Postkarten aus Athen (1)

Griechische Begrüßungsrituale

Passanten auf einer Athener Straße
Straßenszene in Athen © Imago / Wassilis Aswestopoulos
Von Andreas Schäfer · 19.01.2015
Unser Originalton kommt in dieser Woche vor der Wahl aus Griechenland. Der Autor Andreas Schäfer schickt uns Postkarten aus Athen, in denen er die Stimmung und Atmosphäre in der griechischen Hauptstadt einfängt. Heute geht es um ein ungewöhnliches Begrüßungsritual.
Seit Ausbruch der Krise ist in Griechenland öfter vom neuen und alten Griechenland die Rede. Und dass es wahnsinnig schwierig sei, das alte ins neue Griechenland zu überführen. Selbstgefälligkeit, Mauschelei, Ignoranz, das steht wohl fürs Alte. Offenheit, Verbindlichkeit, Transparenz, so hätte man gern das Neue.
Auch wer in Athen einen Motorroller leihen möchte, geht als erstes ins Internet und findet dort eine tipptopp und supertransparent gestaltete Website eines Motorradverleihs mit tollen Landschaftsfotos und Tourbeschreibungen ins Hinterland der attischen Halbinsel. Der dazugehörige Laden liegt in Koukaki, zwischen der Akropolis und dem Nachbarhügel Filopappou, nur einen Steinwurf von den Freundlichkeitsbezirken des Tourismus entfernt und zugleich so abgelegen in einer ruhigen Wohnstraße, dass sich hier das Alte offenbar noch in Reinkultur erhalten kann.
Ein verrauchter Raum mit lieblos zusammengestelltem Mobiliar, bei dessen Betreten man sich augenblicklich in einen Bittsteller verwandelt. Im Hintergrund wischt eine Angestellte den Boden, im Vordergrund residiert die Besitzerin, umgeben von Bildschirmen, einem laufenden Fernseher und chaotisch übereinander liegenden Blöcken, Prospekten und Landkarten.
Mischung aus Verächtlichkeit und Intimität
Man kann nicht sagen, dass diese Frau unfreundlich wäre. Aber wie soll man ihre Form der Zugewandtheit sonst beschreiben? Vielleicht als lässige Gerade-Noch-So-Freundlichkeit? Das Nichtangucken beim Sprechen, das routiniert gelangweilte Ausfüllen des Vertrags, das Kurz-nebenbei-Telefonieren, das alles ist nicht wirklich unverschämt, nur eben fast. Und ein wundersames Dreiminutendrama, in dem Verächtlichkeit und Intimität eine ungewöhnliche Mischung eingehen. Jede Geste sagt, wir haben dich nicht nötig, und genau deshalb verhalte ich mich wie im eigenen Wohnzimmer: mit genervter Vertrautheit.
Doch vielleicht ist dieser Umgang nur eine raffinierte Form des Kundenservices, eine Initiation in das widersprüchliche Fluidum dieser Stadt aus Dauerempörung und Entspanntheit. Und versteckt sich in der zur Schau gestellten Nachlässigkeit nicht auch die verführerische Einladung, es selbst bei allem nicht so genau zu nehmen?
Es hat angefangen zu nieseln. Wir umrunden das reichlich ramponierte Transportmittel. Die Frau wischt mit einem Papiertuch den Sitz trocken und sagt, plötzlich fürsorglich: Fahr vorsichtig, die Straßen sind glatt!
Natürlich, sage ich. Und schlängele mich schon fünf Minuten später wie alle anderen Mopedfahrer an den Autos vorbei in die erste Reihe an der Ampel, um bei Grün loszurasen – wie die anderen Verrückten. Willkommen in Athen!

Kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen: "Originalton" heißt eine tägliche Rubrik unserer Sendung "Lesart" - kurze Texte, um die wir Schriftsteller bitten. In dieser Woche stammen sie von dem Berliner Schriftsteller Andreas Schäfer.

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