Politikwissenschaftler erwartet Kontinuität in der Finanz- und Außenpolitik

Everhard Holtmann im Gespräch mit Gabi Wuttke · 28.09.2009
Bei der künftigen Bundesregierung wird es keine "grundstürzenden Veränderungen" im Umgang mit der globalen Finanzkrise geben, glaubt der Politologe Everhard Holtmann. Allerdings erwarte er einen "politischen Offenbarungseid" in Bezug auf das Wahlversprechen von Steuersenkungen.
Gabi Wuttke: Ein vor Kraft strotzender FDP-Chef, der sich die Butter nicht vom Brot nehmen lassen will, eine bemüht freudig wirkende CDU-Chefin und Bundeskanzlerin, die weiß, dass ihr neue Probleme ins Haus stehen. Aus diesen Komponenten ist die schwarz-gelbe Koalition gemacht, die Deutschland in den kommenden vier Jahren regieren soll. Es gab ein eindeutiges Wählervotum. Professor Everhard Holtmann lehrt Politikwissenschaften an der Universität Halle-Wittenberg, jetzt ist er in unserem Studio. Guten Morgen!

Everhard Holtmann: Guten Morgen, Frau Wuttke.

Wuttke: Worauf müssen wir Bürger uns jetzt mit dieser schwarz-gelben Koalition einstellen? Aus welchem Stoff wird die Politik gemacht?

Holtmann: Es wird sicherlich etwas geben, was man, wenn wir die Links-rechts-Achse als Hintergrund nehmen, als einen Politikwechsel nach rechts definieren können, denn die Stichworte sind ja im Wahlkampf, wenngleich nicht in der erwarteten Profilierung, immerhin gefallen und diese lauten "Steuersenkungen" vor allen Dingen und teilweise eben auch - da muss man nicht nur an die sogenannte Giftliste aus dem Guttenberg-Hause denken - Korrekturen an der Sozialgesetzgebung. Wenn man das einmal in den Perspektiven sich vorstellt, dann ist möglicherweise doch dieses die Achillesverse der noch gar nicht geschmiedeten schwarz-gelben Koalition.

Das heißt, es könnte sein, dass sie alsbald einen politischen Offenbarungseid hinsichtlich ihrer eigenen zentralen Wahlversprechen wird leisten müssen, denn auf der einen Seite ist die Sanierung der Haushalte nach dieser immensen Verschuldung notwendig, auf der anderen Seite hat der Bundestag gerade ein Verschuldungsverbot im Grundgesetz festgeschrieben. Alle Experten oder fast alle Experten sagen gleichzeitig, es gibt eigentlich keinen Spielraum für Steuersenkungen, es sei denn, man würde Einschnitte ins soziale Netz vornehmen. Also ich denke, das ist kein reiner Selbstläufer, vor allen Dingen auch was die künftige Akzeptanz bei Teilen der Bevölkerung betrifft.

Wuttke: Die G20 machen ja immer noch ihre Hausaufgaben, um Lehren aus der Weltfinanzkrise zu ziehen. Die schwarz-rote Bundesregierung hat den USA und Großbritannien Paroli geboten. Was erwarten Sie von schwarz-gelb?

Holtmann: Ich denke, was die Einstellung auf die globale Wirtschafts- und Finanzkrise betrifft, was den Part, den die Bundesregierung, die bisherige Bundesregierung für die deutschen Interessen im Rahmen der Europäischen Union und des Weltfinanzsystems bisher gespielt hat, da wird es keine grundstürzenden Veränderungen geben. Dafür spricht ja auch, dass es bisher in der schwarz-roten Koalition keine grundstürzenden Unterschiede gegeben hat. Da erwarte ich im Grunde genommen wie auch in anderen Bereichen der Außenpolitik, etwa was die Präsenz in Afghanistan betrifft, weitgehende Kontinuität.

Wuttke: Wie waren schon vor der Wahl überzeugt, dass Die Linke weiter wird zulegen können. Wie viel Lafontaine-Faktor steckt auf den Ergebnissen auf der Bundesebene?

Holtmann: Sicherlich ist der personelle Faktor wie ja immer bei Wahlentscheidungen nicht ganz zu vernachlässigen und man muss ihn ja hier praktisch doppeln. Man muss sicherlich Gregor Gysi auch noch mit in diesen Personalfaktor hineinnehmen. Auf der anderen Seite: Es kommen jetzt verstärkt bei diesen Wahlen zwei Faktoren zusammen. Die Linke hat in sich, verkörpert in sich und trägt in sich einen Teil der ja noch mal stabilisierten Interessenvertretung Ost, was vorher die PDS getan hat, und sie hat auf der anderen Seite eben doch auch ihr bisher vergleichsweise schwächliches Standbein in den westlichen Bundesländern stärken können. Sie ist - und das war ja schon das Ergebnis der letzten Landtagswahlen - auch konsolidierter Teil des nun wiederum weiter aufgefächerten gesamtdeutschen Parteiensystems.

Wuttke: Werden sich Linkspartei und SPD auf der Oppositionsbank zwangsläufig näher kommen?

Holtmann: Das wird man sehen müssen. Auch das ist kein Selbstläufer, denn es wird ja auch für die SPD wie übrigens auch für die anderen beiden Oppositionsparteien auch durchaus nicht nur ein harmonisches Nebeneinander oder gar Miteinander in der Opposition. Die SPD steckt gewissermaßen auch zwischen den Mitkonkurrenten auf der einen Seite, was die ökologische Definition bestimmter Politikfelder betrifft. Da muss sie sich mit den Grünen reiben. Auf der anderen Seite: die SPD beansprucht ja nach wie vor die Themenführerschaft im Bereich der sozialen Gerechtigkeit und da wird sie sich eben mit der Linkspartei auseinandersetzen müssen. Also man wird sehen, wie sich das in der Opposition, auf den Oppositionsbänken dann ausmendelt.

Wuttke: Die Grünen sind das Schlusslicht dieser Bundestagswahl. Hätten sie nicht auf die SPD-Karte setzen sollen?

Holtmann: Sie haben ja insofern auf die SPD-Karte doch gesetzt, als sie ihre Option für rot-grün angemeldet haben, auch deutlich gemacht haben.

Wuttke: Ja, eben!

Holtmann: Ja und so gesehen haben sie ja auf die SPD-Karte auch gesetzt. Für die Grünen ist möglicherweise in der derzeitigen Konstellation vor allen Dingen in der direkten Auseinandersetzung oder Konkurrenz mit der FDP auch das eigene Wählerpotenzial in der zunehmend diffuser werdenden Mitte, der bürgerlichen Mitte ausgeschöpft. Sie sind möglicherweise auch hier an die Grenzen, zunächst einmal an die Grenzen ihrer eigenen Anziehungskraft angelangt.

Wuttke: Die Wahlbeteiligung bei dieser Bundestagswahl war so gering wie noch nie, 70,8 Prozent. 77,7 waren es noch vor vier Jahren. Das ist böse und es kann eigentlich so nicht weitergehen.

Holtmann: Das ist sicherlich ein wenn nicht Alarmzeichen, aber doch ein bedenkliches Zeichen. Das dürfte zu einem großen Teil darauf zurückzuführen sein - die Wählerwanderungsbilanzen haben das ja auch bereits gezeigt -, dass das Potenzial der SPD-Wähler doch zu einem guten Teil zu Hause geblieben ist, und das ist übrigens schon ein Faktor gewesen, der auch der SPD bei den vergangenen Bundestagswahlen 2005 zu schaffen gemacht hat. Man kann es verlängern auch auf die anderen seitherigen Wahlen, bei den Europawahlen, teilweise auch bei den Landtagswahlen. Es gelingt der SPD, so wie sie bis jetzt aufgestellt war, nicht, ihr eigenes Potenzial auszuschöpfen.

Wuttke: Aber die Parteienverdrossenheit ist doch weitreichender?

Holtmann: Die Parteienverdrossenheit, das ist ein schwierig zu handhabender Begriff, weil bei den Parteienverdrossenen eine ganze Reihe von Komponenten hineingehen. Man wird jetzt nicht sagen können, dass die zurückgehende Wahlbeteiligung eine generelle Verdrossenheit mit den demokratischen Parteiensystemen beinhaltet. Auf der anderen Seite, was auch dagegen sprechen könnte, dass wir es in der Tat mit einer latent verbreiteten, generellen Parteienverdrossenheit zu tun haben: die rechtsextremen Parteien haben ja kein Bein auf den Boden bekommen, obwohl ja im Wahlkampf selbst nicht so stark von den großen polarisiert worden ist. Wenn man den Seitenblick nach Brandenburg wagt: dort ist die DVU sang- und klanglos aus dem Landtag verschwunden.

Ich würde den Begriff oder auch die Vermutung einer grundsätzlichen Parteienverdrossenheit, womit ja immer auch Politikerverdrossenheit, ein Stück weit auch Verdrossenheit, Unzufriedenheit mit bestimmten Leistungen der Politik verbunden ist, nicht zu dramatisch betrachten.

Wuttke: Der Politikwissenschaftler Everhard Holtmann von der Universität Halle-Wittenberg. Herr Holtmann, vielen Dank für diese Einschätzungen und Analysen und einen schönen Tag.

Holtmann: Danke!