Politisches Theater

Drei Mal NSU auf der Bühne

Die Schauspielerin Sophia Löffler vom Badischen Staatstheater in Karlsruhe illustriert das Theaterstück mit dem Titel: "Rechtsmaterial". Das Stück von Jan-Christoph Gockel und Konstantin Küspert wird am 29.03.2014 in Karlsruhe uraufgeführt.
Sophia Löffler stellt in "Rechtsmaterial" am Badischen Staatstheater in Karlsruhe Beate Zschäpe dar. © picture-alliance / dpa / Felix Grünschloß / Badisches Staatstheater
Von Elske Brault · 25.03.2014
Drei Psychopathen lässt Regisseur Christoph Mehler am Schauspiel Frankfurt in Lothar Kittsteins NSU-Stück "Der weiße Wolf" aufeinander los. Das Dokumentarprojekt "Rechtsmaterial" in Karlsruhe beleuchtet die drei Charaktere Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt, wohingegen "Urteile" von Christine Umpfenbach in München den Opfern eine Stimme gibt.
"Die jungen Leute hier denken, alles ist erlaubt, oder? Die scheißen drauf! Die kotzen auf den Parkplatz, und ich sag, ok, is gut, wenn du auf den Parkplatz kotzt, aber du machst es weg. Wie weg? Ja du machst es weg Mann, oder ist das nicht deine Kotze? Guck mal hin Mann, guck mal genau hin!"
Autor Lothar Kittstein hat eher frei fantasiert als genau hingeschaut, was das mörderische NSU-Trio zusammengehalten hat. Auf schwarzer Bühne, eingeengt von einer Dachschräge, lässt Regisseur Christoph Mehler drei Psychopathen aufeinander los. Genannt Janine, Gräck und Tosch, unschwer zu erkennen als Beate und die beiden Uwes. Die Frau, Ex-Gespielin des einen, schwanger vom anderen, ist Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Eine sexgeile und doch unsichere Kleinstädterin, mal in Jogginghosen, mal in ein kondomartiges Gummikleid gezwängt. Von den beiden Männern abwechselnd als Urbild der deutschen Frau verehrt oder als Schlampe beschimpft:
"Lass uns in Ruhe!" - "Das geht nicht." – "Geh weg!" – "Geht nicht, ich hab nen Auftrag." – "Von wem?" – "Von niemandem, er ist einfach da, so wie das Land da draußen. So wie die fette schwarze Muttererde."
Banal, gewalttätig, hysterisch
In diesem Tonfall wird am Schauspiel Frankfurt anderthalb Stunden lang geschrien. Die beiden Männer konkurrieren um die Frau, verbünden sich aber auch, um ihr Männerding gemeinsam durchzuziehen. Und nach vollbrachtem Mord gibt’s Hähnchenteile aus der Tiefkühltruhe. So banal, so gewalttätig, so hysterisch mag es in der konspirativen Wohnung zugegangen sein, aber: Wer will das wissen?
Hier zuzuschauen, ist für den durchschnittlichen Zuschauer so aufschlussreich, wie der Blick eines medizinischen Laien in die Gummizellen der Psychiatrie. Da zappeln und brüllen Psychopathen. Nun ja. Solche Typen gibt’s. Was will man machen. Die einzige an die Alltagserfahrungen von Theaterbesuchern rührende Frage, warum diese drei Psychopathen keiner rechtzeitig aus dem allgemeinen gesellschaftlichen Verkehr gezogen hat, stellt Lothar Kittsteins Stück "Der weiße Wolf" nicht.
Besuch beim NSU-Prozess
Da gibt sich das Dokumentarprojekt "Rechtsmaterial" in Karlsruhe schon wesentlich mehr Mühe, Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in einen gesellschaftlichen Zusammenhang zu rücken.
Mitsamt seinen sieben Darstellern hat Regisseur Jan-Christoph Gockel den NSU-Prozess in München besucht:
"Als wir bei diesem Prozess waren, das war ein sehr krasser Tag dadurch, dass man das alles beobachtet und sich fast bei so ner Faszination ertappt, und dann versucht, alles zu interpretieren, was da passiert, wie die sich verhalten. Und am Ende von diesem Tag war einem wirklich übel."
Diese Gefühle werden Teil des Stücks: Schauspielerin Sophia Löffler mimt einerseits Beate Zschäpe, beschreibt andererseits ihre Gedanken, als sie die Angeklagte im Gerichtssaal beobachtet. Ihre Aufregung vor dem "Auftritt" Zschäpes, ihre Enttäuschung, als diese nichts sagt und stattdessen das ihr entgegen ragende Mikrofon in seine Einzelteile zerlegt. Die Berichterstattung über den Prozess kontrastieren Regisseur Gockel und sein Dramaturg Konstantin Küspert mit einem Propagandastück aus dem Jahr 1933: An Führers Geburtstag unter Jubel der NS-Elite uraufgeführt, verherrlichte "Schlageter" von Hans Jost einen unbedeutenden Bombenleger zum "1. Soldaten des 3.Reiches".
Großer zeitgeschichtlicher Bogen
1977 wagte ein Geschichtslehrer in Uelzen es, "Schlageter" mit seiner Theater-AG in der Schulaula erneut aufzuführen. Satirisch verfremdet durch Musikeinlagen und einen Erzähler. Diese Aufführung störte der bekannte Neonazi Manfred Roeder. Und das Bild von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt, wie sie später bei Roeders Prozess vor dem Gerichtssaal für ihn demonstrieren, dieses Bild ist das letzte, bevor das Trio abtauchte.
All das Material besorgt zu haben, inklusive Filmmaterial der Schüleraufführung und der Nazi-Störaktion von 1977, ist das wohl größte Verdienst des Theaterabends in Karlsruhe. Denn dadurch spannt sich tatsächlich ein Bogen von der Propaganda des NS-Reiches über die Verdrängung der 50er-Jahre, die Auseinandersetzungen der 60er und 70er bis zu der Mordserie nach der Jahrtausendwende.
"Verfolgung und Strafe zwingen uns, anonym und unerkannt zu agieren. Der nationalsozialistische Untergrund verkörpert die neue politische Kraft im Ringen um die Freiheit der deutschen Nation."
Jan-Christoph Gockel: "Vorher hat der NSU immer gesagt: Taten statt Worte. Und eigentlich ist das immer noch das gleiche Prinzip: die sitzen vor Gericht, und es ist immer noch Taten statt Worte. Die sagen nämlich gar nichts. Die sitzen das aus, und dadurch wird der Prozess auch öffentlich uninteressant. Die Zeugen, die da auftauchen, die lassen isch nicht aus der Reserve locken, die sagen einfach gar nichts. Das ist ein Prinzip, was dahintersteckt. Das hat leider ne längere deutsche Tradition, dieses Verschweigen-Prinzip."
Eine Stimme für die NSU-Opfer
Das Schweigen brechen will auch "Urteile" von Christine Umpfenbach in München. Doch diese Regisseurin gibt den Opfern eine Stimme. Sie hat mit den beiden in München betroffenen Familien gesprochen. Schlagzeilen wie "Türkenmafia schlägt wieder zu" machten die NSU-Mordopfer zu Schuldigen. Im Sinne von, selbst schuld, wenn du dich mit Drogenhändlern einlässt:
"Es war wie so ein zweites Trauma, dass sie durchmachen mussten, weil sie nicht wirklich Opfer sein konnten, sondern ständigen Ermittlungen ausgesetzt waren"
Christine Umpfenbach hat Alltagsbeobachtungen der Autorin Azar Mortazavi eingefügt: Die Ausgrenzung beginnt mit den Urteilen, den Vorurteilen in der Schule oder am Arbeitsplatz. Wenn Menschen mit exotisch klingendem Namen für ihr gutes Deutsch gelobt werden, obwohl sie in Deutschland aufgewachsen sind.
Dabei setzt Umpfenbach auf das erzählerische Moment, verzichtet auf überwältigende Bilder. Könnte man ihr Stück mit dem in Karlsruhe zusammenbinden, wäre das wohl die ideale Umsetzung der NSU-Thematik auf der Bühne.
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