Preisvergabe in Venedig

Warum ein Großteil der Löwen unverdient ist

Der amerikanische Regisseur Tom Ford erhielt einen Silbernen Löwen und den Großen Preis der Jury für seinen Film "Nocturnal Animals" bei den 73. Filmfestspielen von Venedig.
Der amerikanische Regisseur Tom Ford erhielt einen Silbernen Löwen und den Großen Preis der Jury für seinen Film "Nocturnal Animals" bei den 73. Filmfestspielen von Venedig. © dpa / picture alliance / ANSA / M. Angeles Salvador
Von Peter Claus · 11.09.2016
Unsinnige Ehrungen, verhunzte Thriller und eine "beste Schauspielerin", die weder singen noch tanzen kann: Was die Jury des Filmfestivals in Venedig preiswürdig findet, hat unseren Kritiker Peter Claus keineswegs überzeugt.
Hat die neunköpfige Jury der 73. Mostra Internazionale d’Arte Cinematografica klug entschieden? Nun, sie hat sich Mühe gegeben. Ihre Entscheidungen spiegeln, was den Wettbewerb des Filmfestivals Venedig prägt: das Miteinander von Kunst und Kommerz.
Der Goldene Löwe, der Hauptpreis der Filmfestspiele von Venedig, an den philippinischen Regisseur Lav Diaz für sein vierstündiges Epos "The Woman who Left" war vielfach erwartet worden. Gedreht in Schwarz-Weiß, in langen starren Einstellungen, erzählt der Film, dabei gesellschaftliche Hintergründe spiegelnd, die Ende der 1990er-Jahre spielende Geschichte einer verzweifelten Frau. 30 Jahre hat sie unschuldig im Gefängnis gesessen, jetzt sinnt sie auf Rache. Spannung erwächst aus der Frage, ob sie zur Waffe greift oder nicht.
Lav Diaz hält bei der Preisverleihung der 73. Internationalen Filmfestspiele in Venedig am 10.9.2016 den Goldenen Löwen, den er für seinen Film "The Woman Who Left" ("Ang Babaeng Humayo") erhalten hat.
Lav Diaz mit dem Goldenen Löwen, den er für seinen Film "The Woman Who Left" ("Ang Babaeng Humayo") erhalten hat.© picture alliance / dpa / Ettore Ferrari
Großes, kunstvolles Kino. Lav Diaz nahm den Goldenen Löwen denn auch mit großer Geste entgegen, dankte für sein Land, für den Kampf der Philippinen für Humanität:
"This is for my country, for the philippino people, for our struggle, for the struggle of humanity. Thank you so much.”
Streiten darf man über den Großen Preis der Jury an den US-amerikanischen Regisseur Tom Ford für "Nocturnal Animals”. Zweifellos: Der Thriller ist makellos inszeniert. Doch die ausufernde Brutalität ist nur schwer erträglich. Fragwürdig ist zudem die Geisteshaltung der Erzählung: Da wird eine Frau von ihrem Ex-Mann bestraft, weil sie sich ihm entzogen und das gemeinsame Kind abgetrieben hat. Auch Ford kleckerte nicht bei der Entgegennahme der Auszeichnung, bedankte sich gleich bei ganz Italien, auf Italienisch. Für ihn sei Italien jetzt wirklich ein zweites Zuhause: "Italia per me è veramente una seconda casa!"

Unappetitlich und oberflächlich

Als kritischer Kinoliebhaber darf, ja, muss man ob einiger Juryentscheidungen den Kopf schütteln. Es stellt sich der Eindruck ein, die ganze Jury hätte bis zum Festivalende so geguckt, wie Jurorin Nina Hoss zu Festivalbeginn einen Aspekt ihrer Haltung kurz beschrieben hat: "Während ich drin sitze, versuche ich, relativ unanalytisch zu gucken."
Ein bisschen Analyse wäre ganz klug gewesen. Unsinnig sind der Spezialpreis der Jury für die unappetitliche Kannibalen-Lovestory "The Bad Batch", die Auszeichnung für das beste Drehbuch an Noah Oppenheimer für das oberflächliche Jaqueline-Kennedy-Dramulett "Jackie", die Ehrung für die nicht singen und nicht tanzen könnende Emma Stone als beste Schauspielerin im Möchtegern-Musical "La La Land".
Größter Unsinn: die Teilung des Regie-Preises. Denn der Spanier Amat Escalante hat seinen Erotik-Thriller "Das Ungezähmte" durch gravierende Inszenierungsfehler schlichtweg verhunzt. Und der Russe Andrej Kontschalowski hat es nicht verdient, dass sein – durchaus streitbares – Anti-Nazi-Drama "Paradise" nur halbherzig geehrt wurde.

Der schönste Moment der Preisverleihung

Immerhin: Der Argentinier Oscar Martínez wurde verdient als bester Schauspieler für seine Darstellung der Hauptfigur in der Satire "Ein ehrenwerter Bürger" ausgezeichnet. Und, große Freude: Den Marcello-Mastroianni-Preis als beste Nachwuchsdarstellerin hat völlig zu Recht Paula Beer bekommen – für ihre Interpretation einer jungen Frau, deren Verlobter im Ersten Weltkrieg in Frankreich gefallen ist, und die sich dann ausgerechnet in einen Franzosen verliebt. Ein kluger Film von Regisseur François Ozon über das Miteinander von Menschen unterschiedlichster Kulturen.
Die strahlende 21-jährige Paula Beer sorgte denn auch für den schönsten Moment der Preisverleihung, als sie mit Tränen der Freude dankte. Was immer auch bleiben mag von diesem Festival, eins bestimmt: Für Paula Beer aus Mainz dürfte es den Start einer großen, sicherlich internationalen Karriere bedeuten.
Die deutsche Schauspielerin Paula Beer freut sich über den Preis für die beste Nachwuchsdarstellerin beim 73. Filmfestival von Venedig.
Die deutsche Schauspielerin Paula Beer freut sich über den Preis für die beste Nachwuchsdarstellerin beim 73. Filmfestival von Venedig.© dpa / picture alliance / ANSA / Ettore Ferrari
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