Praise the Lord!

Von Sabina Matthay · 05.11.2012
"Let’s praise the Lord!" – wenn Barack Obama will, zelebriert er politische Auftritte mit einem religiösen Pathos, das viele seiner europäischen Bewunderer befremden dürfte. Doch in den USA ist der Glaube eines Politikers nicht dessen Privatsache.
Mehr als zwei Drittel der Amerikaner legen Wert darauf, dass ihr Präsident starke christliche Überzeugungen hat, sie gar öffentlich formuliert. Von den 535 Abgeordneten des Repräsentantenhauses bekennt sich nur ein einziger offen zum Atheismus.

Doch die religiöse Landschaft Amerikas wandelt sich, abzulesen am Glaubenshintergrund der beiden wichtigsten Präsidentschaftskandidaten 2012.

Der Amtsinhaber wurde erzogen von einer Mutter, die er als Agnostikerin mit Interesse an vielen unterschiedlichen Religionen und Neigung zur Spiritualität beschreibt und konvertierte erst als Erwachsener zum christlichen Glauben. Sein Rivale gehört als Mormone einer vergleichsweise jungen Religionsgemeinschaft an, die zwar ur-amerikanisch, aber keineswegs "mainstream" ist. Die beiden Kandidaten für die Vizepräsidentschaft sind Katholiken.

Zum ersten Mal in der Geschichte der USA ist damit keiner der Anwärter auf Präsidentenamt oder Stellvertretung als Protestant aufgewachsen.

Dazu passen die Ergebnisse einer neuen Studie des Pew Research Centers: Amerikas Protestanten, seit Errichtung der englischen Kolonien die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, stellen jetzt weniger als die Hälfte. Gleichzeitig legt die Zahl der Konfessionslosen unaufhörlich zu. Jeder fünfte Amerikaner sagt heute, er gehöre keiner Glaubensgemeinschaft an. Das sind so viele wie nie zuvor.

Deutet sich damit ein Bedeutungsverlust der Religion für die amerikanische Politik an, ist das der Grund, warum weder Präsident Barack Obama noch sein republikanischer Herausforderer Mitt Romney im Rennen um das Amt offen die religiöse Karte spielen, anders als etwa George W Bush und John Kerry 2004?

Der Grund ist wohl eher politisches Kalkül.

Im Wahlkampf 2008 trug Obama seinen Glauben oft und gern zur Schau, seine Kampagne versuchte gar, evangelikalen Protestanten – rund ein Viertel der amerikanischen Wähler - die Demokratische Partei schmackhaft zu machen. Mit den Fundamentalisten hat Obama es sich jedoch verscherzt, als er sich für die Homo-Ehe aussprach und weil seine Gesundheitsreform auch kirchliche Einrichtungen zur Finanzierung von Verhütungsmitteln für ihre Angestellten verpflichtet.

Zudem sind knapp 20 Prozent der Amerikaner unerschütterlich davon überzeugt, dass Barack Obama in Wahrheit Muslim ist – und damit für sie nicht wählbar. Die wachsende Zahl der Religionslosen sympathisiert dagegen überwiegend mit den Demokraten – bei ihnen kommt religiös verbrämte Politik-Rethorik nicht an.

Es gibt also viele wahltaktische Gründe, warum Barack Obama die Glaubenskarte in diesem Wahlkampf nicht ausspielt.

Ebenso Mitt Romney. Der Furor um sein Mormonentum, der noch im Vorwahlkampf unter fundamentalistischen Protestanten, den Stammwählern der republikanischen Partei, wogte, ist seit seiner Kür zum Spitzenkandidaten zwar abgeflaut. Schließlich wollen die Konservativen vor allem Barack Obama stürzen.

So sind Religion und Moral in den USA Geiseln politischer Strategien.

Dass Gott in der amerikanischen Politik außen vor bleibt, ist kaum vorstellbar, die erneute "Religionisierung" künftiger Wahlkämpfe dagegen schon. Nämlich dann, wenn es opportun ist.


Sabina Matthay, geboren 1961, studierte Angewandte Sprachwissenschaft in Saarbrücken - mit Abstechern nach Exeter in England und Urbino in Italien. 1990 Einstieg in den Hörfunk beim Deutschen Dienst des BBC World Service in London. Auch nach der Rückkehr nach Deutschland und der Arbeit für verschiedene ARD-Sender in unterschiedlichen Funktionen ist sie dem Radio treu geblieben. Arbeitsschwerpunkte: Politik, Geschichte, Gesellschaft Großbritanniens und seiner ehemaligen Kolonien und Mandatsgebiete. Nur Afrika ist noch ein weißer Fleck auf dieser persönlichen Landkarte.


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