Populismus

Lob des komplexen Denkens

Ein Mann ist umgeben von Pfeilen und Fragezeichen.
Ein aufgeklärter Geist hat sich vom Glauben an eine eindeutige Welt verabschiedet, so Klaus Englert. © imago / Ikon Images
Von Klaus Englert · 13.03.2017
"Die" oder "wir", "Freund" oder "Feind": Populisten aller Art setzen auf eine Einteilung der Welt in Schwarz-Weiß-Kategorien. Dabei waren wir im Denken schon mal viel weiter, meint der Architekturkritiker Klaus Englert – und plädiert dafür, abzuwägen und zu differenzieren.
Der NS-Staatsrechtler Carl Schmitt lieferte in den 1920er-Jahren in seinem Hauptwerk über die "Politische Theologie" das ideologische Raster für die populistische Weltexegese. Schmitt bestimmte, wer Freund ist und wer Feind. Für Rechtspopulisten gibt es kein Volk - lateinisch: "populus" - ohne das, was "volksfremd" ist. Die inneren und äußeren Volksfeinde auszumachen, gehört seither zu ihrem geistigen Rüstzeug. Niemand anderes als Donald Trump redet mehr vom Volk, während er gleichzeitig gegen die "Volksfeinde" ausholt.
Er lässt Schutzwälle in der Luft und auf der Erde bauen. Allerdings entstehen die wirksamsten in den Köpfen der Menschen. Lepenisten im "alten Europa" und Trumpianer in der neuen Welt versuchen sich vor den Globalisierungseffekten zu retten, indem sie ein Bollwerk gegen die Angst machenden Einflüsse von innen und außen errichten. Es ist eine neurotische Vorstellungswelt, geprägt von immer gleichen Denkschablonen.

Aus der Schwäche geborener Ruf nach Stärke

Der Psychoanalytiker Sigmund Freud beschrieb einmal, ein derartiges Denken kenne einzig und allein das Schema des Entweder-oder. Freud erklärte, es sei ein frommer Wunsch, insofern sich unsere Bewusstseinsvorgänge nicht immer gänzlich von den unbewussten Anteilen abkoppeln lassen. Der Ruf nach Stärke, der allenthalben in den USA erschallt, ist aus Schwäche geboren.
Der große Zampano, den viele "angry white males" bewundern, verspricht ein Land mit sicheren Grenzen und wachsendem Wohlstand – bei gleichzeitiger Abwehr aller Gefahren, die eine multiethnische Gesellschaft angeblich mit sich führt. Das ist ein Denken in Kategorien von Schwarz und Weiß, von Gut und Böse, von Freund und Feind. Als ob Carl Schmitt eine Renaissance in den Vereinigten Staaten erlebte.

Ein aufgeklärter Geist differenziert

Stattdessen verlangt komplexes Denken vor allem und grundsätzlich das Wissen um die eigenen unbewussten Anteile. Das mag paradox klingen, aber anders lassen sich Ressentiment, Neid und Angst nicht erkennen. Nur komplexes Denken vermag, die Brüchigkeit von Freund-Feind-Schemata zu reflektieren. Die Macht der Vernunft anzuerkennen, wenn all überall – selbst in der eigenen Person - feindliche Emotionen hochkochen. Heilsversprechen auf Distanz zu halten, die allzu oft im Schlimmsten enden. Ein aufgeklärter Geist beharrt auf dem Realitätstest, er ist geschult im Abwägen und Differenzieren, er hört auf Bedeutungen, die im Sprechen mitschwingen. Verabschiedet hat er den Glauben an eine eindeutige Welt, denn er weiß um ihre – manchmal schwer zu ertragende - Widersprüchlichkeit.

Plädoyer für das Sowohl-als-auch

Sigmund Freud wollte die Bewusstseinsleistung der Menschen stärken, damit sie selbstkritisch auf eine komplexer werdende Welt schauen. Seine Beschäftigung mit den ambivalenten Begriffen alter Sprachen, mit der widersprüchlichen Bildsprache von Traum und Poesie bestätigte ihn darin, das Schema des Entweder-oder zu verabschieden. Und eine Logik des Sowohl-als-auch anzuerkennen.
Doch heute sind wieder undifferenzierte Eindeutigkeiten gefragt. Noch nie wurde die bei Journalisten beliebte Redewendung "Fakt ist" derart inflationär gebraucht. Wie anders dachte doch Friedrich Nietzsche, der die rätselhaften Dinge liebte, die Schattierungen und Nuancen lobte, ohne die unsere Welt nicht erschöpfend zu erfassen ist. So empfahl sich der Basler Philosoph vor 130 Jahren den preußischen Patrioten mit den Worten: "Ich setze mich gegen alle viereckigen Gegensätze zur Wehr und wünsche mir ein gut Theil Unsicherheit in den Dingen. Denn ich bin ein Freund der Zwischenfarben, Schatten, Nachmittagslichter und endlosen Meere."

Klaus Englert, Architekturkritiker, schreibt für die "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und den Hörfunk. Er war Kurator der Ausstellung "Architektenstreit. Brüche und Kontinuitäten beim Wiederaufbau in Düsseldorf" im Stadtmuseum Düsseldorf.


© Foto: privat
Mehr zum Thema