Politisch gelenkte Aufarbeitung von Kriegsverbrechen

Hans-Christian Schmid im Gespräch mit Susanne Führer · 08.09.2009
Der Regisseur Hans-Christian Schmid sieht die Arbeit des Kriegsverbrechertribunals behindert durch die Einmischung der Politik und durch den Zeitdruck, den die Vereinten Nationen vorgegeben haben. Schmids Film "Sturm" schildert die Arbeit des Tribunals.
Susanne Führer: Der prominenteste Angeklagte war Slobodan Milosevic, der ehemalige Präsident Serbiens. Er nahm sich in der Untersuchungshaft das Leben. Doch 45 Verfahren sind noch offen vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Dessen Arbeit zeigt Hans-Christian Schmid in seinem Film "Sturm". (…) Hans-Christian Schmid begrüße ich nun hier im Studio. Schön, dass Sie da sind, Herr Schmid!

Hans-Christian Schmid: Hallo!

Führer: Sie haben schon in mehreren Interviews gesagt und auch in dem Film wird's gezeigt: Sie beklagen eigentlich die Einmischung vonseiten der Politik in die Justiz. Können Sie mal schildern, wie das eigentlich vor sich geht, wie die Politik sich einmischt?

Schmid: Ja. Also ich glaube, es gibt zwei Dinge, die den Leuten am Tribunal die Arbeit sehr schwer machen: Zum einen, wie Sie sagen, die Einmischung der Politik, also dass man versucht zu taktieren. Also das, was die EU sich wünscht für die Länder dort auf dem Balkan, wird letztlich verwendet, um ja dann das Tribunal entweder in seiner Arbeit zu unterstützen oder auch zu blockieren. Da sind dann angeklagte mutmaßliche Kriegsverbrecher auf einmal wichtige Verhandlungspartner der EU-Politiker, wenn es um Beitritt geht.

Führer: Ach so, Sie meinen jetzt, was die EU sich wünscht, heißt Beitritt zum Beispiel Kroatiens in die Europäische Union, so etwa?

Schmid: Zum Beispiel. Oder auch, was man jetzt mit Serbien beobachten konnte, da geht's dann um die Ablösung des Kosovo, was den nationalistischen Kräften in Serbien sozusagen Auftrieb geben würde. Gleichzeitig sagt man, um vielleicht so ein Gegengewicht zu haben, wir holen euch jetzt dafür schneller in die EU als möglicherweise sagen wir mal Bosnien, obwohl ihr nicht mit dem Tribunal zusammenarbeitet, obwohl wir immer noch nach Mladić suchen. Also da werden Dinge, die einfach nur juristisch beurteilt werden sollten, auch in einen politischen Kontext gerückt.

Das Zweite ist der Zeitdruck, den das Tribunal hat, und das liegt an den Vereinten Nationen, die sich auf eine sogenannte completion strategy festgelegt haben. Also da wurde irgendwann beschlossen, 2010 sollte das Tribunal zu Ende sein mit all seinen Verhandlungen. Das ist eigentlich nicht zu leisten, außer man legt den Richtern Zeitkontingente auf. Und das sieht man ja im Film eigentlich ganz deutlich, wozu das führen kann.

Führer: Daraus kann man ja schließen, dass eigentlich sowohl Wahrheit als auch Gerechtigkeit zur Verhandlungssache werden?

Schmid: Auf alle Fälle ist - ob mit oder ohne Zeitdruck - es sehr, sehr schwer, eine allumfassende Wahrheit zu finden oder herzustellen. Ich glaube, man kann immer nur versuchen, soweit wie möglich da mitzukommen. Wenn ich mich in die Position einer Zeugin versetze, die auch Opfer geworden ist zum Beispiel, dann würde diese Person sicherlich, wenn sie erst mal bereit ist, sich nach Den Haag zu begeben und vor all diesen Leuten öffentlich etwas zu erzählen, in aller Ruhe über das berichten, was ihr passiert ist. Und das Tribunal hat ganz andere Ansprüche an die Zeuginnen. Die sollen relativ schnell einen ganz gewissen kleinen Ausschnitt nur präsentieren, also alles, was letztlich dem Verfahren dient.

In dem Moment, wo das passiert - also jetzt in Bezug auf eine einzige Person, aber auch dann in Bezug auf Orte, wo es zu Kriegshandlungen gekommen ist, wo man sagt, wir lassen diese Gebiete jetzt einfach mal weg, weil wir haben zu wenig Zeit -, ist man schon dabei, diese intensive Wahrheitssuche untern Tisch fallen zu lassen und wird deswegen auch nur Gerechtigkeit in gewissen Teilaspekten erzielen können.

Man kennt das ja auch aus deutschen Gerichten, also dieses Deal Making ist ja längst zur Praxis geworden. Ich finde das bei Wirtschaftsdelikten wahrscheinlich weniger problematisch als wenn es um so etwas geht wie Kriegsverbrechen, wo wirklich die Zeugen, die Zeuginnen sehr, sehr wichtig sind und wo ich denke, dass man mit denen sehr sorgsam umgehen sollte.

Führer: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Regisseur Hans-Christian Schmid über seinen neuen Film "Sturm", der in dieser Woche in die Kinos kommt. Man sagt ja immer, Herr Schmid, dass es eben nicht nur für den Rechtsfrieden, sondern auch und besonders - was Sie gerade angesprochen haben - für die Opfer wichtig ist, dass die Täter ihre gerechte Strafe bekommen. Aber diese gerechte Strafe ist ja nicht umsonst zu haben, weil ja eben die früheren Opfer eben als Zeugen aussagen müssen unter Bedingungen, die Sie gerade geschildert haben, die nicht immer - was man ja auch erhoffen könnte - so eine kathartische positive Wirkung haben. Haben Sie eigentlich Verständnis für diejenigen, die sagen, Leute, das ist 15 Jahre her, lasst mich in Ruhe, ich will jetzt endlich meinen Frieden haben und das nicht wieder aufrühren, wie das ja auch zunächst Ihre Heldin Mira in dem Film tut?

Schmid: Ich kann das vollkommen verstehen, also dass es ja sehr schwer ist nach dieser langen Zeit, Dinge wieder zuzulassen und sich an Dinge zu erinnern, die man längst versucht hatte zu verdrängen oder mit denen man versucht hatte, fertig zu werden. Gleichzeitig ist es für viele Opfer auch eine Gelegenheit, Öffentlichkeit zu finden. Also es ist ja manchen Frauen auch ein Bedürfnis, der Weltöffentlichkeit oder dem ehemaligen Kriegsverbrecher oder Vergewaltiger möglicherweise sogar zu sagen: Ich stehe hier, ich erzähle, was damals passiert ist, alle sollen Bescheid wissen.

Also man hat wirklich zwei unterschiedliche Dinge beobachtet bei Zeuginnen. Für die einen hat es was von einer Katharsis, die haben da ein sehr positives Erlebnis, die warten auf den Moment, in dem sie endlich erzählen dürfen. Und bei den anderen ist das Gegenteil der Fall, die fühlen sich sehr verunsichert, die bräuchten sicherlich noch mehr psychologische Unterstützung nach der Aussage und für die ist es eher ein fürchterliches Erlebnis, dort auszusagen.

Führer: Ihr Film hat ja zwei Heldinnen, die Zeugin und die Anklägerin - vielleicht kann ich sie so beschreiben: eine erschöpfte Idealistin. Also sensibel und zäh zugleich, aber eben auch naiv. Zeichnen Sie damit vielleicht so ein Bild, wie Sie meinen, wie diese Ankläger oder vielleicht auch die Richter, also wie diese Menschen beschaffen sein müssten, um sich trotz all der Hindernisse, die Sie eingangs geschildert haben, nicht abschrecken zu lassen auf der Suche weiter nach der Wahrheit und der Gerechtigkeit?

Schmid: Ja, wir sind, wenn wir über die Figur Hannah sprechen, die Hauptfigur, ganz nah auch am Thema des Films. Ich glaube, es geht um Integrität und es geht um Menschen mit Abnutzungserscheinungen. Wir haben ja dort mit Anklägern gesprochen, die meisten von denen haben, glaube ich, in erster Linie aus idealistischen Gründen angefangen, am Tribunal zu arbeiten. Und nach zehn oder zwölf Jahren in dieser Mühle, in dieser großen Maschine ist es, glaube ich, sehr, sehr schwer, nicht wirklich nur noch pragmatisch zu funktionieren und zu sagen, was kann ich erreichen innerhalb so eines Deals, wie kann ich zumindest halbwegs zu den Zielen kommen, was ich mir vorgenommen hatte.

Das heißt, jeder muss dort für sich abwägen, inwieweit er Vorsätze, die er hatte, über Bord wirft und inwieweit er versucht, da irgendwie mitzuschwimmen in diesem System. Und in dem Film spitzen wir das eben auf einen Punkt zu, wo es die Hauptfigur ganz klar wird: Also jetzt Ja zu sagen zu dem, was da geplant ist, würde für sie zu weit gehen.

Führer: Sie haben lange recherchiert für diesen Film, mehrere Jahre, auch an vielen Orten, und gedreht haben Sie den Den Haag und in Sarajewo, und in beiden Städten haben Sie Ihren Film schon gezeigt. Also in Sarajewo in einem Open-Air-Kino vor 3000 Zuschauern, als das Filmfestival war, und vor einigen Wochen in Den Haag vor Mitarbeitern des Tribunals. Wie hat denn jeweils das Publikum reagiert?

Schmid: Also das waren sehr unterschiedliche Vorführungen, und beide Male war das Ergebnis aus meiner Sicht sehr, sehr gut, also überraschend gut, fand ich. Vor allem in Sarajewo, wo ich wirklich sehr, sehr nervös war, weil ich dachte, wie werden die das empfinden, dass da jemand von außerhalb kommt und versucht, etwas über ihre Gesellschaft zu erzählen, stellte sich gerade das eigentlich als Vorteil für uns heraus oder als etwas, was die sehr hoch uns anrechneten, dass wir aus einem anderen Land kommen mit vermeintlich etwas objektiverer Sichtweise, und uns für das, was bei ihnen passiert ist, interessieren. Das war wirklich eine sehr positive Erfahrung, den Film da zu zeigen.

Und bei den Mitarbeitern des Tribunals in Den Haag hatte ich das Gefühl, dass die sehr, sehr gut mit der Kritik umgehen konnten, dass wir zum großen Teil auch dort auf ein Publikum gestoßen sind, das diese Kritik mit uns teilt. Also ich denke, das wird ja deutlich durch den Film: Wir üben sehr viel weniger Kritik an dem Gerichtshof, Völkerrecht ist mir etwas sehr, sehr Wichtiges, ich glaube sehr unterstützenswert, als dass es sich um Kritik an den Geldgebern handelt, an den Vereinten Nationen. Und diese Kritik können die Leute, die am Tribunal arbeiten, unter diesem Zeitdruck, natürlich sehr gut teilen.

Führer: Also Applaus von beiden Seiten. Ich wünsche Ihnen dann auch viel Erfolg beim deutschen Publikum, wenn der Film Donnerstag in die Kinos kommt. Das war Hans-Christian Schmid über seinen neuen Film "Sturm". Ja, danke für Ihren Besuch, Herr Schmid!

Schmid: Sehr gern, danke!
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