Politologin: Wir steuern auf "Operation am offenen Herzen" zu

Ulrike Guérot im Gespräch mit Nana Brink · 29.08.2011
Nach Meinung der EU-Expertin Ulrike Guérot braucht die Europäische Union in der aktuellen Schuldenkrise dringender denn je gemeinsame Entscheidungsmechanismen – eine gemeinsame Fiskalpolitik sei längst überfällig.
Nana Brink: Mittlerweile dürfte fast allen klargeworden sein: Bei der Rettung des Euro und der Hilfe für die angeschlagenen Länder in Europa werden EU-Verträge gebrochen, die ja einmal klargestellt haben, es darf kein Bail-out geben. Und es werden auch demokratische Prinzipien ausgehebelt: Alle wesentlichen Entscheidungen werden ja nur noch von den Staats- und Regierungschefs getroffen, also Merkel und Sarkozy entscheiden über Eurobonds oder nicht. Mittlerweile regt sich Widerstand in den Ländern, nicht zuletzt sieht sich ja auch Merkel einer wachsenden Kritik aus den eigenen Reihen konfrontiert. Heute tagt wieder das Präsidium der sich streitenden CDU, um sich genau jenem Thema zu widmen. Am Telefon ist jetzt Ulrike Guérot, sie leitet das Berliner Büro des European Council on Foreign Relations, das ist eine einflussreiche Denkfabrik, die Analysen für Europa erstellt. Einen schönen guten Morgen, Frau Guérot!

Ulrike Guérot: Guten Morgen!

Brink: Wo führen diese Hinterzimmerentscheidungen der Staatschefs noch hin? Haben die Angst vor ihren Parlamenten?

Guérot: Ich glaube nicht, dass sie Angst haben. Entscheidungen müssen schon vorbereitet werden und sie müssen natürlich übernational vorbereitet werden, weil wir ja sozusagen wissen müssen, wo wir gemeinsam mit der Europäischen Union hinkommen. Ich gebe Ihnen recht, es ist genau das Demokratieproblem im Moment in der Europäischen Union, dass die Parlamente sozusagen nicht mehr mitkommen, und genau das stellt uns vor die zentrale Frage: Wie organisieren wir jetzt eigentlich die Demokratie innerhalb der Europäischen Union, denn wir müssen ja Entscheidungen auf europäischer Ebene treffen.

Brink: Ja, machen wir das doch mal an einem konkreten Thema fest: Soll es zum Beispiel die sogenannten Eurobonds geben, und wo muss das entschieden werden?

Guérot: Ja, das ist eine Frage, wenn Sie sich erinnern: Margaret Thatcher, die hat 1989 gesagt, ich mache die Währungsunion nicht mit, denn es geht in das Herz von Regierung. Und was sie damit gemeint hat, ist natürlich, dass, wenn man eine Währungsunion macht, dass man tatsächlich über auch die Ausgabenstruktur eigentlich gemeinsam entscheiden muss. Man tut sein Geld zusammen und man muss gemeinsame Mechanismen finden, wofür wird dieses Geld ausgegeben? Und an dieser Herzensfrage, da ist jetzt die Währungsunion, da sind wir jetzt im Euro 18 Jahre später angekommen. Die Parlamentsvorbehaltsfrage, um die es jetzt im Bundestag geht, ist ja genau das: Es geht jetzt darum, dass wir diesen Rettungsschirm haben, dieses EFSF, ein Direktorium, das Entscheidungen fällt, wann einem Land geholfen werden kann, unter welchen Kriterien, da geht es jetzt darum, werden das die Finanzminister, die europäischen, entscheiden? Und es geht spezifisch darum: Geht der deutsche Finanzminister da eigentlich mit einem imperativen Mandat hin, also wird er rückkoppeln müssen mit dem Bundestag, und wenn ja, wie, und wenn ja, wie oft? Oder kann er vielleicht nur mit dem Wirtschaftsausschuss rückkoppeln? Und das ist die zentrale Frage: Eigentlich müsste es so sein, dass, wenn wir Eurobonds haben, dann müssen wir eigentlich eine europäische Struktur schaffen, in der wir auch gemeinsam über die europäische Ausgabenstruktur entscheiden. Wenn ich ein kleines weiteres Beispiel geben darf: Wir wissen, Libyen-Einsatz, das hat die Franzosen jeden Tag eine Million gekostet; wenn es nächstes Jahr um die Haushalte geht, können wir nicht mit dem spitzen Finger auf Frankreich zeigen, dass die ein größeres Defizit haben. Das Geld muss ja irgendwo herkommen. Können wir dann den Franzosen Schlendrian vorwerfen? – Ja, das sind so Fragen.

Brink: Weil wir ja wissen, dass wir den europäischen Finanzminister nicht haben, bleiben wir doch noch mal bei den Eurobonds. Da bleibt ja auch für Deutschland die entscheidende Frage: Wer kontrolliert denn dann die anderen Länder? Das ist ja genau die knifflige Frage, mit der dann auch ein deutscher Finanzminister konfrontiert ist. Wie löst man das?

Guérot: Ganz genau. Und da ist natürlich auch die Frage allein vom Denken her, ob der Kurs, der bisher eingeschlagen wurde, diese Schuldenbremse, ob das die letztverbindliche Lösung ist. Natürlich sind Schuldenbremsen gut, natürlich müssen Aufgabenstrukturen, Ausgabenstrukturen reduziert werden, wir wissen alle, dass wir zu viel ausgegeben haben und jetzt die Schulden senken müssen, das ist schon klar. Schuldenbremsen können trotzdem national gebrochen werden. Ich erinnere an den Stabilitätspakt: Wir hatten de facto eine Art Schuldenbremse im Maastrichter Vertrag. Wir haben sie gebrochen, die Franzosen haben sie gebrochen, andere Staaten haben sie gebrochen. Die Frage ist, ob man das eben, ob man diese Entscheidung gewissermaßen föderalisieren könnte, in dem man zum Beispiel sagt, das Europäische Parlament muss mit entscheiden darüber, wer das Geld ausgibt. Sven Giegold zum Beispiel, der Europaparlamentarier, hat letzte Woche diesen Vorschlag gemacht und hat gesagt, im Grunde, wenn wir Eurobonds machen, dann muss es auch eine europäische parlamentarische Zustimmung dazu geben, wer diese Eurobonds ziehen darf. Also, wer zum Beispiel …

Brink: … ist das denn – Pardon! – realistisch?

Guérot: Ja, das ist eine wirklich berechtigte Frage und ich bin nicht naiv, ich bin oft in Brüssel, ich sehe, wie das Europäische Parlament arbeitet, es ist ein sehr gutes Parlament, aber es ist natürlich ein schwerfälliges Parlament und das liegt allein an der Sprache. Machen wir uns nichts vor: Es ist sehr schwierig oder es würde sehr schwierig werden, europäische Demokratie zu organisieren allein schon deswegen. Aber die Frage ist natürlich auch, was sind die anderen Alternativen? Und wie könnte man … Zumindestens demokratietheoretisch wäre es die, ich sag mal, die logischste Lösung, dass wir sagen, wenn wir eine Fiskalunion haben – auch Herr Schäuble hat inzwischen eine fiskalische Einheit gefordert, wir sehen ja, dass die Diskussion in der CDU gerade massiv aufbricht, auch Frau von der Leyen ist mit sehr weitreichenden Vorschlägen an die Öffentlichkeit getragen, also es gibt jetzt wieder Worte in der Diskussion wie Vereinigte Staaten von Europa –, und dann kann es logisch nur sein, dass wir auf eine zumindest partielle Durchbrechung des Prinzips der nationalen Haushaltssouveränität zusteuern. Das ist schwierig, das ist kein leichter Schritt, das wäre ein historischer Schritt sogar …

Brink: … weil es ja auch eigentlich mit den europäischen Regeln kollidieren würde, nicht?

Guérot: Na ja, es kollidiert mit den europäischen Regeln von 1992, genauer mit der No-Bail-Out-Klausel 125 im Maastrichter Vertrag. Aber machen wir uns nichts vor: Alle, die damals dabei waren, wussten, dass diese Regel im Grunde theoretisch richtig, aber praktisch unhaltbar ist. Und das haben wir jetzt 18 Jahre. Ich meine, die Kritiker des Euros, die damals Kritiker des Euros waren, haben ja genau deswegen gesagt, dass die Währungsunion im Grunde so nicht funktionieren kann, und kann sie eben auch nicht. Das heißt, wir steuern jetzt so langsam auf die Operation am offenen Herzen hinzu, die da lautet, im Grunde wusst… - Wir haben ja auch gehofft damals, als wir den Euro gemacht haben, dass wir uns wirtschaftspolitisch, fiskalpolitisch aneinander annähern. Das haben wir halt nicht gemacht, wir müssten das jetzt nachholen. Das hat sogar Herr Kauder im Deutschlandfunk-Interview gestern im "Interview der Woche" gesagt, dass wir jetzt einen großen, beherzten Schritt in Richtung mehr politische Union machen müssten, und genau darum geht es.

Brink: Dann sind wir doch noch mal ein bisschen beherzter: Muss es dann einen europäischen Finanzminister geben, oder ist es dafür nicht eigentlich schon zu spät?

Guérot: Das ist ein bisschen in die Richtung, in die Herr Schäuble denkt, ein europäischer Treasury, das ist das, was die Märkte de facto einfordern. Jetzt sitze ich nicht hier und sage, wir müssen in der Politik immer das machen, was die Märkte einfordern, aber in diesem Falle ist es sozusagen demokratisch oder demokratietheoretisch im Grunde vernünftig. Also, ich will nur noch mal diesen ganz entscheidenden Punkt machen: Wenn wir Eurobonds machen, dann heißt das, dass wir in eine gemeinsame Schuldenhaftung gehen. Und wenn wir in eine gemeinsame Schuldenhaftung gehen oder gingen, indirekt, dann müssen wir doch de facto kollektive Entscheidungsmechanismen finden, wer wie viel wofür ausgeben darf. Und deswegen halte ich es eigentlich auch für falsch, dass wir immer nur über Wirtschaftsregierung reden. Denn mein Beispiel mit Libyen und dem Militäreinsatz zeigt ja: Wir müssen dann Möglichkeiten finden, wie die Länder, die in der – ich sage nicht, das Europäische Parlament –, sondern die, die in der Eurobonds- oder in der Eurozone sind, wie die de facto eine europäische Entscheidung darüber treffen können, wer welches Geld wofür ausgibt. Das müssen gemeinsame Entscheidungen sein.

Brink: Also, wir sind ja nicht naiv. Wie lange wird das dauern? Gerade bei den Deutschen, die ja da sehr hartnäckig sind?

Guérot: Wir haben ein Europäisches Parlament, also so … Das kann sehr schnell gehen. Und im Grunde, wenn gedanklich klar ist, was wir machen müssen, sind das jetzt keine Jahre von Prozessen. Das würde ich nicht sagen. Wir bauen jetzt das ESFS, wir haben einen klaren Entscheidungsmechanismus, wie dieses Geld operationell einsetzbar sein kann, und wenn wir jetzt entscheiden, dass zum Beispiel es keinen Parlamentsvorbehalt im Bundestag gibt oder nur einen sehr bedingten, aber jedenfalls kein imperatives Mandat, sondern dass wir diese Entscheidung auf das Europäische Parlament verlagern, dann können wir das auch machen. Das kann schnell gehen.

Brink: Ulrike Guérot, sie leitet das Berliner Büro des European Council on Foreign Relations. Schönen Dank, Frau Guérot, für das Gespräch!

Guérot: Danke schön!

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