Porträt

Aufgeben ist keine Alternative

Agel Ring Machar war Kindersoldat
Agel Ring Machar war Kindersoldat © Perfect Shot Films / Katharina von Schröder
Von Moritz Behrendt · 09.07.2014
Vor drei Jahren erlangte der Südsudan seine Unabhängigkeit, nach jahrzehntelangen Kämpfen. Der Dokumentarfilm "We were Rebels" erzählt die Geschichte von Agel Ring Machar – einem früheren Kindersoldaten, der nun sein Land mit aufbaut.
Eine matschige Schlaglochpiste im Norden des Südsudan, rund 600 Kilometer von der Hauptstadt Juba entfernt. Es ist Regenzeit und irgendwann kommt auch der weiße Allrad-Jeep von Agel Ring Machar nicht mehr weiter – er steckt fest im Schlamm. Machar, ein Hüne von einem Mann, lässt sich aber nicht lange aufhalten und geht zu Fuß weiter durch den matschigen Untergrund.
"Ich habe einen Traum: Eines Tages gibt es hier überall Autobahnen, jeder Haushalt hat Strom – und Probleme bei der Trinkwasserversorgung gehören der Vergangenheit an."
Nur rund 200 Kilometer der Straßen sind asphaltiert im jüngsten Staat der Erde – vor drei Jahren spaltete sich der Südsudan vom Norden ab – dennoch hat das Land eine bewegte Geschichte hinter sich – und mit seinen 34 Jahren verkörpert Machar beispielhaft die Erfahrungen des Südsudan:
Bei persönlichen Fragen weicht er aus
Er war Flüchtling, Kindersoldat, Kapitän der südsudanesischen Basketballnationalmannschaft beim ersten Länderspiel gegen Uganda, er hat eine Hilfsorganisation gegründet – und als im Winter der Machtkonflikt zwischen Präsident Salva Kiir und seinem Rivalen Riek Machar kriegerisch ausgetragen wurde, da meldete sich Agel zur Armee zurück. Im Film "We were Rebels" sieht man einen entscheidungsfreudigen, offenen, humorvollen Mann.
Im trubeligen Kinofoyer nach der Berliner Premiere des Films zeigt Machar noch eine weitere Seite seiner Persönlichkeit: den Politiker. Fester Händedruck, direkter Blick in die Augen – bei persönlichen Fragen weicht er eher aus, bei politischen wird er ganz konkret.
"Beide müssen abtreten. Salvar Kiir und Riek Machar sind über 60, sie sind nicht darauf vorbereitet, eine Nation aufzubauen. Wie auch: 40 Jahre lang haben sie zerstört, sabotiert, sind in den Krieg gezogen – und plötzlich sollen sie Friedensstifter sein, mit diplomatischem Geschick und allem was dazugehört, wenn man einen Staat aufbaut."
Als Kind war ihm die Kalashnikow zu groß
Machar war sieben Jahre alt, als er nach Äthiopien flüchtete. Dort wurde er von der südsudanesischen Befreiungsarmee zum Soldaten ausgebildet, mit zwölf zog er in den Kampf. Dass er über diese Zeit nicht gerne mit Fremden spricht, merke ich im Interview. Er sei in Australien, wo er acht Jahre gelebt hat, von Spezialisten hervorragend behandelt worden, sagt er.
"Natürlich wird es nie wieder ganz normal. Wie bei einer Wunde, sie kann heilen, aber die Narbe bleibt. Bei mir ist die Wunde verschwunden, aber es ist nicht mehr so wie früher."
Die Filmemacher Katharina von Schröder und Florian Schewe kommen näher heran an Machar – sie haben ihn über einen Zeitraum von zwei Jahren fünf Monate lang begleitet – so gelingen ihnen bewegende Szenen, in denen sich ihr 2,03 Meter großer Protagonist an die militärische Ausbildung erinnert. Als ihm als Kind die Kalashnikow zu schwer war.
Im Stehen, erzählt er, während er die Kalashnikow in der Hand wiegt, habe ihm der Lauf des Gewehrs immer den Arm heruntergezogen.
"Ich habe mich also hingehockt und den Griff auf den Knien abgestützt. ... Sobald du die erste Kugel abfeuerst, hast Du keine Angst mehr."
Bei der Militärparade laufen viele Soldaten mit Krücken mit
Der 9. Juli 2011 – der Südsudan wird unabhängig – auf der Militärparade laufen viele Soldaten mit Krücken oder amputierten Beinen, erstmals erklingt die neue Hymne des Landes – Machar trägt das T-Shirt der Basketballnationalmannschaft: "Eine Nation aufbauen" steht darauf.
Für Machar ist dieser Tag der Aufbruch in eine neue Zeit – nicht nur politisch, auch privat: Kurz später heiratet er, vor zwei Jahren wurde seine erste Tochter geboren – und auch bei der Filmvorführung in Berlin ist er in Gedanken bei der Familie: In wenigen Tagen kommt seine zweite Tochter auf die Welt.
"Weil ich so viele Verwandte verloren habe, habe ich so lange damit gezögert. Ich wollte keine Familie haben, nur um sie am nächsten Tag wieder zu verlieren. Erst nach der Unabhängigkeit habe ich dann eine Familie gegründet."
Euphorie ist am Ende
Die Euphorie nach der Staatsgründung währt jedoch nicht lange: der Ölexport stockt wegen eines Streits mit dem Norden, der Aufbau des Landes kommt nicht voran – und dann brechen wieder Kämpfe aus.
Manche Experten sehen den Südsudan schon als weiteres Beispiel eines gescheiterten Staates. Nicht so Agel Ring Machar - er formt seine riesigen Hände, als würde er einen großen Ball umfassen, als würde er sein junges Land wie ein Baby schützen müssen.
"Mit der richtigen Führung kann Südsudan zur Getreidekammer Afrikas werden, mit all dem Land und all den Rohstoffen. Ich bin sehr zuversichtlich. Die Menschen im Südsudan sind etwas Besonderes, sie können das schaffen!"
Machar sagt im Gespräch immer wieder: Meine Geschichte ist nichts besonderes, jeder aus meiner Generation hat das gleiche durchgemacht. – Da ist er wieder: der Politiker. Ein Mann der weiß, dass er mit seinen Worten und Taten andere beeinflussen kann.
Der Film "We were Rebels", eine Produktion von Perfect Shot Films, wird am 14. Juli um 0.10 Uhr im ZDF ausgestrahlt. In der Mediathek des Senders ist er bereits seit dem 9. Juli abrufbar.
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