Politik

Zu wenig Bereitschaft, sich der braunen Vergangenheit zu stellen

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache
FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache - Die rechtspopulistische Partei ist im Parlament, in allen Landtagen und vielen Gemeinderäten vertreten © dpa / picture-alliance / Erwin Scheriau
Von Andreas Marggraf · 10.09.2014
Eine Straße, die nach einem Antisemiten benannt ist, wäre in Deutschland heute völlig unmöglich. In Wien gab es das noch bis 2012. Vor allem Studenten beklagen, wie wenig sich die Österreicher mit ihrer Vergangenheit auseinander setzen.
Wien am Universitätsring. Bis vor zwei Jahren trug diese mehrspurige Straße, auf der sich neben der Universität auch das Burgtheater befindet, den Namen Dr. Karl Lueger Ring. Sie trug den Namen des Mannes, der als bekennender Antisemit bis 1910 Bürgermeister von Wien war und eine Vorbildfigur für Adolf Hitler. Erst 2012 gelang es der Universität, nach langen Verhandlungen, die Umbenennung dieser Straße zu erreichen. Vor allem Studenten ergreifen die Initiative zur kritischen Aufarbeitung. So gründeten sie zum Beispiel den Gedenkdienstverein. Aber die Bereitschaft, sich der eigenen Geschichte zu stellen, scheint ansonsten in der österreichischen Gesellschaft immer noch wenig ausgeprägt.
"Also vom Zweiten Weltkrieg, sagen wir mal so, dass das in Österreich furchtbar schlecht aufgearbeitet ist. In Deutschland hat das super funktioniert, aber in Österreich gibt es so Schlagzeilen wie: Hitlers Sohn in Argentinien oder so. Ja hätte man sich damit auseinander gesetzt, was da schief gelaufen ist in Österreich. Dann hätten wir jetzt ganz andere Umstände – auch politisch."
Sagt mir ein Wirtschaftsstudent, der gerade vor der Uni eine Unterschriftensammlung durchführt. Eine Frau, die sich immer politisch positioniert hat, ist die 75-jährige Schauspielerin, Sängerin und Autorin Erika Pluhar.
"Ich war gebrieft. Ich hatte wirklich eine Geschichtsprofessorin, die mich über das Dritte Reich aufgeklärt hat. Leute aus meiner Generation und auch Jüngere haben überhaupt nichts davon gelernt."
"Das faschistische Herzl wird niemals aussterben"
Erika Pluhar gehört zu jenen Österreichern, die in den 70er-Jahren auf einen politischen Aufbruch in der Ära des Sozialdemokraten Bruno Kreisky gehofft haben – und dann bitter enttäuscht wurden.
Die österreichische Schauspielerin, Sängerin und Schrifstellerin Erika Pluhar, aufgenommen am Freitag (16.03.2012) auf der Leipziger Buchmesse. 
Die österreichische Schauspielerin Erika Pluhar. © dpa-Zentralbild / Arno Burgi
"Als Österreich eine wirklich gut funktionierende Sozialdemokratie wurde, da hatte ich ein bisschen den Eindruck, dass es vorwärts geht. Nur dann wuchs aus dem Jörg Haider diese faschistoide Strömung heraus. Dagegen habe ich sehr gekämpft. Ich habe ein Haider Lied gesungen. Ich habe mich überall gegen ihn geäußert. Ich sag das immer wieder, weil das vieles beweist. Als dann meine Tochter starb, bekam ich viele anonyme Briefe, dass mir das recht geschieht, weil ich gegen Haider bin.
Und das hat natürlich auch immer wieder damit zu tun, dass die Zeiten nicht mehr so rosig waren. Dass mehr Fremde ins Land kamen. Also überall, wo man die Ängste der Menschen bedienen kann, taucht dieser Rechtsruck auf. Ich habe eine Freundin, die sagt immer, das faschistische Herzl wird niemals aussterben. Das ist etwas, was in einem Großteil der Menschen schlummert. Diese faschistoide Haltung zum Leben."
Gute Wahlergebnisse für rechte Parteien
"Sagen wir es so, wenn man sich die letzte Nationalratsversammlung in Österreich anschaut, dann bei den Freiheitlichen mit 25 Prozent. Anders war es 2008 auch nicht."
Pluhar: "Und das weiß man ja, wo es für die Menschen unsicher wird, wo sie arbeitslos werden - das hat ja das Naziregime mit begründet. Und wir sind jetzt auf so einer Schiene, dass sie keine Jobs mehr kriegen, die jungen Leute. Da wuchert es natürlich. Das kann man so leicht schüren. Und deswegen ist eine Besorgnis in die Richtung des Rechtsrucks wirklich nicht unbegründet. Bei uns nicht, in Deutschland nicht. Die ganzen EU-Länder müssen damit rechnen."
Die Antwort auf die Frage, ob Deutschland und Österreich gleichermaßen anfällig für rechtsextreme Tendenzen sind, bleibt offen. In Österreich hat sich Rechtspopulismus in der politischen Kultur fest etabliert, in Deutschland bisher nicht. Ob die Aufarbeitung der eigenen Geschichte dabei eine Rolle spielt, ist eine offene Frage. Für den Wirtschaftsstudenten in Wien ist das allerdings keine Frage des Abwartens, sondern der Notwendigkeit zu handeln:
"Wir können nicht sagen, dass nicht wieder ein Weltkrieg passiert. Es ist umso wichtiger, dass diese Generation und die nächste weiß, wie so etwas entsteht. Wie so ein monumentaler Fehler oder menschliches Versagen passieren kann."
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