"Prekarier in Uniform"

Von Michael Wolffsohn · 13.01.2011
"Bürger in Uniform?" Das war einmal. Lang ist's her. Als die Allgemeine Wehrpflicht wirklich noch allgemein war, also praktisch alle jungen Männer eines Jahrgangs umfasste und jeder männliche Bürger irgendwann einmal Uniform trug. Nun wurde auch bei uns die Allgemeine Wehrpflicht faktisch abgeschafft. Lassen wir die Wortklauberei und sagen es klipp und klar: Die Wehrpflicht wurde abgeschafft.
Das bedeutet: Was bisher als "Bürger in Uniform" galt, also die breite Mittelschicht der deutschen Gesellschaft, wird die Uniform auf absehbare Zeit nicht mehr anziehen, wohl aber die Unterschicht. Also nicht "Bürger in Uniform", sondern "Prekarier in Uniform". Gewiss, das ist überspitzt, aber im Kern richtig. Wohlgemerkt: "Unterschicht" oder "Prekariat" - das ist keine Bewertung, sondern eine Beschreibung des Sachverhalts. Ober- und Mittelschichten sind nicht besser, aber es geht den Oberschichten besser als den Unterschichten.
Nie und nirgends gingen in der Menschheitsgeschichte Oberschichten freiwillig zum Militär, denn dieser sichere Arbeitsplatz war oft todsicher. Wo und wenn Oberschichten zum Militär gingen, bekamen sie als ausgleichenden Köder wirtschaftliche, politische oder gesellschaftliche Spitzenpositionen, verbunden mit hohem und höchstem Ansehen. All das hat die Bundeswehr nicht zu bieten. Deshalb galt: "Drücke sich, wer kann."

Fortan muss sich keiner mehr drücken, doch vor allem Unterschichten drückt und bedrückt die Wirklichkeit des Arbeitsmarktes. Trotz Aufschwung sind die Arbeitsmarktperspektiven im deutschen Osten schlechter als im deutschen Westen, und man nimmt, was man kriegt.

Das bedeutet: In der Bundeswehr findet man überproportional viele Ostdeutsche, und zwar ostdeutsche Unterschichten. Rund ein Fünftel der Bundesbürger lebt im deutschen Osten, aber etwas mehr als ein Drittel des Bundeswehrpersonals stammt aus den Neuen Ländern. Das Wirtschafts- und Sozialgefälle zwischen dem deutschen Westen und Osten spiegelt sich in der Bundeswehr wider.

Wie bisher seit der Wiedervereinigung wird die neue Bundeswehr eine ostdeutsche Unterschichtenarmee sein. "Weil du arm bist, musst du früher sterben." In der Gesundheitspolitik wollten wir genau das vermeiden. Haben wir es nun über die Hintertür der Sicherheitspolitik erreicht? Wissen wir, was wir tun? Wenn nicht, wird es Zeit. Eigentlich ist es zu spät. Ist es alternativlos? Nein, wenn der deutsche Osten mit dem Westen gleichzieht. Doch wen zieht es dann noch in die Bundeswehr? Diejenigen, die auch dort höhere Posten, Offiziersgrade, erreichen.

Und woher bekommen dann die Offiziere ihre einfachen Soldaten? Auch darauf gibt die Geschichte Antworten: Man kauft Soldaten für Sold aus dem Ausland. Wie in Wirtschaft und Gesellschaft, so in der Bundeswehr: Arme, "importierte" Menschen erledigen niedere, wenig angesehene und schlecht bezahlte Arbeiten. Ist das menschlich? Es ist eher neu-kolonialistisch. Wie den wohlhabenden italienischen Stadtstaaten im 13. und 14. Jahrhundert könnten Deutschland eines Tages auch Offiziere fehlen. Wird Deutschland jenes Italien kopieren, welches ausländische Heerführer, ebenso wie soldatisches Fußvolk, doch natürlich besser bezahlt, einkaufte?

Wir stehen erst am Anfang einer altneuen Entwicklung.


Michael Wolffsohn, Historiker, wurde 1947 in Tel Aviv als Sohn deutsch-jüdischer Emigranten geboren. Er kam als Siebenjähriger mit seiner Familie nach Deutschland. Nach dem Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Volkswirtschaft in Berlin, Tel Aviv und New York arbeitete er bis zu seiner Habilitation an der Universität in Saarbrücken. 1981 wurde er Professor für Neuere Geschichte an der Bundeswehrhochschule in München. Zu seinen Veröffentlichungen zählen "Keine Angst vor Deutschland!", "Die Deutschland-Akte - Tatsachen und Legenden in Ost und West", "Meine Juden - Eure Juden" und "Juden und Christen - ungleiche Geschwister".
Der Historiker Michael Wolffsohn
Der Historiker Michael Wolffsohn© AP