Politologe Fernando Vallespín

Die Spanier sind gespalten

Teilnehmer des "Marsches für Veränderung" am 31.1.2015 in der spanischen Hauptstadt Madrid, zu der die neue Partei Podemos aufgerufen hatte.
Vorbild Syriza: Anhänger der spanischen Partei Podemos auf einem "Marsch für Veränderung" am 31.1. 2015 © picture-alliance / dpa / Elena Shestenina
Moderation: Dieter Kassel  · 20.03.2015
Die Entwicklung in Griechenland hat direkte Auswirkungen auf die bevorstehenden Wahlen in Spanien. Davon ist der Politologe Fernando Vallespín überzeugt. Laufe es gut für Athen, werde davon die spanische Linkspartei Podemos profitieren.
Die Spanier verfolgen aufmerksam den Streit zwischen Griechenland und Deutschland über die Sparpolitik. Dabei seien sie gespalten, sagt der Politologe Fernando Vallespín von der Universidad Autónoma in Madrid: Für die Linke sei der griechische Finanzminister Varoufakis ein Symbol, für die Rechte Bundeskanzlerin Merkel der "Superleader" in Europa.
Das Schicksal Griechenlands ist politisch auch das Schicksal Spaniens
Der Ausgang der im Herbst anstehenden Parlamentswahl in Spanien hänge davon ab, ob die griechische Regierungspartei Syriza Erfolg habe: "Das Schicksal Griechenlands ist auch politisch das Schicksal Spaniens." Die neu gegründete Linkspartei Podemos fühle sich eng mit Syriza verbunden und fordere ebenfalls einen Schuldenschnitt: "Wenn es Griechenland gut geht, wird es gut für Podemos, wenn es Griechenland schlecht geht, ist es schlecht für Podemos", sagt Vallespín.
Spanien hat nicht so mit Armut zu kämpfen wie Griechenland
Richtig vergleichbar sei die Situation von Spaniern und Griechen nicht, auch wenn beiden harte Sparauflagen gemacht wurden: So gehe es in Griechenland nicht nur um hohe Arbeitslosenzahlen, sondern um Armut. "So etwas ist uns nicht passiert", so Vallespín.

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Gestern haben sich abends Vertreter der Europäischen Zentralbank, der Europäischen Union, der Euro-Zone, Griechenlands, Frankreichs und Deutschlands getroffen zu einer extra anberaumten Sondersitzung, die dann dreieinhalb Stunden gedauert hat. Und das Ergebnis lautet: Man wird sich jetzt an die Vereinbarungen halten, auf die man sich schon am 20. Februar geeinigt hat.
Es klingt nach einem ewigen Hin und Her, man wartet regelrecht darauf, dass jetzt bald wieder ein Vertreter der griechischen Regierung sagt, werden wir nicht. Und wir haben deshalb gefragt, wie man eigentlich in ehemaligen Krisenländern Europas auf dieses ewige Gerangel blickt! Und ich habe mich vor der Sendung mit Fernando Vallespín unterhalten, Politologe an der Universidad Autónoma in Madrid, und ihn gefragt, wie die Menschen in Spanien das sehen!
Fernando Vallespín: Ja, ich glaube, die spanische Meinung ist eigentlich gespalten. Die Leute von rechts, würde ich sagen, sind mehr für Deutschland, wenn man es so sagen darf, aber die Leute von links oder Mitte-links sind mehr für Griechenland. Es gibt eigentlich keine Einigung darüber.
Und man informiert auch eine ganze Menge darüber, es ist für uns ein wichtiges Thema. Ich glaube, dass eigentlich wir nicht sicher sind, ob die deutsche Austeritätspolitik eigentlich die richtige ist. Aber auf der anderen Seite denkt man, die Pakte müssen eingehalten werden, und das ist eben das Problem mit Griechenland, dass sie sie nicht einhalten wollen. Und deswegen haben wir diesen Streit.
Kassel: Aber hat man in Spanien vielleicht manchmal auch das Gefühl, dass man selber sozusagen ungerecht behandelt worden ist? Denn Spanien hat ja den Pakt, wie Sie es genannt haben, eingehalten, hat sich an die Regeln gehalten. Und das hat ja auch große Härte bedeutet. Die wirtschaftliche Lage hat sich zwar verbessert, aber viele Spanier haben dafür einen hohen Preis gezahlt. Hat man in Spanien manchmal das Gefühl, mit Griechenland zeigt man jetzt so viel Geduld und mit uns damals nicht?
Vallespín: Ja, das stimmt, aber auch die Lage ist anders. Ich glaube, in Griechenland gibt es ein Humanitätsproblem. Es sind nicht nur die Arbeitslosenzahlen oder ... Es ist eigentlich die Armut. Und es wird viel darüber berichtet. Und so etwas ist uns nicht passiert. Also, ich glaube, es gibt doch große Differenzen zwischen Spanien und Griechenland.
Und in dieser Hinsicht, glaube ich, dass wir vielleicht mehr auf das europäische Problem hinschauen. Denn in Griechenland ist eigentlich das Bruttoinlandsprodukt nur zwei Prozent des europäischen. Und ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll, es ist eigentlich zu einem Crash ... Zwei öffentliche Meinungen haben sich gezankt, würde ich sagen.
Das Problem in Europa ist nicht Griechenland, sondern Putin oder der IS
Kassel: Das meinen Sie vielleicht, man sieht es auch in Spanien sehr stark als Streit, als Diskussion zwischen Griechenland und Deutschland?
Vallespín: Ja, Diskussion zwischen Griechenland und Deutschland. Aber ich glaube, was wir darüber denken, ist, dass es sehr schlecht für die Europäische Union ist. Denn in diesem Fall sind es nicht zwei Regierungen, die sich streiten, sondern zwei öffentliche Meinungen. Ich glaube, das ist das Neue in diesem Konflikt. Wir wissen nicht, wie sich das am Ende lösen kann, das ist eben das Gefährliche.
Und auf der anderen Seite denkt man auch in Spanien, das Problem in Europa im Moment heißt nicht Griechenland, sondern Wladimir Putin von der einen Seite. Von der anderen Seite ISIS, was jetzt auch in Nordafrika passiert, dass jetzt auch in Libyen die Dschihadisten und wahrscheinlich auch jetzt gestern in Tunesien ... Also, wir sind in einer schweren geopolitischen Lage jetzt im Kontinent.
Kassel: Das heißt, man denkt auch so ein bisschen, dass sich vielleicht die Europäische Union zu viel mit Griechenland beschäftigt und damit zu viel Zeit verschwendet, die eigentlich für wichtigere Dinge aufgebracht werden sollte?
Vallespín: Ja, das glaube ich auch, ja. Es wird vielleicht zu viel über Griechenland geredet, aber zu wenig gemacht, um die Union zu befestigen.
Kassel: Denkt man denn in Spanien auch laut darüber nach, was passiert, wenn Griechenland austritt aus dem Euro?
Vallespín: Ja, natürlich. Man diskutiert auch viel darüber. Aber man glaubt es ja gar nicht. Es wäre symbolisch zu hart irgendwie. Das hat man abgelehnt irgendwie, so mental. Das ist schlecht für uns, wenn es passiert, es wäre eigentlich nicht gut, also für den ganzen Süden, es würden vielleicht neue Probleme kommen. Aber auf jeden Fall ist es nicht im Programm, würde ich sagen.
Es gibt eine neue Solidarität in Südeuropa, aber jedes Land ist anders
Kassel: Gibt es, um noch einmal auf Spanien und die Lage Ihres Landes zurückzukommen ... Sie haben ja gesagt, es ist kein so großes soziales, menschliches Problem wie in Griechenland. Das stimmt ganz sicher, aber auf der anderen Seite wissen wir beide, es gibt eine enorme Jugendarbeitslosigkeit in Spanien, man redet bei Ihnen – auch in Portugal – von einer verlorenen Generation zum Teil. Das ist ja ein hoher Preis, den Sie zahlen mussten, um wieder die Schuldenkriterien einzuhalten. Ist man vielleicht manchmal – ich übertreibe vielleicht jetzt leicht – ein bisschen neidisch? Sagt man, den Griechen wird so viel geholfen, man gibt ihnen so viel und wir müssen alleine zurechtkommen?
Vallespín: Ja, das stimmt. Und ich glaube, das ist nicht nur in diesen letzten Jahren, das war auch am Anfang so. Aber die Griechen sind unsere Andalusier, würde ich mal sagen! Und Andalusien wurde ja auch sehr viel geholfen in den letzten 20 Jahren. Aber in jedem Fall, was wir meinen, ist eigentlich, es gibt eine neue Solidarität in Südeuropa, aber jedes Land ist anders. Und wir fühlen das auch so. Und wir haben keinen Deutschen-Hass, wie man es zum Beispiel in Griechenland sieht, aber wir haben es auch nie gehabt.
In den Demonstrationen war Frau Merkel nicht mit dem Hitler-Schnurrbart und solche Sachen. Also, das ist bei uns nicht passiert und wir sind immer sehr Deutschland-freundlich gewesen in dieser Hinsicht. Aber die Austeritätspolitik ist wirklich streng gewesen in den letzten Jahren, das muss man auch bedenken. Also, wir waren die guten Schüler im im Euro am Anfang bis zur Krise. Und das ist, was wir noch nicht richtig bearbeitet haben, so als Kollektiv, als Volk, was passiert ist in den letzten Jahren.
Für die Linke ist Varoufakis ein Symbol, für die Rechte Merkel ein Super-Leader
Kassel: Aber wo Sie gerade Frau Merkel erwähnt haben und auch die Medien, noch mal ganz kurz zurück auf jetzt diesen Konflikt, der ja – in Deutschland wird das so dargestellt, auch in Griechenland – auch ein Konflikt ist zwischen Menschen. Also zwischen Merkel und Schäuble auf der deutschen Seite und zwischen Tsipras und Varoufakis auf der griechischen. Wird das auch in Spanien so kommentiert in den Medien, dass sich da auch die Menschen beharken?
Vallespín: Ja, ja, ja. Es wird auch kommentiert. Zum Beispiel für die Linke ist Varoufakis so ein Symbol. Und für die Rechte ist Merkel ja der Super-Leader in Europa. Also ... Man muss auch bedenken, dass Podemos, die neue spanische Partei von links, eigentlich sich sehr eng zu Syriza fühlt. Und in ihrem Programm steht ganz klar, dass man auch so einen Schuldenschnitt haben muss in Spanie. Ihre Politik ist sehr ähnlich wie die von Syriza, und auch ihr Diskurs. Und in dieser Hinsicht gucken wir auch noch mit großer Achtung auf das, was in Griechenland passiert.
Denn es ist eigentlich auch eine Frage der spanischen Innenpolitik. Wir haben ein sehr langes Wahljahr in Spanien in 2015 und wir enden mit den Nationalwahlen im November. Podemos ist jetzt in den Umfragen eine der drei oder vier größten Parteien im Land. Und deswegen, das Schicksal in Griechenland ist auch politisch das Schicksal Spaniens. Also, wenn es Griechenland gut geht, ist es gut für Podemos, wenn es Griechenland schlecht geht, ist es schlecht für Podemos, könnte man so formulieren.
Kassel: Fernando Vallespín, Politologe an der Universidad Autónoma in Madrid, über den spanischen Blick auf die Griechenland-Krise und auf den Umgang der EU mit Griechenland. Das Gespräch mit Fernando Vallespín haben wir gestern aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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