Popförderung in Deutschland

Zwischen Leuchttürmen und musikalischem Prekariat

Der Geschäftsführer des Reeperbahnfestivals, Alexander Schulz.
Im Rechtfertigungszwang wegen hoher Zuschüsse: Alexander Schulz, Geschäftsführer des Reeperbahnfestivals © dpa / picture alliance / Angelika Warmuth
Von Martin Risel · 05.12.2016
Der Bundestag hat ein großes Maßnahmenpaket zur Förderung von Rock, Pop und Jazz beschlossen. Doch davon profitieren vor allem die sogenannten Leuchttürme, etablierte Veranstaltungen wie das Reeperbahnfestival. Kleinere Clubs gehen hingegen oft leer aus.
"Wir sind in der aktuellen Rutsche der Initiative Musik gefördert worden. Und das erleichtert natürlich die Arbeiten enorm, wenn man weiß, dass man finanziell irgendwie abgesichert ist. Man hat auch mal Möglichkeiten, die man vorher nicht hatte. Und da ging‘s jetzt darum, die Tour zu finanzieren und dieses Experiment, dass wir mit Kopfhörern auf Tour gehen."
Maximilian Wallner spielt den Bass bei "Adulescens". Die Augsburger Nachwuchsband ist gerade mit ihrem Debütalbum auf einer besonderen "Silent"-Tour. Das heißt: alle Zuschauer tragen im Konzert Kopfhörer, sind so dem Sound ihrer Band noch näher. Den technischen Aufwand für dieses Experiment fördert die Initiative Musik.
Seit neun Jahren vergibt die Projektgesellschaft von Bundesregierung, Gema und GVL Fördergelder an Musiker, Veranstaltungen und Spielstätten. Und davon nach dem jüngsten Bundestagsbeschluss eine Menge mehr.
Yvonne Magwas ist für die CDU Mitglied im zuständigen Bundestagsausschuss Kultur und Medien:
"Die Initiative Musik ist so eine zentrale Fördereinrichtung für Rock, Pop und Jazz. Und die Initiative Musik bekommt 4,1 Millionen Euro mehr, hat sich verdoppelt. Und damit können natürlich auch die Programmgelder für den Spielstättenprogrammpreis 'Applaus' erhöht werden …"
Dabei erhalten Spielstätten Gelder für ein kulturell herausragendes Programm. Man bewirbt sich, eine Jury entscheidet und verleiht jährlich Preise – immer schön mit medienwirksamen Fotos der großartigen Gönner aus Politik und Musikwirtschaft.

Kritiker fordern eine substanzielle Unterstützung

Als gönnerhafte Gesten sieht das auch Konzertveranstalter Berthold Seliger, denn die Förderung erfolgt für ihn …
"…nicht nach dem Gießkannen-Prinzip. Was ja so auch eine neofeudale Attitüde hat: Man verleiht Preise für die Spielstätten. Warum können die nicht einfach massiv substanziell unterstützt werden? Da denke ich an einen Betrag von 100 Millionen Euro auf fünf Jahre …"
Schöne Träume sind das, und mit solchen radikal anderen Ansätzen ist Berthold Seliger zu einem scharfen Kritiker der deutschen Musikwirtschaft geworden.
Bernd Begemann bei einem Benefiz-Konzert in Hamburg
Scharfer Kritiker der etablierten Popförderung: Bernd Begemann bei einem Benefiz-Konzert in Hamburg© Imago / xim.gs
Doch Seliger ist mit seiner Haltung nicht alleine. Auch Musiker Bernd Begemann will vor allem solche Spielorte unterstützt sehen, die für ihn und seine Band inzwischen zu klein sind:
"Kleine Clubs sollten auf jeden Fall gefördert werden. Die sind die wahre kulturelle grüne Lunge des Landes. Das ist der Ort, wo neue Sounds ausprobiert werden. Das ist der Ort, wo neue Ideen zum ersten Mal dem Publikum präsentiert werden. Erfahrungsgemäß ist das so, dass die Goldgräber nicht so viel kriegen und die Leute, die die Schaufeln verkaufen, die kriegen meistens was. – Öde!"

Popförderung als Standortpflege

Womit Bernd Begemann bei der Kritik an der Pop-Förderpolitik ins Schwarze trifft: Unterstützt werden meist mittelbar an der Kunst Beteiligte, bereits Etablierte, Leuchttürme werden sie genannt. Zum Beispiel Deutschlands größtes Branchenevent, das Reeperbahnfestival. Geschäftsführer Alexander Schulz ist in Rechtfertigungszwang:
"Wir kommen ja mit der Hauptveranstaltung nahezu ohne Förderung aus. Und dieser Preis und diese eigene Medienproduktion basieren zunächst zu 100 % auf Fördergeldern. Ich finde das richtig, das passiert auch an anderer Stelle. Bei Verleihungen von Musikpreisen international gibt’s immer auch 'ne Unterstützung, weil es dem Standort hilft. Und deswegen finde ich es auch gut und verpflichtend und richtig, dass sich Deutschland da engagiert, endlich auch für Musikwirtschaft."
Keine Frage, lange gab es bei der deutschen Popförderung auch im europäischen Vergleich großen Aufholbedarf, etwa gegenüber Skandinavien und Frankreich. Aber deren Erfolge kommen eher aus der Breite als aus der Spitze.
Ganz vorne bei der staatlichen Förderung in Deutschland ist auch das etablierte C/O-Pop-Festival in Köln. Geschäftsführer und Leuchtturmwärter Norbert Oberhaus versucht, sich auch zu rechtfertigen.
"Dafür haben wir jahrelang gekämpft, dass Popmusik auch Kultur ist und genauso gefördert werden kann wie Film oder Theater oder Buch eben auch. Weil wir eben Projekte machen, die sich am Markt nicht tragen. Wir kümmern uns um den Nachwuchs, damit sie mal irgendwann erfolgreich sind. Machen viele Crossover-Projekte. Und die Förderung macht ja auch nur ein Viertel des Gesamt-Etats aus. Also drei Viertel des Festival-Etats müssen wir nach wie vor mit Eintrittseinnahmen und Sponsoring verdienen."
Unterstützt allerdings auch von Kommunen und Ländern. Die erkannt haben, dass diese Leuchttürme auch mit Kaufkraft in ihre Stadt strahlen.
Und letztlich sind diese großen Festivals näher an den großen Labels. Buddys bilden Lobbys. In der Musikwirtschaft ist man schnell per Du.

Mehr Geld für Musikunterricht?

Nur nicht so gerne mit Quertreiber Berthold Seliger. Der hat für das neu verteilte Geld ein paar andere Ideen:
"Ich würde sagen: Dieses Geld sollte in Musikunterricht investiert werden und in Popmusikschulen. Dann sollte man migrantische Musik fördern. Und da hat man dann für die Popkultur viel mehr getan, als wenn man irgend so ein etabliertes Festival konstruiert, in dem sich mehr die Politiker sonnen und weniger die Musiker."
Ach ja, es ging ja um Musiker. Bernd Begemann jedenfalls hat nichts gegen Staatsknete:
"Ich glaube, ich spreche im Namen aller Künstler, wenn ich sage: Was immer da vom Tisch abfällt, wir bücken uns gerne und lecken es sauber."
"Frollein Smilla" heißt diese junge Band aus dem Berliner Musik-Prekariat. Das Geld für die Produktion ihres bevorstehenden Debütalbums haben sie von Fans eingesammelt. Crowdfunding erschien Johannes Kempka und Desna Wackerhagen von "Frollein Smilla" weniger kompliziert, als in die bürokratische Welt der Förderprogramm-Anträge einzutauchen:
"Das ist wohl nicht so einfach, da reinzukommen in solche Programme. Es waren immer sehr viele Bögen auszufüllen, sehr viele Texte zu schreiben. Ja, es wird einem nicht vor die Haustür geliefert, ne. Bis man von so einer Förderungsinstitution weiß, vergeht auch schon mal ein Band-Jahr."
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