Prägung durch Einwanderung

Auch Deutschland wird sich ändern!

Flüchtlinge an einem Registrierungszelt nach der Ankunft
Flüchtlinge an einem Registrierungszelt nach der Ankunft © dpa / Bernd Wüstneck
Von Klaus Hödl · 11.12.2015
Der Antisemitismus könnte zunehmen, wenn sich arabische Flüchtlinge in die deutsche Gesellschaft integrierten, gibt der Grazer Historiker Klaus Hödl zu Bedenken. Denn nicht nur Deutschland präge die Migranten, sondern ebenso prägten Einwanderer ihre neue Heimat.
Optimisten wie Pessimisten behalten wahrscheinlich Recht. Deutschland und Österreich werden sich ändern. Das heißt aber nicht, dass sie schon heute realistisch vorhersagen können, was mit einer Gesellschaft geschieht, die Hunderttausende von Flüchtlingen aus arabischen Ländern aufnimmt.
Die einen erwarten, dass die Zugewanderten helfen, offene Stellen am Arbeitsmarkt zu besetzen, und das Leben im Gastland kulturell heterogener machen. Die anderen bezweifeln, dass Asylbewerber in so großer Zahl integrierbar sind, und befürchten, dass sie an den gesellschaftlichen Rand gedrängt werden, sich schlimmstenfalls radikalisieren.
Viel ist von Akkulturation die Rede. Davon also, dass Migranten sich anpassen, beispielsweise vormoderne Vorstellungen über Frauen und Homosexuelle aufgeben. Erstaunlicherweise aber bleibt eine andere Sichtweise selbst in den wissenschaftlichen Diskussionsbeiträgen weitgehend ausgespart, nämlich dass Anpassung nicht einseitig verläuft, sondern auch die Alteingesessenen beeinflusst.
Zuwanderung könnte Antisemitismus verstärken
Wie wird sich die Zuwanderung von Arabern beispielsweise auf den Antisemitismus auswirken? Feindseligkeit gegen Juden ist im heutigen Europa vor allem unter Muslimen verbreitet. Deswegen warnten schon im Sommer diverse jüdische Gruppen im Internet davor, dass sich das gesellschaftliche Klima für sie weiter verschlechtern könnte.
Zwar darf Syrern, Irakern und Afghanen nicht pauschal eine Neigung zu Antisemitismus zugeschrieben werden. Es kann durchaus sein, dass die Flüchtlinge zu einer gelebten Multikulturalität beitragen. Beispiele davon gibt es bereits, und grundsätzlich war ihnen das Zusammenleben mit Menschen aus anderen Kulturen auch in ihren Herkunftsländern nicht fremd. Selbst das Auskommen mit Juden hatte eine jahrhundertelange Tradition, die erst seit einigen Jahrzehnten unterbrochen ist.
Gleichzeitig wäre es aber illusorisch zu glauben, dass die Asylsuchenden kulturelle und politische Prägungen rasch aufgeben und die deutsche Staatsräson übernehmen werden, nämlich Lehren aus dem Holocaust zu ziehen.
Es geht aber nicht nur um die Befindlichkeit der jüdischen Gemeinschaft. Man muss sich auch fragen, was es für das Selbstverständnis der deutschen Gesellschaft bedeutet, wenn Antisemitismus zumindest teilweise enttabuisiert wird – auch durch eine arabisch-muslimische Integration. Wird dann der Kampf gegen jegliche Form von Judenfeindschaft nicht mehr zum gesellschaftlichen Grundkonsens gehören?
Migranten verändern die Mehrheitsgesellschaft
Die Suche nach einer Antwort führt mittenhinein in die wissenschaftliche Forschung. So wird in den nächsten Jahren mit Sicherheit viel mehr über das Thema Migration gearbeitet und publiziert werden, als es bislang der Fall war. Und Sozialwissenschaftler gehen schon lange davon aus, dass sogenannte Minderheiten nicht einfach in der Mehrheitsgesellschaft aufgehen, sondern sie schalten sich aktiv in deren Entwicklung ein.
Deutschland dürfte also weniger deutsch und Österreich weniger österreichisch werden, als beide heute noch sind. Die Gesellschaft wird sich gemeinsam mit der enormen Zahl an Flüchtlingen wandeln. Unbestreitbar steht sie erst am Beginn gewaltiger Herausforderungen, die aber durchaus zu bewältigen sind, wenn auch das Ende offen bleibt.
Nur in einem werden Optimisten wie Pessimisten sicher Recht behalten: Es wäre eine Selbsttäuschung zu meinen, dass allein der Flüchtling sich ändern und ansonsten alles beim Alten bleiben werde.
Klaus Hödl ist Historiker am Centrum für Jüdische Studien an der Karl-Franzens-Universität Graz, dessen Gründungsdirektor er von 2001-2007 war, und Autor von sechs Monographien über osteuropäische Juden, Bilder des jüdischen Körpers und jüdische Geschichtsschreibung, zuletzt "Kultur und Gedächtnis", September 2012, Verlag Ferdinand Schöningh.




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