"Position zu beziehen, das war notwendig"

Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit Susanne Führer · 30.04.2009
Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt hat die Rolle der evangelischen Kirche während des gescheiterten Volksbegehrens "Pro Reli" verteidigt. "Es gab eine Initiative, die ist nicht von der Kirche gestartet worden", sagte die Grünen-Politikerin.
Susanne Führer: Kirchen sind keine Parteien, aber trotzdem Partei. Wie stark dürfen sie sich also in politischen Auseinandersetzungen engagieren – und welcher Mittel dürfen sie sich dabei bedienen? Dürfen sie Kampagnen führen, ganz so wie politische Parteien es tun, oder verlieren sie darüber ihre Glaubwürdigkeit? All diese Fragen hat der Streit um das Volksbegehren Pro Reli in Berlin aufgeworfen.

Das Volksbegehren selbst ist entschieden, in Berlin wird es auch weiterhin verpflichtenden Ethikunterricht für alle Schüler geben, und nur für diejenigen, die es wünschen, zusätzlich Religionsunterricht. Ob aber die Kirchen, allen voran die evangelische, gut beraten waren, für ein Wahlpflichtfach Religion so zu kämpfen, wie sie es getan hat, diese Diskussion wird nun geführt.

Wir beteiligen uns daran im Gespräch mit Katrin Göring-Eckardt, die für Bündnis90/Grüne im Bundestag sitzt, dessen Vizepräsidentin ist und sich zudem sehr in der evangelischen Kirche engagiert. Guten Morgen, Frau Göring-Eckardt

Katrin Göring-Eckardt: Guten Morgen, Frau Führer!

Führer: Wie hat Ihnen die Kampagne der Initiative Pro Reli gefallen?

Göring-Eckardt: Ich glaube, da geht's nicht so sehr um Geschmacksfragen, sondern es gab eine Initiative, die ist nicht von der Kirche gestartet worden, sondern das waren Ehrenamtliche, die sich da engagiert haben. Und natürlich muss evangelische Kirche sich dazu äußern, wenn sie auf diese Weise in der Öffentlichkeit steht, wenn ein Anliegen, in dem es um Religion geht, so in der Öffentlichkeit steht.

Das hat die evangelische Kirche getan. Man kann auch nicht sagen, sie haben mit der Kampagne nichts zu tun, aber nichtsdestotrotz war klar, in einer Stadt wie in Berlin, in einer sehr aufgeheizten Situation war es notwendig, Position zu beziehen. Das finde ich richtig, deswegen finde ich nicht jede Aktion in dieser Kampagne sinnvoll und gut, aber trotzdem ist es richtig, Position zu beziehen.

Führer: Das heißt, die Unterstützung der Kampagne fanden Sie richtig, die Kampagne selbst aber nicht?

Göring-Eckardt: Ich glaube, dass die Frage, wie diese Kampagne entstanden ist, die ist ja nicht nach dem Motto, wir machen jetzt mal schnell eine große Kampagne, entstanden, sondern in einer ganz langen Diskussion, wo sich viele Leute geäußert haben, wo viele Leute befragt worden sind, wo es sehr kontrovers zuging auch in der Stadt Berlin.

Da will ich mich nicht dazu äußern, wie die Kampagne selber war, aber Position zu beziehen, das war notwendig. Und ich glaube, auch die Frage, wie es jetzt in Zukunft aussieht, wie in Zukunft die Stadt Berlin damit umgeht, das ist was ganz Entscheidendes.

Und ich hoffe, dass die Aussage von Herrn Wowereit, der gesagt hat, na ja, das ist ja nur eine Randgruppe – das ist was anderes übrigens als eine Minderheit, weil die müsste man nämlich integrieren –, dass die nicht Grundlage einer weiteren Debatte wird, in der es Sieger und Verlierer gibt.

Führer: Bleiben wir trotzdem noch mal bei dem Engagement der Kirchen. Der Schriftsteller und Jurist Bernhard Schlink zum Beispiel hat beklagt, es gebe eine eigentümliche Freund-Feind-Zuspitzung des Konflikts seitens der Kirchen, und ich glaube, er meinte vor allem Bischof Huber. Und auch ein Pastor, nämlich Stefan Frielinghaus, hat gesagt, er findet es desaströs, dass sich die Kirche ununterscheidbar gemacht hat mit einer politischen demagogischen Kampagne. Das sind doch ernst zu nehmende kritische Stimmen, die sozusagen von Christen aus den Reihen der Kirche kommen?

Göring-Eckardt: Absolut ernst zu nehmen und finde, auch zu diskutieren, aber trotzdem bleibt die Frage: Wird Position bezogen, ja oder nein, und sage ich auch als Christin oder Christ meine Meinung und sage ich sie auch klar und deutlich? Ich finde es trotzdem einen ganz wichtigen Punkt, dass wir immer deutlich machen, in unserer Kirche gibt es auch unterschiedliche Positionen, und diese Positionen müssen ihren Platz haben, dürfen geäußert werden, dürfen auch verbreitet werden. Dafür sind wir Protestanten, dass wir nicht mit einer Meinung, die von oben autoritär irgendwohin gegeben wird, dann weitergeben.

Führer: Dem widerspricht aber, dass Pfarrer, die für den Ethikunterricht eingetreten sind, Ärger bekommen haben und zum Beispiel zum Dienstgespräch zum Bischof zitiert wurden.

Göring-Eckardt: Ich glaube, dass Gespräche auch in so einer Situation sinnvoll sind, und trotzdem finde ich es absolut richtig und akzeptabel, dass auch Pfarrer, dass auch Christinnen und Christen auch unserer Kirche gesagt haben, wir glauben, dass ein Ethikunterricht richtig ist. Wir haben in Ostdeutschland viele Pfarrerinnen und Pfarrer gehabt, die nach der friedlichen Revolution gesagt haben, wollen wir das wirklich. Andere sind dezidiert dafür auf die Straße gegangen, dass Religion nicht mehr aus der Schule verbannt werden kann, und trotzdem hat es welche gegeben, die gesagt haben, Ethikunterricht ist dann sinnvoll, wenn er tatsächlich nicht irgendwie eine Ideologie oder was auch immer vom Staat vorgegeben ist vermittelt, sondern wenn er verschiedene Religionen ins Gespräch bringt.

Führer: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Katrin Göring-Eckardt. Nach dem gescheiterten Volksentscheid Pro Reli gibt es Kritik an der Kampagne der Kirchen. Frau Göring-Eckardt, lassen Sie uns diesen Streit um die Sache jetzt nicht noch einmal führen, sondern es geht ja wirklich darum, wie hat sich die Kirche da engagiert. Und da scheint sie in einem Dilemma zu stecken.

Wenn sie sich nicht der Regeln der Mediengesellschaft bedient, dann wird sie bei solchen Volksentscheiden gar nicht wahrgenommen. Wenn sie das tut, wie in diesem Fall, man kann ja sagen, sie hat sich sehr professionell verhalten, dann beschädigt sie wiederum ihr Ansehen als Kirche. Es scheint, als wenn sie dann ihr eigenes Anliegen verrät. Da ist ja ein schmaler Grat zwischen Position beziehen und eine Kampagne führen.

Göring-Eckardt: Das ist immer ein schmaler Grat, wie öffentlich darf eigentlich Kirche agieren. Da muss man zunächst mal sagen, die wesentlichen Diskussionen haben nicht in der Öffentlichkeit stattgefunden, sondern in den Gemeinden, wo sich Leute auseinandergesetzt haben mit der Frage, wie soll es eigentlich weitergehen mit Religionsunterricht, wie sollte ein Ethikunterricht aussehen, der ein veränderter Ethikunterricht wäre etc.

Viele solche Debatten haben ja nicht auf Plakatwänden stattgefunden, sondern tatsächlich an öffentlichen Orten, natürlich in Gemeinden, da wo Menschen miteinander geredet haben. Und es hat eine große Zuspitzung gegeben. Man kann auch nicht sagen, dass die evangelische Kirche für die Zuspitzung verantwortlich gewesen wäre. Ich glaube, da muss man sehr deutlich sagen, dass so was nur funktioniert, wenn auch beide Seiten wirklich zuspitzen wollen.

Und ich finde nicht, dass es da um die Frage der Glaubwürdigkeit geht, sondern es geht um die Frage, ob man nach so einer Zeit, nach so einer Entscheidung aufeinander zugehen kann, ja oder nein. Und das würde ich jetzt von beiden Seiten erwarten, dass sie das tun, und fragen, wie geht es eigentlich weiter in unserer Stadt.

Führer: Na ja, vielleicht geht es schon um die Glaubwürdigkeit. Also es gibt ja Pfarrer, die in Predigten, also im Gottesdienst dazu aufgerufen haben, für Pro Reli zu stimmen. Da habe ich mich gefragt, wann wir wieder die Zeiten haben werden, dass der Pastor sagt, für welche Partei man als guter Christ zu stimmen hat.

Göring-Eckardt: Ich glaube, dass in fast jeder Sonntagspredigt die Situation, die auch die politische Situation, die Situation der Gesellschaft in der Welt eine Rolle spielt. Und das ist auch richtig, weil es hat mit dem Leben derjenigen zu tun, die diese Predigt hören. Und wir erwarten ja an vielen anderen Stellen, dass sich Kirche politisch äußert.

Wir wollen, dass Kirche etwas zu sagen hat zur sozialen Spaltung der Gesellschaft, wir wollen, dass Kirche etwas zu sagen hat zu Friedensfragen etc. Die Liste könnte man jetzt lang aufzählen. Und deswegen kann man nicht bei einer Predigt eine Werbekampagne machen, und ich hoffe, dass das auch nirgendwo passiert ist. Aber dass das Thema aufgegriffen wird, das halte ich für was absolut Richtiges.

Es kann aber nicht gehen nach dem Motto: Ich sage euch jetzt als Pfarrer oder als Pfarrerin, was zu tun ist. Aber ehrlich gesagt, dafür sind wir auch Protestantinnen und Protestanten, dass diejenigen, die dann da sitzen, nicht das ausführen, was von der Kanzel gepredigt wird. Da mache ich mir, ehrlich gesagt, wenig Sorge.

Führer: Ich habe nun von mehreren Bekannten gehört, deren Kinder auf kirchliche Schulen oder auch in kirchliche Kindergärten gehen, dass sie dort massiv unter Druck gesetzt worden sind zu unterschreiben, zu Demonstrationen zu kommen und zum Volksentscheid zu gehen und natürlich ihr Kreuz an der richtigen Stelle zu machen.

Göring-Eckardt: Ich bin nicht dabei gewesen, Sie wahrscheinlich auch nicht, wenn Sie sagen, Sie haben es von Bekannten gehört. Ich fände es falsch, wenn jemand unter Druck gesetzt wird. Ich finde Diskussionen richtig, ich finde, Diskussionen können auch nur dann stattfinden, wenn beide Seiten auch tatsächlich die Chance haben, sich zu äußern. Dass Leute unter Druck gesetzt werden, finde ich dezidiert falsch, und wenn das an katholischen Schulen oder anderswo passiert ist, dann hoffe ich, dass darüber auch diskutiert wird und dass die Leute das nicht nur weitererzählen, sondern es auch da zum Thema machen, wo es passiert ist.

Führer: Frau Göring-Eckardt, Sie kommen ja aus Thüringen, und bei diesem Volksentscheid ist ja noch mal klar diese Ost-West-Spaltung in Berlin geworden, also für ein Wahlpflichtfach Religion haben nur Westbezirke gestimmt, alle Ostbezirke dagegen. Und offensichtlich, Sie haben das vorhin mal angesprochen, ist diese ostdeutsche Tradition, dass nämlich Religionsunterricht an den Schulen eigentlich nichts zu suchen hat, gar nicht wirklich angesprochen worden von der evangelischen Kirche. Kann das sein?

Göring-Eckardt: Nein, auch darüber ist diskutiert worden, und es gibt ja auch in den ostdeutschen Kirchen außerhalb von Berlin da unterschiedliche Positionen. Also die einen, die sagen, wir haben eine Tradition von gemeindlichem Christenlehreunterricht – so heißt der und so hieß er auch zu DDR-Zeiten. Das ist gut, weil er in der Gemeinde stattfindet.

Und die anderen, die sagen, wir haben die Nase voll davon, dass die Religion aus der Schule verdammt wird und an den Rand gedrängt wird. Ich sage mal so, ich wurde als Teenager absolut schäl angeguckt und angesprochen in der Schule, nur weil ich eine Kette getragen habe, wo ein Kreuz dran war, und für mich war das als junge Christin damals, als Mitglied der Jungen Gemeinde, etwas, wo ich gesagt habe, das will ich nie wieder haben.

Ich will es nie wieder haben, dass nur, weil ich sage, ich glaube an etwas, dieses in der Schule nichts zu suchen hat. Und aus dieser Tradition heraus gibt es unterschiedliche Positionierungen.

Und das führt ja erstens natürlich immer zu einer Debatte über den Religionsunterricht selber, was passiert da eigentlich, wie machen wir das, wie wollen wir das machen, aber eben auch zu der Frage, wie wollen wir uns einmischen bei dem, was in dem gemeinsamen Ethikunterricht passiert. Und das ist ja das, wenn man mal nach vorn blickt, um das es dann eben auch gehen muss.

Führer: Die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt von Bündnis90/Die Grünen, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Göring-Eckardt: Ich danke Ihnen auch sehr!