Politischer Selbstmord Frankreichs und das "neue" Smart-Defense-Programm

Von Rolf Clement · 21.05.2012
Dieser NATO-Gipfel hat die Stärken und Schwächen der euro-atlantischen Allianz wie in einem Brennglas offenbart, kommentiert Rolf Clement. Bei ihrer Kernaufgabe, dem Schutz der Staaten und der Bürger seiner Mitglieder, funktioniere das Bündnis glänzend.
Es war in Chicago völlig unstrittig, dass bei der Raketenabwehr - also dem Schutz vor angreifenden Raketen - nun die erste Fähigkeitsstufe erklommen wird. Praktisch ist das kaum der Rede wert. Das System besteht jetzt aus einem Radar, einem mit Abwehrraketen bestückten US-Kreuzer im Mittelmeer und einem mit Computern vollgestopften Kellerraum im NATO-Hauptquartier in Ramstein. Beobachten und planen könne man nun, sagt ein verantwortlicher Offizier. Na bitte. Aber es ist ein politisches Signal, dass die NATO sich gegen Bedrohungen schützen will und kann und dass man sich dabei von keinem hineinreden lassen wird. Teheran und Moskau werden das schon registrieren.

Um die zweite Aufgabe, den Sicherheitstransfer in andere Regionen, ist es weniger gut bestellt. Frankreichs Ankündigung, seine Kampftruppen früher als vereinbart aus Afghanistan abzuziehen, ist politisch ein heftiger Schlag gegen die Bündnissolidarität. Die Einsatzfähigkeit der NATO kann nicht davon abhängig gemacht werden, wie eine Wahl in einem Bündnisland ausgeht. Dabei ist richtig: Der französische Präsident Hollande muss sein Versprechen halten. Er darf ein solches aber nicht machen, wenn er einem Bündnis angehört.

Es wiegt schwer, wenn ein Land, ein großes zumal, seine Kampftruppen sehr schnell aus einer laufenden Operation einfach abzieht. Das ist auch gewichtiger als wenn man erst gar nicht mit einsteigt - wie die Deutschen das gelegentlich machen. Mit letzteren plant die NATO gar nicht, die anderen sind aber Teil der Operation. Der Schritt Frankreichs ist politisch fatal, denn militärisch, so sagen nun plötzlich viele in der NATO, ist das französische Kampftruppenkontingent verzichtbar. Wer das sagt, ist auch nicht sonderlich bündnisfreundlich. Geht nur, wir haben Euch eigentlich nicht gebraucht - hier zerfällt die Solidarität im Bündnis, die Verlässlichkeit der Partner untereinander. Die NATO darf nicht vom Populismus in einzelnen Mitgliedsländern abhängig werden.

Bleibt noch das euro-atlantische Sparprogramm "Smart Defense". Die Idee ist gut, aber so alt wie die NATO: Bestimmte Fähigkeiten werden entweder gebündelt oder von einigen für alle bereitgestellt. Das klingt hervorragend, würde auch Geld sparen, scheitert aber oft an nationalen Befindlichkeiten. Aber: Diese Fähigkeiten, wie das militärisch heißt, also Systeme und Soldaten, müssen den Partnern, die sie brauchen, auch zuverlässig zur Verfügung stehen.

Und dann sind wir schon wieder bei der Innenpolitik in einigen Ländern. Die Bundesregierung kann - wie manch andere - die Zusage, sich im militärischen Kernbereich an solchen gemeinsamen Entwicklungen zu beteiligen, nur begrenzt machen. Denn es gibt in Deutschland einen Parlamentsvorbehalt für den Einsatz von Bundeswehrsoldaten. Das wird jetzt im Bündnis zum Hindernis, schränkt die Bündnisfähigkeit Deutschlands ein. Deswegen muss hier nach einer neuen Regelung gesucht werden. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz muss der Notwendigkeit angepasst werden, dass im Bündnis die Zusammenarbeit enger wird.

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