Politologe zum AfD-Parteitag in Stuttgart

"Ganz klares Feindbild Islam"

Alternative für Deutschland, Logo, Parteilogo
Das Logo der Partei Alternative für Deutschland. © Bernd Wüstneck / dpa
Michael Lühmann im Gespräch mit Ute Welty · 30.04.2016
Im AfD-Programmentwurf ist vom Verbot von Minarett, Muezzin und Ganzkörperverschleierung die Rede. Teilen der Partei geht das noch nicht weit genug. Der Politologe Michael Lühmann kritisiert das AfD-Feindbild Islam als Strategie und innere Überzeugung.
Auf ihrem Programmparteitag in Stuttgart will die Alternative für Deutschland (AfD) drei Jahre nach ihrer Gründung erstmals ein Grundsatzprogramm beschließen. Dabei positioniert sich die AfD auch weiter gegen den Islam: In einem vom Bundesvorstand getragenen Entwurf heißt es unter anderem: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland." Auch vom Verbot von Minaretten, Muezzin-Rufen und Ganzkörperverschleierung ist die Rede. Teilen der Partei geht das noch nicht weit genug.
Der Politikwissenschaftler Michael Lühmann hält die Positionierung der Alternative für Deutschland (AfD) gegen den Islam für bewusste Agitation, aber auch stark in inhaltlichen Überzeugungen begründet.

Ein neues Feindbild aufbauen

"Es ist zum einen natürlich populistisch, weil man mit dem Islam ein neues Feindbild aufbaut", sagte Lühmann im Deutschlandradio Kultur über die Motive der Alternative für Deutschland (AfD), mit ihrer Islam-Kritik ein neues Thema zu setzen. Die Positionen der AfD zum Islam seien aber auch inhaltlich begründet. Sie gingen bei der Parteivorsitzenden Frauke Petry auch auf frühere gute Kontakte zur mittlerweile aufgelösten "extrem islamfeindlichen" Partei "Die Freiheit" zurück. Partei-Vizevorsitzende Beatrix von Storch habe als radikale Evangelikale ein "ganz klares Feindbild Islam", weil dieser ihrer eigenen auf Missionierung angelegten Religion entgegenstehe, sagte der Politikwissenschaftler vom Göttinger Institut für Demokratieforschung.

"Starke Differenz zum Establishment suggerieren"

Die Positionen der AfD im Entwurf für das Parteiprogramm, in dem vom Verbot von Minaretten, Muezzin-Rufen und Ganzkörperverschleierung die Rede ist, kritisierte Lühmann aber auch als geplante und gezielte Provokation: "Es ist ein typisches Spiel der AfD, Ängste und vor allem Ressentiments aufzugreifen, zu verschärfen und dem politischen Gegner vor die Füße zu werfen". Damit versuche die Partei eine starke Differenz zum Establishment zu suggerieren, um sich erneut als "die andere Alternative" präsentieren zu können. Egal wie sehr sich die Partei dabei radikalisiere, dies führe offenbar auch dazu, dass die AfD in Umfragen immer noch hinzugewinnen könne, zeigte sich der Lühmann besorgt. Tatsächliche Sorgen um kulturelles Zusammenleben könnten aber nicht durch Verbote von Minarett- oder Muezzin-Rufen gelöst werden, erklärte der Politikwissenschaftler.

Neue Flügelkämpfe: Neoliberal, Rechts und noch Rechter

Beim Parteitag gehe es auch darum, starke Flügelkämpfe zu verhindern. Parteivorsitzende Frauke Petry verortet Lühmann im rechten Flügel, da sie sich auch "immer wieder selbst zum rechten Rand positiv geäußert hat". Petry fürchte mittlerweile aber vor allem den Machtanspruch der "noch offen Rechteren wie Björn Höcke und Alexander Gauland" und dessen möglichen Ansprüchen auf den Parteivorsitz. Mit Blick auf die frauen- und familienpolitischen Vorstellungen im Entwurf für das Parteiprogramm diagnostizierte Lühmann einen Wunsch nach der Rückkehr in die Zeit der Adenauer-Republik, allerdings lediglich unter deren kulturellen Vorzeichen, und nicht unter deren Grundsätzen des sozialpolitischen Ausgleichs. Lühmann erklärte weiter, er sehe die AfD auch nicht als "Partei der kleinen Leute", auch wenn der radikal-neoliberale Anteil im Programm-Entwurf bereits entschärft worden sei.

Rund 1.300 AfD-Mitglieder haben sich für den 5. AfD-Bundesparteitag in Stuttgart vom 30. April bis zum 1. Mai 2016 angemeldet. Sie sollen über den 74-seitigen Programmentwurf entscheiden. Mehrere komplette Gegenentwürfe und 1425 Seiten mit Änderungsanträgen liegen vor. Weitergehende Vorschläge wollen den Islam auch als unvereinbar mit der Verfassung eingestuft sehen und den Bau und Betrieb von Moscheen generell verbieten.

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Kein Jahr ist es her, dass sich die Umfragewerte der AfD im Sinkflug befanden. Die Partei war gespalten und schien erledigt, zumal der liberale Flügel aus der AfD exekutiert worden war. Inzwischen bietet sich ein völlig anderes Bild: Die Partei ist im Aufwind und sie rückt immer weiter nach rechts. Nach dem Euro steht jetzt der Islam im Fokus. Das Programm der AfD, das am Wochenende auf dem Parteitag verabschiedet werden soll, sieht eine scharfe Anti-Islam-Politik vor. Der Islam als Religion sei unvereinbar mit der freiheitlichen Verfassung. Symbole des Islam sollen aus der Öffentlichkeit verbannt werden. Warum die AfD sich so positioniert, bespreche ich jetzt mit Michael Lühmann, Politikwissenschaftler am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Guten Morgen!
Michael Lühmann: Guten Morgen!
Welty: Warum konzentrieren sich Partei und Parteichefin jetzt derart auf den Islam? Ist das vor allem populistisch oder steckt da mehr dahinter?

AfD-Anti-Islam-Kurs: "Alles andere als zufällig"

Lühmann: Es ist, glaube ich, eher sowohl als auch. Also es ist zum einen natürlich populistisch, weil man mit dem Islam eben ein neues Feindbild aufbaut, nachdem Euro und Zuwanderung jetzt so ein bisschen durch sind, das ist ganz typisch und ein Wesensmerkmal von rechtspopulistischen Bewegungen, dass sie immer mal ein neues Thema bringen müssen, draufsatteln müssen. Das andere ist, was einen ebenso wenig verwundert in Bezug auf die Parteichefin: Schon als sie in Sachsen die AfD gegründet hat, ging "Die Freiheit"… also diese extrem islamfeindliche Partei, die sich dann aufgelöst hat, gingen die Führungskader der "Freiheit" bei Frauke Petry im Pfarrhaus ein und aus und haben diese Parteigründung mit vorbereitet. Also das ist alles andere als zufällig, dass eine Petry-Partei und eben die interessierten Gruppen drum herum und der Vorstand drum herum so einen Versuch angehen. Hinzu kommt auch noch – auch das ist wichtig –, Beatrix von Storch als radikale Evangelikale hat natürlich ein ganz klares Feindbild Islam, weil es quasi ihre eigenen auch auf Mission ausgerichtete Religion entgegensteht. Also da kommt eine ganze Menge zusammen an Angebot, aber auch in der Überzeugung.
Welty: Inwieweit ist die Art und Weise, das Thema Islam anzufassen, programmatisch für den Rest des Programms, zum Beispiel auch für das Thema Familie und Gleichberechtigung?

Anlehnung an die Adenauer-Republik ohne deren sozialpolitischen Teil

Lühmann: In dem Sinne zieht es sich durch, dass es immer wieder an Stellen durchdringt und dann immer wieder Punkte dazu kommen, wo man sich auf den Islam bezieht und kritisch und negativ bezieht. Bei der Familienpolitik, bei der Gleichstellung ist es weniger das Islambild, an dem man sich irgendwie orientiert, sondern die ganz alte Bundesrepublik und dabei auch nur eine halbe Bundesrepublik. Also die Bundesrepublik Adenauers und diese Zeit der frühen 60er-Jahre, bevor dann eben die Republik sich selbst noch mal neu erfand in gewisser Weise und sich eben selbst befragte, durch die 68er, sondern das davor, aber eben nur eine halbe Bundesrepublik. Das meine ich so, dass man sich familienpolitisch, gesellschaftspolitisch, kulturell an die Adenauer-Republik anlehnt, sozialpolitisch gleichwohl nicht, also Kooperatismus und im Prinzip der soziale Ausgleich in der Bundesrepublik, der dann kam, das ist nichts, was die AfD will. Sie will vor allen Dingen diese kulturelle alte Bundesrepublik wiederhaben.
Welty: Die AfD präsentiert sich auch gerne als Anwalt der Schwachen. Lässt sich dieser Anspruch aufrechterhalten, wenn man die entsprechenden Kapitel zur Leiharbeit, zur Erbschaftssteuer oder eben auch die schon angesprochene Sozialpolitik anschaut?

Neue interne Machtkämpfe

Lühmann: Von dem, was man bis jetzt sieht, kann man eher nicht von einer Partei der kleinen Leute reden. Da ist aber natürlich eine ganze Menge Musik drin. Man hat einen Teil rausgenommen aus dem allerersten Programmentwurf, der radikal-neoliberal war und hat jetzt ein ganzes Stück weit zurückgesteckt und sagt, diesen Konflikt will man nicht führen, weil man natürlich auch in gewisser Weise ein Problem hat: Man muss, wenn diese Partei nicht auseinanderfliegen will jetzt auf dem Parteitag oder zumindest sehr starke Flügelkämpfe erleben will, dann muss man so jemanden wie den Meuthen in Baden-Württemberg drinhalten, damit er die Partei mitgeht, aber man hält nicht drin mit einem linken Sozialprogramm, der braucht sein neoliberales Sozialprogramm, aber das ist wieder etwas, was an der Basis durchaus umstritten ist. Also da geht es munter hin und her an unterschiedlichen Wünschen, und man weiß gar… Also gerade bei der Sozialpolitik weiß man überhaupt nicht, wo die AfD hinwill, man ahnt es nur, weil eben die Vorbereitungskräfte alle aus neoliberalen Zusammenhängen kamen, aber ob sich das wirklich durchsetzt, ist völlig offen.
Welty: Wenn Sie sagen, eine Figur wie Meuthen muss in der Partei gehalten werden – welches Risiko geht die Parteivorsitzende Frauke Petry an dieser Stelle ein, denn den rechten Rand einzufangen, das kann ja auch schiefgehen? Die Erfahrung hat Petry-Vorgänger Lucke schon gemacht.

Der Machtanspruch der "noch Rechteren"

Lühmann: Ja, das ist im Prinzip auch relativ abstrus, weil sie eigentlich selbst zum rechten Rand gehört. Sie hat früher Höcke gegen Lucke verteidigt, sie hat sich immer wieder positiv zum rechten Rand geäußert. Sie hat jetzt einen neuen Parteisprecher, Markus Frohnmaier, der aus der Jungen Alternative kommt, die weit, weit rechts steht von dem, was inszeniert wird, was die AfD sei, aber natürlich fürchtet Frauke Petry den Machtanspruch dieser noch offen Rechteren wie Höcke oder wie Alexander Gauland, der jetzt gesagt hat, er will auf gar keinen Fall Bundespräsident werden für die AfD. Gauland ist einer, der im Hintergrund sehr stark dafür sorgt, dass eigentlich er die richtige Figur ist. Er ist von Anfang an dabei, er prägt von Anfang an diese Partei, und natürlich würde er sich für den besseren Vorsitzenden halten.
Welty: Was an realen Ängsten und Sorgen nimmt die AfD auf und was von diesen Sorgen wird in der AfD vor allen Dingen instrumentalisiert, um eben so etwas wie eine Machtanspruch auch durchzusetzen?

Ängste und Ressentiments abholen und verschärfen

Lühmann: Reale Sorgen – es gibt mit Sicherheit Sorgen darum, wie die Zukunft gestaltet werden kann im ganz allgemeinen Sinne. Da hat die AfD überall Äußerungen zu, aber überall ist es eine sehr vereinfachte Sicht auf die Dinge, und die Lösungsansätze sind wiederum gar nicht geeignet oder sind weit, weit über das Ziel hinaus. Man kann, wenn man Sorge um so etwas wie kulturelles Zusammenleben und Integration hat, nicht das Minarett und den Muezzin verbieten. Das ist aber so das typische Spiel der AfD, die radikale Forderung hineinzubringen, um bestehende Ängste, aber meistens sind es keine Ängste, sondern schon harte Ressentiments, abzuholen, zu verschärfen und dann wieder dem politischen Gegner vorzuwerfen, vor die Füße zu werfen, weil man genau weiß, auf dieser Basis kann man eigentlich normalerweise nicht miteinander diskutieren. Damit zeigt man auch die starke Differenz zum "Establishment", zum "Mainstream", zur "Lügenpresse", zu allem, was da konstruiert wird und ist dann wieder diese radikale andere Alternative, die offensichtlich – auch das muss man sagen –, egal, wie sehr sie sich radikalisiert, in Umfragen immer noch scheinbar hinzugewinnen kann.
Welty: Vor dem Parteitag lohnt sich der intensive Blick auf den AfD-Programmentwurf, und den haben wir gewagt zusammen mit dem Politikwissenschaftler Michael Lühmann. Danke dafür!
Lühmann: Sehr gern, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Mehr zum Thema