Posen ohne Aussage

Von Natascha Pflaumbaum · 04.12.2011
Regisseur Johannes Erath lässt diese Verdi-Spätoper über alle vier Akte hinweg auf denselben eichenen Schiffsplanken spielen. Am Ende dümpelt der "Otello"-Kahn szenisch nur noch dahin. Ensemble, Chor und Orchester haben aber zum Glück früh genug das Ruder übernommen.
Der Effekt sitzt. Mit dem ersten krachenden Akkord blitzt eine Reihe riesiger Scheinwerfer grellen Lichts in das Publikum. Ein ganzes Heer von Soldaten rennt in diesem Gewitter über blanke Planken auf die Bühne, schlüpft in bereitgestellte Springerstiefel und singt gegen den Gewittersturm aus dem Orchestergraben an. Zu Beginn sind sich der Regisseur Johannes Erath und der Dirigent des Abends noch einig: Generalmusikdirektor Sebastian Weigle steigt in diese "Otello"-Inszenierung mit gefühltem dreifachen Fortissimo ein. Er lässt es musikalisch krachen und donnern, der Klang ist überdimensional laut und antizipiert das Chaos, das in den nächsten drei Stunden auf der Bühne walten wird.

Das war dann auch schon der spektakulärste Effekt des ganzen dreistündigen "Otello"-Abends, den sich der Regisseur Johannes Erath für die Oper Frankfurt ausgedacht hat. Erath lässt diese Verdi-Spätoper über alle vier Akte hinweg auf denselben eichenen Schiffsplanken spielen. Bühnenbildner Dirk Becker gibt ein paar Stühle dazu, viele weiße Lilien, grelles Licht und ein mal so, mal so drappiertes Brautkleid mit Tüll (Kostüme: Silke Willrett). Das sind eindeutig zu wenig Zeichen, um den relativ simpel wirkenden Plot auf eine andere, allegorische bzw. psychologische, Ebene zu heben.

Giuseppe Verdis "Otello" ist wegen seiner vermeintlichen Einfachheit ein harter Brocken, vor allem wenn man den Anspruch hat, diese Männergeschichte für ein Publikum von heute zu erzählen: ein Mann wird bei einer Beförderung übersehen, darum beschließt er, seinen Chef und dessen soziales Umfeld komplett zu zerstören. Der von dem Mann ausgeheckte Vernichtungsplan ist so komplex und teuflisch, dass man diese ungebändigte exzessive Wut kaum versteht.

Die Geschichte dahinter ist es allerdings, die uns heute noch angeht, denn es geht um Eifersucht. Wie in keiner anderen Oper der Musikgeschichte wird hier der Affekt "Eifersucht" geradezu lehrbuchhaft musikalisch ausgeleuchtet: wie man sie weckt, wie man sie inszeniert, wie man sie einem anderen einpflanzt, wie man sie instrumentalisiert, wie sie einen obsessiv beherrscht, wie sie jedes gute Gefühl zunichte macht, wie sie quält, herabwürdigt und zerstört. Regisseur Johannes Erath hätte sich nur einem dieser Aspekte widmen müssen, um diese "Otello"-Geschichte glaubhaft zu erzählen. Doch er will nicht von Eifersucht reden, immer nur von der Nicht-Beförderung.

Da die Sänger der Figuren Othello, Jago, Desdemona schon im zweiten Akt sichtlich in Posen verharren, die nichts über ihren verschiedenen Charaktere aussagen, übernimmt Sebastian Weigle und damit das Orchester die Regie des Abends. Das Orchester zeichnet die Szene: über alle vier Akte hinweg. Es gibt den Ton für Gewitter und Tod vor, für das Böse, für die Liebe. Es zeichnet die Charaktere: Desdemona als blind Liebende, Jago als narzisstisch Gekränkten und Othello als Schwächling. Sebastian Weigle baut schroffe Klänge zu Beginn, rasante Tempi, die Geigen liefern im Verlauf immer mehr Verdi-Schmelz ohne Kitsch, insgesamt schafft Weigle einen sehr plastischen, naturalistischen Klang, der das verbildlicht, was die Szene von Johannes Erath nicht hergibt.

Zusammen mit dem Orchester tragen allein die Sänger und der Chor diese neue Frankfurter "Otello"-Inszenierung. Das Sängertrio, das sich in diesem verhängnisvollen Dramadreieck wiederfindet, ist perfekt besetzt: Elza von den Heever gab in Frankfurt ihr Rollendebüt als Desdemona und bekam dafür vom Publikum begeisterten Applaus. Anfangs ist ihre Stimme noch ein wenig hart, aber sie singt sich frei, hat ein wunderschönes Piano und eine raumfüllende Größe. Sie singt mühelos in jeder Lage: im Liegen, im Rennen, beim Hinfallen, zusammengekauert. Sie singt, als würde sie sprechen, mit der gleichen Selbstverständlichkeit. Leider muss sie gegen ihre Erscheinung, die ihr Regisseur und Kostümbildnerin verpasst haben, ansingen. Elza van den Heever ist eine große kräftige, junge Frau: das Kittelkleid und der graue Kapuzenpulli, das man ihr verpasst hat, machen die Partie unnötig klein. Carlo Ventre sang einen hin- und hergerissenen Othello. Ventre hat einen schönen Belcanto, den typisch italienischen Belcanto-Schmelz setzt er aber nur selten ein. Sein Portamento: auch angenehm sparsam und dezent. Die Stimme ist groß und kräftig, sehr gut geführt und schlackefrei. Was man von Marco Vratognas Stimme nicht sagen kann: er singt den Jago dreckig, mit aggressivem Druck, dennoch locker: sein Bariton ist tief und hat viel Körper.

Am Ende dümpelt dieser "Otello"-Kahn mit seinen eichenen Schiffsplanken szenisch nur noch so dahin, Ensemble, Chor und Orchester haben aber zum Glück früh genug das Ruder übernommen. Das Frankfurter Publikum dankt es ihnen begeistert und erteilt dem Regieteam mit eindeutigen "Buhs" eine Absage.