jahre altes Mädchen. Wenn diese beiden sich begegnen, ansehen, berühren und nonverbal miteinander kommunizieren, tun sich endlich assoziative Welten auf. Ist das eine Art jüngeres Ich, das junge unschuldige Mädchen, das dieses Nachtgespenst einst war?
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