Politischer Literat

Von Tobias Wenzel · 15.03.2011
Um für seinen Roman "Meeresstille" zu recherchieren, reiste Nicol Ljubić nach Den Haag und verfolgte Prozesse gegen Kriegsverbrecher aus Ex-Jugoslawien. Spät interessierte sich der in Zagreb geborene Deutsche für den Krieg in der Heimat seines Vaters. Jetzt erhält Nicol Ljubić einen der beiden Adelbert-von-Chamisso-Förderpreise in München.
"Ich war in Kroatien unterwegs, hab da recherchiert, landete an einem Ort, Vukovar, das ist an der kroatisch-serbischen Grenze. Und ich wohnte in einer kleinen Pension, die nicht wirklich einladend war, aber sehr billig. Die Pension hieß 'Bonaca'.

Ich mochte dieses Wort und ich fand, dieses Wort hatte so etwas Sinnliches. Und ich fragte, was dieses Wort bedeutet. Und dann hieß es, dass es 'Meeresstille' heißt."

Nicol Ljubić, ein schlanker Mann, schwarze Haare, kurzer Bart, breite Augenbrauen, erinnert sich am Küchentisch seiner Wohnung im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, wie er sich regelrecht in das Wort "Bonaca" verliebte und wie die deutsche Übersetzung des Wortes zum Titel seines zweiten Romans wurde. In "Meeresstille" liebt Robert Ana, die Tochter eines serbischen Kriegsverbrechers. Der steht in Den Haag vor Gericht.

Erst spät hat sich Nicol Ljubić, der in Bremen Abitur machte und dann in Hamburg zur Journalistenschule ging, wirklich für den Jugoslawien-Krieg interessiert:

"Letztendlich ist es fast so, dass ich mich dafür ein bisschen schäme, dass ich einfach diese fünf Kriegsjahre so unbeteiligt beobachtet habe, obwohl ein Teil meiner Familie nach wie vor in Kroatien lebt - also es war jetzt nicht so, dass sie im Krieg wirklich gefährdet waren, aber sie lebten in der Region -, und trotzdem war mir das alles so weit weg und auch so fremd. Und vielleicht war das auch ein Grund der Motivation, dieses Buch zu schreiben."

1971 wurde Nicol Ljubić in Zagreb geboren. Sein Vater, ein Kroate, hatte Jugoslawien illegal verlassen, bekam politisches Asyl in Frankreich und verliebte sich beim Zahnarzt in Bremen in eine deutsche Arzthelferin, die spätere Mutter von Nicol Ljubić. Der Vater, über den er ein Erinnerungsbuch geschrieben hat, arbeitete als Flugzeugtechniker im Außendienst, und so verbrachte Nicol Ljubić seine ersten sechzehn Lebensjahre in Griechenland, Schweden und Russland, besuchte jeweils deutsche Schulen.

Nicol, sein Vorname, war ein Problem:

"Mir war immer klar, was auf mich zukommt, wenn ich in eine neue Klasse komme, nämlich immer dieser Schrecken: 'Hoh, du bist ja gar kein Mädchen! Mädchenumkleiden sind dort drüben!' Davor hatte ich immer wahnsinnig Angst. Insofern waren diese Schulwechsel Momente, die mir Unwohlsein hervorgerufen haben. Aber im Nachhinein ist das eine Zeit, die ich unglaublich genossen habe."

Wegen der Möglichkeit, seine Kindheit in anderen Ländern zu verbringen, umgeben von anderen Kulturen. In der deutschen Schule in Moskau war eine Klassenkameradin die Tochter des damaligen ARD-Korrespondenten. Das weckte das Interesse von Nicol Ljubić für den Journalismus. Heute arbeitet er als freier Journalist und Schriftsteller in Berlin, lebt dort mit seiner deutschen Freundin und den beiden Kindern. Wenn er nicht gerade in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens recherchiert.

"Ich habe einen Vater getroffen, dessen sechsjähriger Sohn an seiner Hand beim Überqueren einer Straße von einem Heckenschützen so angeschossen wurde, bewusst mit einem Bauchschuss, dass er wirklich stundenlang verblutete, ohne dass man ihm helfen konnte. Wenn ich mir vorstelle, dass meinen Kindern so etwas passiert, natürlich würde ich dann nicht ausschließen, gewaltsam zu werden."

Traumatische Kriegserfahrungen verschwinden nicht einfach. Aus Gesprächen mit jungen Bosniern zum Beispiel weiß Nicol Ljubić, dass die meisten nie im Leben eine Serbin heiraten würden:

"Wenn wir uns überlegen, nach was für Kriterien wir manchmal auch heute Partner finden. Wenn es um Hobbys geht oder um - manchmal habe ich mir vorgestellt, wie es wäre, wenn meine Partnerin eine leidenschaftliche CSU-Anhängerin wäre, ob ich damit ein Problem hätte. Also auf einer viel oberflächlicheren Ebene gibt es ja schon in den Partnerschaften Schwierigkeiten. Und dass so eine Kriegserfahrung, die ja auch so grausam war im ehemaligen Jugoslawien, eine Beziehung beeinflusst, das finde ich sehr nachvollziehbar."

Nicol Ljubić ist ein politischer Mensch, ist Mitglied in der SPD und kann nicht verstehen, wieso einige Leute sich gar nicht für Politik interessieren. Auch kann er sich nicht vorstellen, je einen Roman zu schreiben, der nicht auch politisch oder gesellschaftlich relevante Fragen aufwirft. Wie "Meeresstille", den Roman, in dem eine Liebesgeschichte mit der Frage nach Schuld im Jugoslawien-Krieg verknüpft ist.

"Diese Region ist auch ein Teil meines Zuhauses. Nach wie vor ist es so, dass ich diese Sprachbarriere habe, dass ich immer fremd bleibe, weil ich mich mit den Menschen dort nicht einfach unterhalten kann.

Das geht mir übrigens in der eigenen Familie so: dass ich am Tisch sitze mit meiner Tante und mich so ein bisschen wie ein Tourist fühle und immer auf meinen Vater angewiesen bin, der übersetzt, und sie sich alle amüsieren. Und mein Vater - ich frage mich, was er gerade übersetzt."

Service:
Der Roman "Meeresstille" von Nicol Ljubić ist bei Hoffmann und Campe erschienen.