Popkultur statt Hochkultur

Von Michael Meyer · 07.05.2011
Theaterfans müssen sich warm anziehen: Zumindest jene, die Fans des ZDF-Theaterkanals waren, denn den gibt es seit heute nicht mehr: Heute morgen startete das Nachfolgeprogramm "zdf.kultur".
In einem Trailer zum Programmstart springt ein Skater hoch hinaus – Kugeln explodieren in knallbunten Farben – dann erscheint der Slogan von zdf.kultur: "Sieh Dich wach!" - im Untertitel: der Pop.Hoch.Netz.Digitalkultursender. Der Trailer zeigt schon, dass für die Macher Kultur irgendwie alles sein kann. Statt Henrik Ibsen für die Älteren gab es zum Start einen Konzertfilm mit der Sängerin Rihanna. Zielgruppe des neuen Programms sind die unter 40-Jährigen, sagt ZDF-Programmdirektor Thomas Belluth. Die Musik sei ein "probates Mittel", die Jüngeren anzusprechen:

"Das ist ein außerordentliches ehrgeiziges Ziel – es wird dann eben nicht die klassische Musikkultur dort aufgegriffen, sondern auch im Bereich Pop interessante Events angeboten, um da die jüngeren zu begeistern."

Zehn Musikfestivals will das Programm im Jahr exklusiv übertragen, unter anderem das Glastonbury Festival in England, das Musikfestival im dänische Roskilde und im August das Heavy-Metal Open Air aus dem schleswig-holsteinischen Wacken.

Überschneidungen zu zdf.neo – dem seit 2009 sendenden anderen Digitalkanal, in dem viele Serien und Filme laufen - sieht Thomas Belluth kaum, allenfalls bei manchen Musiksendungen, aber Doppelungen könnten da allenfalls am Sonntag auftreten, wenn auch bei ZDF.neo Musikmagazine auf dem Programm stehen.

Das immer wieder als Seniorenfernsehen verspottete ZDF will zumindest ein bisschen verloren gegangenes Terrain zurückerobern und setzt sich bescheidene Ziele, so Belluth:

"Also wenn man dort für einen Sender fünfstellige Beträge, also 20.000, 30.000 von den jüngeren erreicht, ist man sicherlich schon sehr gut bedient – also dass sind die Dimensionen über die wir sprechen."

Obwohl Programmacher wissen, dass die ganz jungen Zuschauer unter 30 ohnehin weniger Fernsehen gucken – im Schnitt eine Stunde weniger pro Tag im Vergleich zu den älteren Zuschauern - will man eine Reihe von neuen Formaten auflegen, die sich mit den Themen Internet, Computerspiele und Clubkultur befassen. Zwölf Millionen Euro lässt sich das ZDF das in diesem Jahr, 18 Millionen Euro im nächsten Jahr kosten. Investiert wird in neue Magazine wie "Die Pixelmacher" - ein Magazin für die netzaffinen Zuschauer, daneben soll sich als neues tägliches innovatives Kultur-Magazin "Der Marker" etablieren:

"Um 20 Uhr eine Viertelstunde lang ...Der Marker ... .Popkulturmagazin ... .Lukas ist ein Marker, Rainer ist ein Marker, Jo auch der hat sich die Schulter ausgekugelt, ist gerade nicht da – und Nina ist noch in München beim Shoppen."

Das gesamte Programm wirkt mit seinen jung-flippigen Moderatoren und grellem Design eher wie MTV. ZDF-Intendant Markus Schächter sieht es pragmatisch: Anna Netrebko für die Älteren im Hauptprogramm, Lady Gaga für die Jungen bei zdf.kultur:

"Die Idee ist, dass im Zeitalter des Netzes die alte Vorstellung von Kultur eine Vitalisierung braucht. Sie muss die Netzkultur, die ja auch eine interaktive Kultur ist stärker mit aufnehmen. Von daher war von vornherein ein Kulturbegriff vorhanden, der interaktiver ist, ... ., und junge Leute, die sich von diesem traditionellen Kulturbegriff nicht mehr angesprochen fühlen, in einer neuen Form, in einer Mischung von Kultur auch anzusprechen."

Das Programm soll auch eine Art Versuchslabor sein – was nicht klappt, fliegt wieder raus - allerdings sollen sich die Moderatoren und Redakteure bei zdf.kultur längere Zeit ausprobieren können – ohne gleich hohen Quotendruck im Nacken zu haben.

Es gibt aber auch eine andere Sichtweise darauf, warum das ZDF nach "neo" nun den neuen Kanal "kultur" startet: Es ist ein weiterer Baustein in der Strategie des ZDF, die Zuschauer noch differenzierter mit verschiedenen Angeboten anzusprechen, sagt Intendant Markus Schächter:

"Das war vorher nicht möglich, vor allem nicht für jüngere Zuschauer, weil in dem Ghetto eines Ein-Kanal-Systems es nicht möglich war ein Programm für alle Generationen, das durchgängig gleich verteilt die Generationen anspricht. Jetzt haben wir die Chance mit den Beibooten die Jüngeren anzusprechen."

Theaterfans werden auch künftig auf ihre Kosten kommen – allerdings nur noch auf den altbekannten Kanälen 3sat und ARTE. Auch wenn es durchaus Theaterinszenierungen gebe, die jüngere Leute ansprechen, sagt ZDF-Programmdirektor Thomas Belluth mit einem leicht ironischen Unterton, werde Theater im neuen Programm nicht mehr die Hauptrolle spielen:

"Naja, es wird auch in dem neuen Kanal Highlight-Projekte geben – und da kann man sehr gut in dem Bereich Synergien zwischen ARTE, 3sat und kultur aufbauen. Aber es ist in der Tat so, dass ein reiner Theaterkanal, der war in der Vergangenheit auch schon angefüllt mit Fiction, hochwertiger Fiction, die einem Theaterstück nahe kamen, aber mit reinen Theaterstücken ist ein solcher Kanal nicht zu betreiben."

Dennoch bleibt festzuhalten: Die Idee, dass man auch im Hauptprogramm frischere, originellere Programmfarben etabliert, ist offenbar endgültig verworfen worden. Jede Zielgruppe hat nun ihr eigenes Programm. Wirklich integrativ scheint das nicht.