Politologe: Militärschlag gegen Iran bringt bestenfalls Zeitgewinn

Oliver Meier im Gespräch mit Marietta Schwarz · 09.11.2011
Oliver Meier hat sich skeptisch hinsichtlich eines militärischen Vorgehens gegen den Iran geäußert. Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik forderte weitere gezielte Sanktionen gegen das Nuklearprogramm.
Marietta Schwarz: Die westliche Welt blickt einmal mehr besorgt in den Nahen Osten, zu den bestehenden Unruheherden könnte in Kürze noch einer hinzukommen: Israel nämlich hat mit einem Militärschlag auf iranische Atomanlagen gedroht. Gerade hat die Internationale Atomenergiebehörde IAEA Ihren neuen Bericht vorgelegt, und daraus geht eindeutiger als je zuvor hervor, dass die iranische Regierung entgegen eigener Aussagen an der Entwicklung von Atomwaffen arbeitet und damit auch schon ziemlich weit fortgeschritten ist. Aus Wien Jörg Paas.

Beitrag von Jörg Paas

Soweit Informationen von Jörg Paas, und am Telefon ist Dr. Oliver Meier vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Uni Hamburg, er beschäftigt sich schon lange mit Rüstungskontrolle. Guten Morgen, Herr Meier!

Oliver Meier: Schönen guten Morgen!

Schwarz: Sind Sie überrascht über die neuen Erkenntnisse der IAEA?

Meier: Nein, überrascht kann man sicherlich nicht sein, der Bericht bestätigt das, was die Experten aber auch sicherlich die Geheimdienste schon seit Langem vermuten, dass der Iran eben gezielt auch versucht, die Fähigkeit zu erlangen, nicht nur spaltbares Material für Atomwaffen herzustellen, sondern auch Sprengkopf, den Sprengkopf zu entwickeln, und er macht diesen Befund glaubwürdiger und von daher ist da nichts grundsätzlich Neues drin. Aber er macht es für den Iran eben praktisch unmöglich, jetzt noch zu behaupten, dass es hier nur um zivile Aktivitäten geht.

Schwarz: Kann man sagen, dass mit diesem Bericht Ahmadinedschad erstmals der Lüge überführt worden ist?

Meier: Nein, er ist ja schon öfter der Lüge überführt worden, und da, auch da ist der Bericht eigentlich keine neue Wendung in dieser Geschichte. Aber er räumt im Grunde genommen mit der iranischen Behauptung auf, dass hier zivile Absichten noch mit im Spiel wären. Über die Hälfte dieses Berichtes beschreibt eben sehr detailliert, wie im militärischen Bereich geforscht wird, und viele dieser Aktivitäten sind eben eindeutig mit zivilen Absichten ja gar nicht mehr zu erklären.

Schwarz: Dieser Bericht beruht auf Informationen von Geheimdiensten, denn die iranische Regierung lässt ja niemanden in ihre Anlagen rein. Könnte der Bau also auch schon fortgeschrittener sein?

Meier: Also zum Ersten beruht der Bericht eben nicht nur auf Informationen von Geheimdiensten, das ist eigentlich das wirklich Eindrucksvolle auch an diesem Bericht, wie bei jeder einzelnen Tatsache beschrieben wird, wie Informationen, die aus Geheimdienstkreisen kamen, bestätigt werden konnten durch andere Quellen, durch eigene Quellen der IAEO, zum Teil auch durch offene Quellen oder durch Informationen zum Beispiel auch aus dem nuklearen Schwarzmarkt heraus, wo bestimmte Leute ja offensichtlich mit der IAEO geredet haben. In der Tat ist die beunruhigende Möglichkeit, dass es hier einen weiteren Teil des Programms gibt, von dem wir noch nichts wissen, direkt in dem Bericht erwähnt, und das ist also eine weitere Tatsache, die diesem Bericht Bedeutung verleiht.

Schwarz: Sie haben den Schwarzmarkt angesprochen. Der iranischen Regierung soll ja ein Schmuggelnetzwerk um einen pakistanischen Atomwissenschaftler herum geholfen haben. Was weiß man denn über solche Netzwerke?

Meier: Na, über dieses konkrete Netzwerk weiß man mittlerweile eine ganze Menge schon, weil dieses Netzwerk 2003, 2004 aufgedeckt worden ist, und es ist eben klar, dass dieser Herr Khan – der hier seit den 80er-Jahren nicht nur den Iran, sondern auch Libyen, Nordkorea mit Nukleartechnologie versorgt hat – dem Iran hier ein komplettes Angebot sozusagen gemacht hat und bestimmte Informationen hier auch eben, die in den Bereich Bau eines Sprengkopfes gehen, dem Iran zur Verfügung gestellt hat. Dieses konkrete Netzwerk ist hoffentlich zerschlagen, man weiß natürlich nicht, ob es weitere Netzwerke gibt, die in diesem Bereich arbeiten.

Schwarz: Israel droht jetzt mit einem Militärschlag. Man kann fragen: Musste das so weit kommen, oder hätte man vielleicht in den letzten zehn Jahren auch schon wirksamer gegen die Experimente in den iranischen Labors vorgehen können?

Meier: Ja, das ist im Nachhinein immer schwer zu sagen, ob ein anderer Kurs erfolgreicher gewesen wäre. Im Grunde genommen ändert auch dieser Bericht nichts an der Einschätzung, dass die gezielten Sanktionen gegen das Nuklearprogramm und die militärischen Aktivitäten sinnvoll waren und sinnvoll bleiben, weil eben beschrieben wird, dass bis in die jüngere Vergangenheit hinein noch versucht wurde, hier weiterhin Technologie zu beziehen. Das muss also weiterhin durch Sanktionen erschwert werden und versucht werden zu verhindern. Es zeigt aber auch, dass das iranische System natürlich nicht einheitlich hier agiert, dass die Politik im Iran extrem gespalten ist. Und von daher ist die Verhängung weiterer Sanktionen, also auch umfassenderer Sanktionen, zum Beispiel gegen die iranische Nationalbank, ... sicherlich nicht dazu führen würde, dass diese Spaltungen vertieft werden, sondern wahrscheinlich, dass man dann doch enger zusammensteht. Und auch von daher: Obwohl dieser Bericht eben noch mal die vorhandenen Behauptungen substantiiert, bringt er eigentlich keine grundsätzliche Änderung der Einschätzung der Politik gegenüber dem Iran.

Schwarz: Der Fall Iran wurde ja längst vor dem Sicherheitsrat verhandelt, und es gibt ja auch bereits Sanktionen. Was haben die denn bei der Waffenentwicklung bewirkt, oder besser gesagt gegen die Waffenentwicklung in den letzten zehn Jahren?

Meier: Also es ist schon anzunehmen, dass die iranischen Beschaffungsbemühungen erschwert wurden, es haben natürlich viele Staaten sehr viel genauer hingeschaut, was man dem Iran verkauft und eben auch nicht verkauft. Viele der Informationen, die sich in dem Bericht finden, sind sicherlich auch zustande gekommen, weil iranische Beschaffungsaktivitäten hier aufgedeckt worden sind, weil die Sanktionen bestanden, von daher haben sie schon sicherlich dazu geführt, dass wir mehr Zeit gewonnen haben. In vielen Bereichen haben sie natürlich nicht funktioniert, das wird man dann noch mal neu evaluieren müssen.

Schwarz: Russland und China verhindern im UN-Sicherheitsrat schärfere Sanktionen. Was kann man denn jenseits dessen tun?

Meier: Jenseits dessen muss man weiterhin Gesprächsangebote machen, die auch glaubwürdig sind. Es ist eben so, dass hier auch Teile der iranischen Führung einen anderen Kurs fahren würden, zumindest im militärischen Bereich. Man muss aber eben auch zur Kenntnis nehmen, dass das zivile Atomprogramm auch durch die Opposition unterstützt wird, dass hier auch eine Änderung des Regimes beispielsweise nicht dazu führen würde, dass das Problem plötzlich grundsätzlich gelöst wurde. Militärschläge werden hier auch bestenfalls, aber wirklich auch nur bestenfalls einen weiteren Zeitgewinn bringen, vor allen Dingen eben, weil der Bericht, wie schon erwähnt, deutlich macht, dass es möglicherweise weitere Bestandteile des Programms gibt, die wir noch gar nicht kennen. Da kann man natürlich auch schwer militärisch gegen ein solches Programm vorgehen.

Schwarz: Oliver Meier vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Uni Hamburg, herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Meier!

Meier: Gerne!

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