Politologe: Internationale Gemeinschaft braucht geschlossene Haltung zu Syrien

Bilder nach dem Angriff der syrischen Armee, bei dem angeblich auch Giftgas eingesetzt wurde
Bilder nach dem Angriff der syrischen Armee, bei dem angeblich auch Giftgas eingesetzt wurde © picture alliance / dpa
Oliver Meier im Gespräch mit Christine Watty · 27.08.2013
Oliver Meier, Experte für Sicherheitspolitik, hält eine geschlossene Haltung der internationalen Gemeinschaft bei der Verurteilung von Chemiewaffeneinsätzen für wichtig. Blieben Konsequenzen aus dem mutmaßlichen Giftgaseinsatz in Syrien aus, könnte dies ein Comeback chemischer Waffen einleiten.
Christine Watty: Was passiert in Syrien? Die Welt schaut darauf, ob die USA nun tatsächlich den angekündigten Schlag gegen Assads Militär ausführen, nachdem dieser die sogenannte "Rote Linie" überschritten hat mit dem mutmaßlichen Einsatz von Chemiewaffen, bei dem Hunderte Menschen in der Nähe von Damaskus getötet worden sein sollen. Was bedeutet dieser Einsatz von Giftgas für die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, eben diese Waffen loszuwerden.

Die Ächtung von Chemiewaffen beschäftigt die Welt in verschiedenen Abkommen schon seit bald 100 Jahren, und spätestens seit den 90ern herrscht weitreichende Einigung darüber, dass diese Waffen nicht eingesetzt werden dürfen. Weltweit reichende Einigungen, könnte man sagen, aber mit Ausnahmen.

Wir befragen Oliver Meier von der Stiftung Wissenschaft und Politik zum jahrzehntelangen Versuch, den Einsatz von Giftgas zu verhindern, und zum aktuell möglichen Scheitern damit in Syrien. Herr Meier, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die Bilder mit den vielen toten Zivilisten aus Syrien sahen?

Oliver Meier: Ja, mir ging es, glaube ich, so wie vielen anderen, die sich mit dem Thema beschäftigen. Als wir die Bilder von den Folgen des Angriffes gesehen haben, wir gedacht haben, das ist wie in Halabdscha vor 25 Jahren, als Saddam Hussein einen kurdischen Ort auch mit Chemie- und biologischen Waffen angegriffen hat und damals ungefähr 5000 Menschen starben. Die Bilder haben doch sehr stark an diesen Angriff erinnert, auch mit der Menge der Toten und den direkten Folgen dieses schrecklichen Angriffs.

Watty: Experten sagen auch wie Sie schon jetzt, wenn das Giftgas war, das hier eingesetzt wurde in Syrien, dann ist das der drastischste Eingriff seit eben den Achtzigern, als das im Irak passierte. Wir können nur halb erschrocken sein, denn Syrien hat die Chemiewaffenkonvention von 1997, da trat diese in Kraft, nicht unterschrieben, wie andere Staaten, andere wenige Staaten auch nicht.

Und seit einiger Zeit vermutet man bereits, dass Assad Chemiewaffen bereithält. Aber dieser mögliche Einsatz dreht den langwierigen Konflikt ja jetzt doch in eine andere Richtung. Warum empört es scheinbar noch mehr als die vielen Toten, die es bisher in Syrien gab.

""Es sind eben eindeutig Waffen, die international geächtet sind""
Meier: Weil Chemiewaffen doch in einer anderen Kategorie sind, und zum Glück sind, von Waffen. Es sind eben eindeutig Waffen, die international geächtet sind, und dieses Tabu gegen den Einsatz von chemischen Waffen ist doch eine der großen Errungenschaften in der Geschichte, die wir haben, und dass das hier so unverhohlen verletzt wird, hat doch erschrocken.

Also es ist dieser Tabubruch, glaube ich, der dazu geführt hat, dass hier eine andere Diskussion in Gang gekommen ist. Und man wird eben auch sehen an den Reaktionen der internationalen Gemeinschaft, wie stark dieses Tabu tatsächlich verankert ist in den Köpfen der politischen Entscheider.

Watty: Es gibt nicht nur diese Chemiewaffenkonvention, die ich bereits erwähnt habe, aus den Neunzigern, die bis heute 188 Staaten unterzeichnet haben. Es gab zuvor auch schon ein Dokument, das Chemiewaffen ächtet, das Genfer Protokoll. Fangen wir mal damit an.

Eigentlich ist eben der Einsatz von Giftgas schon seit 1925, damals entstand das Genfer Protokoll, international geächtet. Man zog damit eine Lehre aus dem Ersten Weltkrieg. Chemiewaffen stellten also einen Tabubruch in der Kriegsführung dar. Wie kam es dazu, dieses Protokoll aufzusetzen?

Meier: Ja, das Genfer Protokoll war eine der Lehren und der Folgen des massiven Einsatzes chemischer Waffen im Ersten Weltkrieg. Damals hat es ungefähr eine Million Opfer gegeben im Ersten Weltkrieg, die von chemischen Waffen verletzt oder getötet wurden. Die Welt war etwas erschrocken damals. Man kannte das ja noch nicht, zumindest nicht in dieser Ausformung und in diesem Umfang, dass hier chemische Waffen eingesetzt worden sind.

Und viele Soldaten kamen eben auch mit schrecklichen Verletzungen zurück. Damals hat man ja vor allen Dingen Hautkampfstoffe eingesetzt, die also auch sichtbar Folgen hinterlassen haben. Und das hat dann eben dazu geführt, dass die Chemiewaffen geächtet wurden. Man hat auch Deutschland schon im Versailler Vertrag das untersagt, solche Waffen einzusetzen, und das war eben der erste Schritt zur Ächtung.

Und man hat, darauf aufbauend, dann eben – ja, im Grunde genommen 70 Jahre später erst – es dann auch geschafft, dieses Verbot zu vervollständigen und nicht nur den Einsatz zu verbieten, sondern auch die Entwicklung, die Produktion und den Besitz, mit dem Chemiewaffenübereinkommen in den 90er-Jahren dann.

Watty: Warum hat das Genfer Protokoll eigentlich nicht ausgereicht? Warum dauerte es noch so viele Jahrzehnte, bis man eine weitere Konvention ins Leben gerufen hat?

Meier: Das Genfer Protokoll hat nur den Einsatz oder, um genauer zu sein, den Ersteinsatz von chemischen und auch biologischen Waffen verboten, aber der Besitz eben war damals noch nicht verboten, und man konnte sich damals nicht durchringen, das tatsächlich auch schon zu erfassen. Das hatte auch das Problem, dass man damals noch nicht die Möglichkeiten hatte, ein solches Verbot auch tatsächlich zu überwachen.

Aber viele Staaten wollten sich auch die Möglichkeit vorbehalten, dann auch Vergeltung zu üben durch den Einsatz von chemischen Waffen. Dann kam der Kalte Krieg nach dem Zweiten Weltkrieg, und die beiden Supermächte haben große Mengen, sehr große Mengen von chemischen Waffen auch vorgehalten, auch vor allen Dingen als Vergeltungswaffen, aber auch, weil man dachte, in bestimmten Formen der Kriegführung kann man solche Waffen sinnvoll einsetzen.

Und erst, als der Kalte Krieg dann zu Ende war in den Neunzigerjahren, ist es dann auch gelungen, das Verbot zu vervollständigen, wenn man so will, und eben auch dann den Besitz und die Entwicklung dieser Waffen zu ächten. Und es gibt eben jetzt auch eine Organisation in Den Haag, die tatsächlich dieses Verbot auch überwacht, auch die Vernichtung der immer noch vorhandenen Bestände überwacht, sodass wir eigentlich davon ausgegangen sind, dass – ich will nicht sagen, dieses Thema gelöst ist, aber dass man doch diese Gefahr des militärischen Einsatzes von chemischen Waffen nicht mehr so auf der Tagesordnung steht, wie es noch vor einigen Jahren der Fall war.

""Der EInsatz von Gift und Giftgas ist eben hinterhältig""
Watty: Ist es eigentlich in der Geschichte der Menschheit noch früher zu begründen, dass Krieg oder Kampf so stattfinden muss, dass man weiß, auf was man sich einlässt, und dieser geheime Angriff, eben auch durch Giftgas, eigentlich nicht geschehen darf?

Meier: Ja, das geht eben zurück bis ins Mittelalter auch, als man zum Beispiel die Brunnenvergiftung geächtet hat. Das war etwas, was man nicht tat, weil es unserem oder dem damaligen Konzept auch des fairen, offenen Kampfes widerspricht. Der Einsatz von Gift und Giftgas ist eben hinterhältig und er tötet eben auch Zivilisten.

Und man hat dann in der Haager Landkriegsordnung 1899 auch Prinzipien der Kriegführung festgeschrieben und festgelegt. Und zu diesen Prinzipien gehörte damals schon, dass man eben nicht unterschiedslos Kombattanten und Zivilisten angreift und tötet. Und auch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, dass man also auch im Krieg seine Mittel verhältnismäßig einsetzen darf nur.

Und auch diese beiden Prinzipien, die also schon vor langer Zeit festgeschrieben worden sind als Regeln auch im Krieg, auch die stehen hier natürlich auf dem Spiel, denn es ist also ja auch, wenn man sich die Bilder anschaut, sehr eindringlich, dass hier vor allen Dingen eben Zivilisten, auch Kinder angegriffen werden, und auch, dass hier das Prinzip der Verhältnismäßigkeit eben ganz drastisch verletzt worden ist.

Watty: Oliver Meier von der Stiftung Wissenschaft und Politik hier im Radiofeuilleton im Deutschlandradio Kultur. Sie haben vorhin gesagt, dass man eigentlich das Gefühl hatte, dass man die Chemiewaffen auf jeden Fall weitestgehend gebannt habe - konnte man wirklich dieses Gefühl haben? Denn, wie gesagt, dass Assad mit Chemiewaffen in irgendeiner Form experimentiert, mutmaßlicherweise, war bekannt. Ebenso, dass eben es doch noch ein paar wenige Staaten gibt, die nicht die Chemiewaffenkonvention unterschrieben haben. Stand diese Gefahr nicht die ganze Zeit im Raum?

""Es besteht eben die Gefahr, dass hier ein Comeback der Chemiewaffen eingeleitet wird""
Meier: Ja, ganz gebannt war diese Gefahr nicht. Es gibt eben immer noch sieben Staaten, die dem Chemiewaffenübereinkommen nicht beigetreten sind. Die wichtigsten davon in der Region des Mittleren Ostens, wo eben dieses Thema der Massenvernichtungswaffen, chemische, biologische, auch nukleare Waffen, noch besonders virulent ist.

Von daher wusste man, dass in dieser Region natürlich noch eine große Lücke klafft und eine große Problematik, wie wir jetzt auch am Iran sehen, vorhanden ist. Aber insgesamt hatte man doch den Eindruck, dass der Einsatz chemischer Waffen als Mittel der Kriegführung eigentlich nicht mehr auf der Agenda steht, denn wir haben die - viele Besitzerstaaten, also insgesamt auch sieben Besitzerstaaten, die ihre Bestände deklariert haben, allen voran die USA und Russland, die große Bestände, mehrere 10.000 Tonnen hier deklariert haben, und die werden jetzt vernichtet. Und das steht eben jetzt auf dem Spiel.

Es besteht eben die Gefahr, dass hier ein Comeback der Chemiewaffen eingeleitet wird, weil offensichtlich hier vielleicht sogar eine neue Form des Einsatzes stattfindet, wo über zunächst ja über kleinere Einsätze offensichtlich versucht wurde, Angst und Schrecken zu verbreiten. Und da besteht eben die Gefahr, dass hier tatsächlich wir so eine Art Comeback erleben.

Watty: Abschließend natürlich gefragt, was kann man gegen dieses Comeback der Chemiewaffen tun Ihrer Meinung nach, was sollte nun geschehen?

Meier: Also das Wichtigste ist sicherlich, dass die internationale Gemeinschaft geschlossen auf diesen Einsatz und diese Einsätze reagiert. Leider sieht es im Moment überhaupt nicht so aus, sondern es besteht die Gefahr, dass die Spaltungen, die in der internationalen Gemeinschaft im Umgang mit dem Bürgerkrieg in Syrien und mit dem Regime von Assad bestehen, sich auch niederschlagen in der Bewertung der Chemiewaffenvorwürfe. Wichtig wäre es tatsächlich, dass hier, etwa über den Sicherheitsrat, aber vielleicht auch über die G8 diese Einsätze umfassend geächtet werden.

Ich denke, wenn erwiesen ist, und das scheint ja der Fall zu sein, dass hier massiv chemische Waffen zum ersten Mal seit einem Vierteljahrhundert auch gegen Zivilisten so massiv eingesetzt worden ist, dann darf das nicht folgenlos bleiben, weil eben die Gefahr besteht, dass dann auch andere Staaten oder auch andere Diktatoren möglicherweise die Lehre ziehen, dass diese Waffen vielleicht doch nützliche Instrumente internationaler Politik sein können.

Watty: Dankeschön an Oliver Meier von der Stiftung Wissenschaft und Politik über den mutmaßlichen Einsatz von Chemiewaffen in Syrien.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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