Porträts von Archetypen

15.07.2012
Tiere sind nicht nur Naturwesen, sondern von jeher Teil unserer Kultur. Die Buchreihe "Mythos Tier" zeigt in anregenden Einzelporträts, wie Vögel und Vierbeiner die Geschichte der Menschheit mit geprägt haben - und schlägt elegant eine Brücke zwischen Natur- und Kulturwissenschaft.
Das Schicksal der Löwin Elsa rührte ein Millionenpublikum. "Frei geboren" hieß das Buch, mit dem Joy Adamson 1960 international Aufsehen erregte. Ihr auf Anhieb in 25 Sprachen übersetzter Bericht und ein darauf basierender Hollywood-Film erzählten von den Abenteuern einer "Löwin in zwei Welten".

Der Wildhüter George Adamson soll einen Löwen töten, der Menschen angefallen hat. Eine Löwenmutter, die ihre Jungen verteidigen will, kommt ihm dabei in die Quere. Adamson erschießt das Tier und zieht gemeinsam mit seiner Frau Joy eines der Jungen groß. So beginnt Elsas Geschichte, die man in Deirdre Jacksons Buch über den Mythos Löwe jetzt noch einmal nachlesen kann.

Es ist eine Geschichte voller Widersprüche. Joy Adamson möchte ihren Lesern die Schönheit der Tiere nahe bringen, aber sie bewahrt die Bilder von ihrem Leben mit Elsa in einem Fotoalbum mit Löwenhaut-Einband auf. George entwickelt sich zu einer Art Tiertrainer und Filmstar und zugleich zu einem von Biologen hochgeschätzten Experten für das komplexe Sozialverhalten der Löwen.

Diese wilde Mischung verschiedener Ansichten und Wissensfelder ist beispielhaft für die Perspektive, aus der Deirdre Jackson den Löwen betrachtet. Ausgehend von Abstammung und Verhalten frei lebender Löwen entwirft sie ein umfassendes Bild, das Kunst und Literatur ebenso einbezieht wie die Geschichte der Löwenjagd oder die Vorführung der Raubkatzen in Menagerien und Manegen, in Zoos oder Safariparks.

In einem inspirierenden historischen Streifzug zeigt Jackson, wie der Löwe selbst in Ländern, wo er in freier Wildbahn nie vorkam, zum Inbegriff von Macht und Herrschaft geworden ist – von Ägypten und dem Rom der Antike bis an die Höfe chinesischer Kaiser und europäischer Könige. Sie berichtet, wie Schausteller zu Zoodirektoren wurden und Großwildjäger zu Naturschützern. Dabei lässt sie Feldforscher und Naturfotografen zu Wort kommen, Kunstmaler und Abenteurer.

Immer geht es um das Tier als Kulturwesen, um die Bedeutung, die einzelne Tiere im Lauf der Geschichte für uns Menschen erlangt haben. Das zeigt auch der Band über den Bären, den der amerikanische Sozialwissenschaftler und Historiker Robert Bieder verfasst hat. Viele Völker haben sich in ihren Legenden auf den Bär als Stammvater berufen, haben ihm Jagdtaktiken abgeschaut und sich mit der Kraft des Tieres identifiziert. Tiere, diese Überzeugung teilt Bieder mit dem Anthropologen Claude Lévi-Strauss, sind "hilfreich, um über uns selbst nachzudenken".

Der Initiator der Buchreihe, der britische Archäologe John Burt, hat im Jahr 2000 mit Philosophen und Geographen, Literatur-, Kunst- und Filmwissenschaftlern eine "Animal Studies"-Gruppe gegründet. Mit den Porträts von Tier-Archetypen wie Löwe und Bär, Elefant, Schwan oder Pinguin ist ihm ein eleganter Brückenschlag zwischen Natur- und Kulturwissenschaft geglückt, aktuell, auf hohem Niveau aber im Ton kein bisschen akademisch. Diese Bände sind inspirierende Kinderbücher für Erwachsene, die einen vertraute Tiere ganz neu sehen lassen.

Besprochen von Frank Kaspar

Robert E. Bieder: Bär
Aus dem Amerikanischen von Isabelle Fuchs
Aus der Reihe "Mythos Tier"
Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2012
192 Seiten, 14,95 Euro

Deirdre Jackson: Löwe
Aus dem Englischen von Anke Albrecht
Aus der Reihe "Mythos Tier"
Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2012
240 Seiten, 14,95 Euro