Postkarten aus Athen (4)

Der ideale Ort

Der Monastiráki Platz in Athen
Der Monastiráki Platz in Athen © picture alliance / dpa / Foto: Yannis Kolesidis
Von Andreas Schäfer · 22.01.2015
Für Schriftsteller ist der ideale Ort Athen. Das zumindest denkt der Autor Andreas Schäfer. Er schickt uns diese Woche Originaltöne aus der griechischen Hauptstadt. In seinen Postkarten versucht er uns die Stimmung und die Atmosphäre der Stadt näher zu bringen.
Athen ist Fluchtpunkt. Nicht nur im Moment für Menschen aus Asien oder Afrika, sondern schon das ganze 20. Jahrhundert hindurch vor allem für Griechen selbst. Vor einhundert Jahren kamen die Flüchtlinge von der kleinasiatischen Küste, nach Krieg und Bürgerkrieg strömten sie aus den armen Provinzen in die Hauptstadt, ein letztes Mal in den 80er-Jahren, als Andreas Papandreou Arbeit und Geld für alle versprach.
Ganz Piräus zum Beispiel, Athens berühmter Hafen, ist, trotz seines Alters, solch eine junge Stadt. Hier lebte man zwar, blieb aber dem Ort der Vorfahren über Generationen verbunden. Athen, das ist eben auch das wiederwillig ertragene kleinere Übel.
Liegt es daran, dass das gesellschaftliche Wir hier so schwach ausgebildet ist?
Der Schriftsteller Christos Ikonomou hat ein Buch mit Kurzgeschichten über Menschen aus Piräus geschrieben, das unter dem Titel "Warte nur, es geschieht schon was" auch auf Deutsch erschienen ist. Jetzt steht er mitten in Piräus und zeigt mit bitterer Genugtuung auf das Rathaus, ein Gebäude von geradezu grotesker Hässlichkeit:
"Dieses Gebäude ist eine Zumutung, es stößt Dich regelrecht zurück. Und das ist ein Grund für die Gleichgültigkeit des Bürgers dem Gemeinwesen gegenüber. Der Bürger denkt sich: Was soll ich hier eigentlich respektieren und achten? "
Sieben Bauunternehmer und drei Grundstücksbesitzer
Was war zuerst da? Es ist wie mit der Henne und dem Ei. Denn auch der Einzelne hat Anteil am abstoßenden Eindruck der Stadt. Antiparochi heißt das Schreckenswort, was so viel wie Gegenleistung bedeutet. Besitzer eines Grundstückes ohne viel Geld können sich von Bauunternehmern ein Mehrfamilienhaus auf ihren Grund setzen lassen. Von den, sagen wir, zehn entstehenden Wohnungen entfallen sieben an den Bauunternehmer und drei an den Grundstücksbesitzer. In einer wohnt er, die anderen vermietet er.
So entsteht Einkommen ohne Arbeit. Und so wurden fast alle der bescheidenen Einwanderhäuschen nach und nach durch gleichförmige Mietwohnschachteln ersetzt, denen die Gleichgültigkeit für alles andere als das eigene Interesse von der schäbigen Betonfassade springt. Gerade dieses Rohe, Ungeschminkte hat für Christos Ikonomou seinen Reiz:
"Athen ist eine Stadt mit sehr vielen Widersprüchen, und in der Krise sieht man diese Widersprüche umso klarer. Es gibt Eindrücke, die nicht zusammenpassen. Die Hässlichkeit am Tag, aber am Abend ist Athen bezaubernd, da hat sie ein mysteriöses Aroma, was damit zu tun hat, dass sie alt ist, dass sie sehr viele Erinnerungen mit sich führt. Du gehst um eine Ecke und siehst Unerwartetes."
Athen ist eine Landschaft, ein Ort, der sich ständig ändert. Kurz gesagt: Die ideale Stadt für Schriftsteller.

Kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen: "Originalton" heißt eine tägliche Rubrik unserer Sendung "Lesart" - kurze Texte, um die wir Schriftsteller bitten. In dieser Woche stammen sie von dem Berliner Schriftsteller Andreas Schäfer.

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