Porträt

Scheu, schön und geheimnisvoll

Deutsche Soldaten im Sommer 1940 vor dem Grabmal des unbekannten Soldaten in Paris.
Deutsche Soldaten 1940 in Paris. Priscilla war in Frankreich verheiratet und lebte dort auch während der Besatzung. © picture alliance / Hans-Joachim Rech
Von Jörg Plath · 24.04.2014
Fasziniert erzählt Nicholas Shakespeare das Leben seiner Tante zu Kriegszeiten nach. Basierend auf ihren Briefen und Tagebüchern beschreibt er in familiärem Ton die Schicksalsschläge und die Suche nach Liebe dieser glamourösen Frau.
Helmut Kohl verstand es als "Gnade der späten Geburt", Nachgeborener zu sein, der in der Nazi-Zeit kein Mitläufer oder Täter sein musste. Nicholas Shakespeare hat es als Brite leichter mit deutschen Taten, und als Erzähler dürfte er sie gar schätzen. "The hidden life of an Englishwoman in Wartime France" verspricht der englische Untertitel seines neuen Buches "Priscilla". Der deutsche Verlag macht daraus eine Schmonzette: "Von Liebe und Überleben in stürmischen Zeiten".
"Priscilla" ist die spannende Biografie von Shakespeares außerordentlich attraktiver, glamouröser Tante. Warum sollte man sich für Priscilla interessieren? Aus Gründen der moralischen Uneindeutigkeit, meint Shakespeare wohl. Er erzählt behutsam und solide von problematischen Entscheidungen und verschweigt nicht seine Zweifel und Ängste sowie die Recherchen. Anders aber als Katja Petrowskaja, die in ihrem Familienbuch "Vielleicht Esther" die eigene Identität, die Sprache und das Erzählen befragt, bleibt Shakespeare immer Herr der Geschichte seiner Tante. Er besitzt so viel Faszination wie Distanz.
Eine Frau, die den Männern den Kopf verdreht
Priscilla Thompson, die Halbschwester seiner Mutter, lernt Shakespeare bei Familienbesuchen kennen. In den 50er-Jahren lebt sie mit ihrem Mann an der Küste von Sussex. Dass der Champignonzüchter Raymond krankhaft eifersüchtig ist, versteht sogar der Junge: Priscilla gehört zu jenen Frauen, die den Männern den Kopf verdrehen. Und sie war, darüber wird geredet, in Frankreich verheiratet und lebte dort auch während der deutschen Besatzung. Priscilla schweigt über diese Zeit. Sie ist scheu, schön, geheimnisvoll und später Trinkerin.
Nach Priscillas Tod entdeckt der Neffe eine Kiste mit ihren Briefen, Tagebüchern und Schreibversuchen. Er beginnt zu recherchieren und schildert, wie die junge Frau sich von ihrem Vater, einem Schriftsteller und BBC-Journalisten, verstoßen fühlt, eine Abtreibung in Paris mit knapper Not überlebt und Halt sucht bei einem französischen Adligen. Die Ehe ist nicht glücklich, Robert ist impotent.
Mehrmals inhaftiert und freigelassen
Erst im Krieg verlässt Priscilla das Familienschloss, wird als feindliche Ausländerin von den Deutschen in Besançon interniert und liebt nach der Entlassung unter verschiedenen Namen einige Männer, darunter einen Schwarzmarktschieber, der unter anderem für Göring und Hitler in ganz Frankreich Kunstschätze raubt. Mehrmals wird sie inhaftiert und wieder freigelassen, wohl wegen dieses mächtigen Liebhabers. 1944 kehrt sie nach England und zur engsten Freundin Gillian zurück.
Nicholas Shakespeare erzählt nicht chronologisch, er blendet zwischen seiner Recherche und Priscillas Erlebnissen vor und zurück. Ein familiärer Ton wie in alten Familiengeschichten prägt das Buch. Der historische Rahmen wird knapp skizziert, Priscillas und ihrer Freunde Bekanntschaft mit P.G. Wodehouse, Evelyn Waugh und Arthur Koestler angedeutet. Um Verständnis ringt Shakespeare allerdings, als Priscilla im darbenden Paris dank der Schwarzmarktgelder ein üppiges Leben führt. Sein Porträt zeichnet das Bild einer schönen Frau, die ihren Traum von der Liebe ausgerechnet in Besatzungszeiten suchen musste und von der Gewalt dauerhaft versehrt wurde.
Nicholas Shakespeare: Priscilla. Von Liebe und Überleben in stürmischen Zeiten
Aus dem Englischen von Barbara Christ
Hoffmann und Campe, Hamburg 2014
511 Seiten, 22,99 Euro
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