Muslimische Friedhöfe

Zeichen der Integration oder Separation?

Muslimische Gräber auf dem Westfriedhof in Köln-Böcklemünd.
Ob in Berlin, Köln oder Hamburg – seit Jahrzehnten gibt es Gräberfelder auf kommunalen Friedhöfen, die für Muslime reserviert sind, doch die werden wenig genutzt. © imago/stock&people/epd
Von Thomas Becker  · 27.09.2015
Mit der stärkeren Verwurzelung des Islam in Deutschland stellt sich auch die Frage, wo gläubige Muslime beerdigt werden wollen. Bisher werden Leichname noch oft in die Herkunftsländer überführt. Doch zunehmend bemühen sich Muslime darum, eigene Friedhöfe zu betreiben - so auch in Wuppertal.
Wuppertal und die Religionen – das ist ein Kapitel für sich." Die Schwebebahn dient lediglich dazu, die vielen Sekten miteinander zu verbinden!", soll Günter Grass einmal über das Wahrzeichen der Stadt gesagt haben, ein Verweis auf die vielen christlichen Konfessionen, die hier vertreten sind. Die religiöse Vielfalt zeigt sich in Wuppertal auch dort, wo die Toten begraben liegen: Denn bundesweit gibt es nirgendwo sonst so viele Friedhöfe je Einwohner wie hier.
"Im Gegensatz zu vielen anderen Städten haben wir nur einen einzigen kommunalen Friedhof, der allen offen steht. Die anderen sind alle konfessionelle Friedhöfe. Da fehlt einfach der muslimische. Davon gibt es gar keinen."
Noch nicht. Samir Bouaissa, Sprecher des Interessenverbands Wuppertaler Moscheen, befindet sich auf dem Friedhofsgelände im Stadtteil Varresbeck. Hier gibt es bereits eine evangelische Ruhestätte und gleich daneben eine jüdische. Bald möchten auch Muslime auf dem Gelände einen Friedhof gründen. Es wäre bundesweit der erste, den sie betreiben und ganz nach ihrem Geschmack einrichten können.
"Das ist halt noch ein brachliegendes Stück Land, was, wenn wir es dann käuflich erworben haben, erst hergerichtet werden muss. Wo die Wege erstellt werden müssen und die gesamte Infrastruktur noch aufgebaut werden muss."
Vorsichtig nähert sich Samir Bouaissa dem Steilhang, von dem aus ein Trampelpfad hinabführt zur Senke, wo der Friedhof angelegt werden soll. Der 42-Jährige verbindet damit große Ziele: Es geht ihm um nichts Geringeres als die Integration.
"Es gibt immer diese Überlegung: Wo gehöre ich hin, wenn ich verstorben bin? Und wenn es ein Gräberfeld gibt, wo die Menschen bestattet werden können, nach ihrem Glauben und nach dem, was ihr Gewissen beruhigt, dann ist die Integration abgeschlossen. Dann ist man hier zu Hause. Man sagt ja nicht umsonst: Heimat ist da, wo die Ahnen begraben liegen."
Sargpflicht versus Bestattung mit Tüchern
Ob in Berlin, Köln oder Hamburg – seit Jahrzehnten gibt es Gräberfelder auf kommunalen Friedhöfen, die für Muslime reserviert sind. Doch die werden nach wie vor wenig genutzt. Noch immer lassen sich die meisten Muslime in ihren Herkunftsländern bestatten, da sie deutsche Friedhofssatzungen und islamische Riten für nicht vereinbar halten. Auf einigen Friedhöfen gilt hierzulande etwa die Sargpflicht, während im Islam üblicherweise in Tüchern bestattet wird. Zudem werden Gräber in Deutschland in der Regel nach 25 Jahren eingeebnet, im Islam dagegen soll einem Toten die letzte Ruhe in unberührter Erde ewig gewährt werden.
"Das Wichtige ist: Wer einmal da drin liegt, darf auch nicht mehr entfernt werden. Das heißt, wenn nach 50 Jahren alles verwest ist und keine Knochen mehr übrig sind und dieses Grab noch mal genutzt wird, versetzt oder vielleicht in verschiedenen Ebenen in der Tiefe, dann stellt das kein Problem dar, das ist eine Möglichkeit. Aber wichtig ist: Es darf nichts entfernt werden."
Fast zehn Jahre lang haben Samir Bouaissa und der Interessenverband Wuppertaler Moscheen darauf hingewirkt, einen eigenen Friedhof zu gründen.
"Dass es so einer langer Weg wird, haben weder wir noch unsere Begleiter und Unterstützer aus der Verwaltung und Politik gedacht. Weil wir stießen erst viel später darauf, dass man im Land ein Gesetz ändern muss, bis das möglich ist."
Gemeint ist das Bestattungsgesetz in Nordrhein-Westfalen, in dem geregelt ist, wer überhaupt einen Friedhof betreiben darf. Nach langer Debatte wurde dieses Regelwerk im vergangenen Jahr überarbeitet. Und herausgekommen ist, wie so oft, wenn es um Religionen geht, ein ziemlich kompliziertes Gesetz. Der CDU-Landtagsabgeordnete und Rechtsanwalt Peter Biesenbach erklärt die Details:
"Das Gesetz sieht nach wie vor vor, dass nur Körperschaften des öffentlichen Rechts Friedhöfe errichten und betreiben dürfen. Das sind überwiegend Kommunen und eben die großen christlichen Kirchen – Organisationen, die auch als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt sind."
Dieser Status fehlt allerdings fast allen muslimischen Gemeinden in Deutschland. Deswegen dürfen sie keine eigenen Friedhöfe betreiben, außer eben jetzt in Nordrhein-Westfalen. Kommunen können hier – und das ist bundesweit einzigartig – den Betrieb an eine "gemeinnützige Religionsgemeinschaft" oder einen "religiösen Verein" übertragen, wobei die Kommune selbst Träger des Friedhofs bleibt. Auch in Düsseldorf laufen dazu bereits Sondierungsgespräche. Aber ist das wirklich ein Schritt in die richtige Richtung? Peter Biesenbach hat seine Zweifel.
"Eine Gefahr sehe ich darin nicht. Ich find’s nur schade. Wir leben zusammen. Wir gehen in dieselben Schulen. Wir gehen in dieselben Gaststätten. Wir leben an denselben Plätzen. Wir feiern gemeinschaftlich Feste. Dann finde ich es immer schade, wenn es dann heißt: Aber wir wollen auch Unterschiede – zum Beispiel bei den Friedhöfen. Wir haben in Nordrhein-Westfalen Friedhöfe, wo über 20 Religionsgemeinschaften gemeinsam und zufrieden ihre Toten bestatten. Das meine ich, sei ein guter Weg der Integration, und nicht zu sagen: Wir separieren."
Interesse an eigenen Friedhöfen in vielen Städten
Wenn Muslime also einen eigenen Friedhof betreiben, wäre das demnach das Gegenteil von Integration: nämlich Separation – ein ungewöhnlicher Gedanke, weil dann auch Moscheen, Kirchen und Synagogen Orte der Separation wären. Andreas Bialas, SPD-Landtagsabgeordneter aus Wuppertal, wiederum meint, dass es – im Zuge der Gleichberechtigung von Religionsgemeinschaften – wichtig sei, dass natürlich auch Muslime ihren eigenen Friedhöfe betreiben dürfen.
"Also für mich trägt er eindeutig dem integrativen Gedanken Rechnung. Ich gebe mal ein anderes Beispiel: Ich kann natürlich auch sagen, jeder kriegt eine Wohnung, aber es darf ein bestimmter Prozentsatz nur eine Wohnung mieten, während andere eine Wohnung kaufen können. Beide haben ein Dach über dem Kopf und dürften sich nicht beschweren. Ich halte davon relativ wenig."
Schon immer sei es ein Anliegen von Religionsgemeinschaften gewesen, eigene Friedhöfe zu betreiben, weil es für sie eine eigene Qualität habe. Muslimische Gräberfelder auf kommunalen Friedhöfen würden dagegen kaum genutzt, hat Andreas Bialas beobachtet.
"Wir haben ja gesehen, dass wir muslimische Gräberfelder haben, die schlicht und ergreifend nicht angenommen wurden, weil auch hier man im Grunde genommen weitestgehend in Anführungszeichen nur Gast gewesen wäre. Also, im Grunde genommen ein sehr deutliches Zeichen, dass Deutschland als der letzte Ort nicht anerkannt und akzeptiert wurde."
Mittlerweile haben auch Muslime in Hessen und Hamburg Interesse bekundet, einen eigenen Friedhof zu gründen. Der liberalen "Ahmadiyya Muslim Gemeinschaft" wurde 2013 und 2014 in beiden Bundesländern der Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen – als erster Organisation von Muslimen in Deutschland überhaupt. Daraus leitet sich für sie ein Rechtsanspruch auch auf eigene Friedhöfe ab, von dem sie demnächst Gebrauch machen wollen. In Wuppertal dagegen müssen die in Vereinen organisierten Muslime erst mit der Stadt einen Beleihungsvertrag aushandeln. Den Angaben der Stadt zufolge gibt es keine Probleme. Im Gegenteil: Die Kommune hat das Vorhaben der Muslime von Anfang an mitunterstützt. Es könnte also auch hier ganz schnell gehen. Sehr zur Freude von Samir Bouaissa.
"Wir hoffen, dass wir nächstes Jahr um diese Zeit hier die ersten Bestattungen durchführen können. Wenn die Integration vollendet werden soll, dann gehört auch das Sterben und das hier Bestattet-Werden dazu. Dass nicht immer im Hinterkopf bleibt: Ich bin jemand anderes. Ich gehöre nicht dazu."
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