Populismus in der arabischen Welt

Ich weiß, was das Volk will!

Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi sitzt auf seinem Thron im Präsidentenpalast in Kairo
Auch der ägyptischen Präsident al-Sisi greift gern in den populistischen Instrumentenkasten. © afp / Brendan Smialowski
Jan Völkel im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 05.10.2016
Beschimpfungen und Entgleisungen beherrschen das politische Klima in Europa und den USA. Doch das Phänomen beschränkt sich nicht nur auf westliche Gesellschaften, sagt der Politikwissenschaftler Jan Völkel. Auch in der arabischen Welt sei Populismus schwer angesagt.
Donald Trump, Victor Orban, Marine Le Pen - sie alle stehen für eine Strömung, die immer mehr Gesellschaften erfasst und im Innern zerstörerisch aufheizt: den Populismus. Keineswegs beschränkt sich dieser jedoch nur auf Europa und die USA sagt der Politikwissenschaftler Jan Völkel von der Universität Kairo im Deutschlandradio Kultur. Auch die arabische Welt sowie Lateinamerika und Asien würden stark davon beherrscht.
"Populismus ist ja, wenn man sich das in der Definition anschaut, zunächst mal der Gedanke, es gäbe einen Volkswillen, einen einheitlichen Volkswillen, den die Regierenden umzusetzen hätten – das ist die Argumentation von der AfD, von Pegida oder ähnlichen Gruppierungen."

"Die Regierenden sagen dem Volk, was es zu wollen hat"

In der arabischen Welt werde diese Art Volkswille erst von den Regierenden generiert. "Also man könnte sagen, die Regierenden sagen dem Volk, was es zu wollen hat, und diesen Volkswillen möchten die Regierenden dann umsetzen."
Als Beispiel nannte Völkel den ägyptischen Präsidenten Sisi, der viele Entscheidungen mit dieser Argumentation stütze.
"Da wird dann zum Beispiel gesagt, ausländische Mächte sind am Werk, die wollen unser Land destabilisieren, die Muslimbruderschaft wird oftmals dämonisiert als ein populistischer Außenfeind."
Gegen diese offiziell verkündete Mehrheitsmeinung anzugehen, sei schwer, so der Politikwissenschaftler.
"Es gibt natürlich einen gewissen Diskurs, den die Regierung verfolgt, wenn es um die Wirtschaftspolitik geht oder um die Außenpolitik, und wer da kritische Akzente dagegensetzt, muss mit Sanktionen rechnen, welcher Art auch immer."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Wir kümmern uns jetzt um die Volksseuche Nummer eins in dieser Zeit: den Populismus. Ein europäisches Problem, ein amerikanisches Problem ohne Frage auch, aber nicht nur hier und dort, sondern – diese These erhebt eine Tagung, die derzeit in Leipzig stattfindet – auch in der arabischen Welt. "Eine neue Welle des Populismus in Europa und in der arabischen Welt" – Titel der Tagung. Einer der Initiatoren, Jan Völkel, Politikwissenschaftler an der Universität von Kairo, ist jetzt in Leipzig am Telefon. Guten Morgen!
Jan Völkel: Guten Morgen!
Frenzel: Ist Populismus ein Welttrend über nationale, über religiöse, über kulturelle Grenzen hinweg?
Völkel: Man muss auf jeden Fall diesen Eindruck gewinnen. Sie haben ja angesprochen Europa und die USA, und Donald Trump ist ja geradezu zum Greifen als Problem da, aber es geht natürlich über weitere Regionen hinaus, wenn man bestimmte Länder in Lateinamerika zum Beispiel denkt oder auch in Asien, wo ganz klar populistische Tendenzen immer deutlicher werden.
Frenzel: Sie nehmen jetzt die arabische Welt vor allem in den Fokus, da habe ich an vieles gedacht, aber nicht unbedingt an Populismus. Wo zeigt der sich denn?
Völkel: In der arabischen Welt haben wir, so wie es ein Teilnehmer gestern formuliert hat, eine Art paternalistischen Populismus. Populismus ist ja, wenn man sich das in der Definition anschaut, zunächst mal der Gedanke, es gäbe einen Volkswillen, einen einheitlichen Volkswillen, den die Regierenden umzusetzen hätten – das ist die Argumentation von der AfD, von Pegida oder ähnlichen Gruppierungen. In der arabischen Welt haben wir festgestellt, diese Art Volkswille wird erst von den Regierenden generiert. Also man könnte sagen, die Regierenden sagen dem Volk, was es zu wollen hat, und diesen Volkswillen möchten die Regierenden dann umsetzen. Das sehen wir zum Beispiel in Ägypten, wo Präsident Sisi auf diese Argumentation viele Politikentscheidungen trifft.
Frenzel: Aber funktioniert das denn? Also der Populismus, wie wir ihn Europa erleben, ist ja gerade eine Anti-Establishment-Bewegung. Wenn jetzt das Establishment in solchen Ländern sagt, übrigens, das ist das, was ihr denkt, was das Volk will, kauft das Volk das ab?
Völkel: Ja, genau das ist die gute Frage. Sie haben den Begriff des Establishments angebracht, der Eliten. Der Populismus arbeitet im Allgemeinen mit Feindbildern, das heißt, er kreiert eine imaginäre Gemeinschaft, in der sich die Teilnehmer dieser populistischen Bewegung wohlfühlen, in der man sich aufgehoben fühlt, und diese Gemeinschaft hat nun den Auftrag, gegen einen externen Feind zu kämpfen. Das können in unserem Fall die Eliten sein, das können auch andere Gruppierungen sein – Zuwanderer zum Beispiel, der Islam als solcher, die Europäische Union wird oft zitiert oder auch einfach nur die steigende Kriminalität.
Also es geht darum, sich zusammenzuschließen gegen einen Feind. Und in der arabischen Welt wird das ganz ähnlich argumentiert. Da wird dann zum Beispiel gesagt, ausländische Mächte sind am Werk, die wollen unser Land destabilisieren, die Muslimbruderschaft wird oftmals dämonisiert als ein populistischer Außenfeind, also da sind tatsächlich ganz ähnliche Tendenzen zu erkennen.

Verbündung gegen den "äußeren Feind"

Frenzel: Wir haben jetzt immer nur Populismus gesagt, ohne kleine Richtungsbeschreibungen vorne weg, Links- oder Rechtspopulismus – ist das aus Ihrer Perspektive eigentlich egal, reden wir da eigentlich immer vom gleichen, oder müssten wir bei der arabischen Welt diese Begriffe sowieso komplett weglassen?
Völkel: Nein, also es ist tatsächlich richtig, Populismus bezieht sich nicht nur auf eine bestimmte Form des Populismus – also es gibt natürlich den Rechtspopulismus, es gibt aber auch den Linkspopulismus, und es gibt auch einen Populismus dazwischen. Populismus heißt zunächst, man kreiert diesen Volkswillen, den es nicht gibt, man nutzt einen Außenfeind, und dann kann man durchaus seine Inhalte auch wechseln. Also wenn man sich zum Beispiel die FPÖ in Österreich anschaut, die eigentlich als eine eher proeuropäische Partei mal angefangen hat und jetzt eine sehr antieuropäische Partei geworden ist oder sagen wir euroskeptische Partei geworden ist – Populismus muss sich meist mit anderen Ideologien erst verbinden. Das heißt, man könnte sagen, der Populismus ist eher eine Art des Denkens, und in welche Richtung der sich entwickelt, hängt dann davon ab, ob man nun zum rechten politischen Lager tendiert, zum linken oder auch zu ganz anderen Überlegungen greifen möchte.
Frenzel: Wie weit greift das denn um sich? Sie arbeiten selbst in Ägypten, sind an der dortigen Universität in Kairo. Wie ist die Situation, wenn Sie die akademische Elite beispielsweise angucken, hat sich der Populismus da schon breitgemacht, ist das eine beherrschende Strömung?
Völkel: Also der Populismus hat sich breitgemacht insofern, dass in einem Land wie Ägypten es schwer ist, beispielsweise gegen die offiziell verkündete Mehrheitsmeinung anzugehen. Es gibt natürlich einen gewissen Diskurs, den die Regierung verfolgt, wenn es um die Wirtschaftspolitik geht oder um die Außenpolitik, und wer da kritische Akzente dagegensetzt, muss mit Sanktionen rechnen, welcher Art auch immer.
Und das ist eine der großen Gefahren des Populismus, wenn er sich denn breitmacht, also wenn es von einer kleinen Minderheitsgruppe mehrheitsfähig wird, dass dann die Meinungsvielfalt verloren geht, weil man dann schnell zu dieser ausgegrenzten Feindesgruppe gehört. Und damit sinkt beispielsweise die Hemmschwelle, dass man Gewalt anwenden möchte gegen Ausländer beispielsweise oder dass man Politikern über den Mund fährt, sie nicht mehr zu Wort kommen lässt, weil das sind ja die Außenfeinde, mit denen man nicht irgendwie auf demokratische Weise diskutieren könnte. Und das ist tatsächlich in vielen arabischen Ländern ein Problem, dass abweichende Meinungen nicht toleriert werden, bis hin zu den Parlamenten, die weitgehend in die gleiche Argumentationsschiene gehen, weil die Regierung oder der Staat ja nicht gefährdet werden darf.

Paralleltendenzen bei allen populistischen Bewegungen

Frenzel: Jetzt sind wir weitgehend im Bereich der Analyse geblieben, wie ist das bei Ihrer Tagung, werden Sie da auch bleiben oder können wir am Ende der Konferenz von Ihnen ein Thesenpapier erwarten – was tun gegen den Populismus in Europa wie auch in der arabischen Welt?
Völkel: Das werden wir genau heute noch besprechen, weil die Tagung bis heute Mittag laufen wird. Wir haben bislang so eine Bestandsaufnahme erst mal gemacht, weil das ein Versuchskaninchen ist, diese Tagung, nach dem Motto: Ist es sinnhaft zum Beispiel, die UKIP-Partei in Großbritannien mit der AKP in der Türkei zu vergleichen, was können wir daraus gewinnen? Und da eruieren wir noch.
Es sind ganz interessante Paralleltendenzen zu erkennen, wir überlegen natürlich, Richtung Publikation zu gehen, es ist aber leider vermutlich nicht zu erwarten, dass wir so eine Art Fahrplan erstellen können, wie man nun Populismus am besten begegnen könnte, weil, wie ich gesagt habe, der Populismus sehr vielschichtig ist, natürlich auch die Gesellschaften sehr vielschichtig sind, und mir schon sehr geholfen wäre, wenn wir besser verstehen können, wie populistische Akteure agieren, und dann, von diesem Verständnis her, versuchen, dem Populismus auch seine Grenzen aufzuzeigen.
Frenzel: Dabei haben Sie uns auf jeden Fall schon geholfen. Jan Völkel, Politikwissenschaftler an der Universität von Kairo und einer der Initiatoren der Konferenz Populismus in Europa und in der arabischen Welt in Leipzig. Herr Völkel, vielen Dank für das Gespräch!
Völkel: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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