Politik-Analyst warnt vor griechischem Euro-Austritt

Moderation: Jan-Christoph Kitzler · 26.05.2012
Sollte Griechenland aus dem Euro aussteigen? Janis Emmanouilidis von dem Brüsseler Think Tank European Policy Center hält das für keine gute Idee. Die Risiken eines Schneeballeffekts seien gegenwärtig zu groß.
Jan-Christoph Kitzler: Griechenland ist ja bei Weitem nicht das einzige Problem, das Europa hat. In Spanien zum Beispiel braucht das Geldinstitut Bankia den letzten Berichten zufolge noch einmal 19 Milliarden Euro vom Staat, sonst drohen unabsehbare Folgen für den gesamten spanischen Finanzsektor. Inzwischen setzt sich bei den Staats- und Regierungschefs der EU so langsam die Überzeugung durch, dass Europa nicht nur sparen muss, sondern auch Wachstum braucht. Nur wie, ist die Frage.

Im Gespräch sind jetzt sogar Sonderwirtschaftszonen mit Vergünstigungen für besonders angeschlagene Staaten, in der Diskussion ist aber auch, die ambitionierten Sparprogramme zu strecken. Darüber habe ich mit Janis Emmanouilidis gesprochen vom European Policy Center, einem Thinktank in Brüssel, und zuerst habe ich ihn gefragt, wie nötig für ihn denn solche Schritte zum Wachstum sind.

Janis Emmanouilidis: Sie sind nötig, denn wir sehen, dass die bisherige Krisenrezeptur, die sich vor allem auf Sparen und auf Reformen konzentriert hat, und man wird weiter sparen und reformieren müssen, dass diese Krisenrezeptur in vielen Mitgliedsstaaten nicht ausreicht, denn wir sehen Wachstumsschwächen, wir sehen eine zunehmende Arbeitslosigkeit, wir sehen zunehmende Opposition in der Bevölkerung gegen Reform- und Sparmaßnahmen, von daher braucht man etwas Ergänzendes, man braucht eine bessere Balance zwischen Sparen und Reformieren auf der einen Seite, und auf der anderen Seite Wachstum generieren.

Kitzler: Wachstum braucht man, das ist jetzt die Losung, aber kann solches Wachstum denn überhaupt entstehen, wenn es ganz große Zweifel daran gibt, ob auch die großen Staaten wie Italien, wie Spanien, jemals ihre Schulden wieder werden zurückzahlen können?

Emmanouilidis: Wachstum kann entstehen. Aber diese Unsicherheit mit Blick auf die künftige Entwicklung insgesamt in der Eurozone ist sicherlich nicht hilfreich. Sie steigert die Unsicherheit der Anleger, der Märkte, sie führt dazu, dass Kapital entzogen wird aus den jeweiligen Ländern, dass die Refinanzierungskosten dieser Länder steigen. Das erhöht den Druck auf die nationalen Haushalte und das erschwert auch dem Staat, Wachstumsinitiativen zu initiieren, auf den Weg zu bringen und auch in die Zukunft zu investieren. Also insgesamt ist das ein Teufelskreis, den man an der einen oder anderen Stelle durchbrechen muss.

Kitzler: Das Problem ist zum Beispiel auch das Vertrauen der Märkte, Sie haben es angesprochen. Wie lässt sich das wiederherstellen? Zum Beispiel dadurch, dass die Europäische Zentralbank noch mehr als ohnehin schon die Gelddruckmaschinen anwirft und dass die EZB den Staaten praktisch unbeschränkt Geld leiht?

Emmanouilidis: Es gibt kein Allheilmittel. Man muss viele Dinge auf unterschiedlichen Ebenen tun. Sicherlich muss jeder der Mitgliedstaaten, vor allem die Mitgliedsstaaten, die vor allem von der Krise betroffen sind, ihre nationalen Hausaufgaben erledigen, sich reformieren in den Bereichen, in denen es vor allem notwendig ist. Man kann Mittel, die zur Verfügung stehen im EU-Haushalt besser steuern in Richtung Wachstum, in Richtung Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, vor allem Jugendarbeitslosigkeit. Man braucht ein Bündel, sicherlich braucht man auch mehr Ruhe, was insgesamt die Zukunft der Eurozone angeht. Wenn es Zweifel darüber gibt, ob es in Zukunft weiterhin den Euro geben wird, ob einzelne Mitgliedsstaaten weiterhin im Euroraum verbleiben können – diese Zweifel nähren natürlich Befürchtungen und das führt dazu, dass jeder Investor, egal, ob es nationale oder ausländische Investoren sind, sich fragt, soll ich denn tatsächlich massiv in diese Länder investieren, wenn ich auf fünf, zehn oder zwanzig Jahre hin investiere und nicht mal genau weiß, wo diese Länder in den Fundamentaldaten, in fundamentalen Fragen wie der Zugehörigkeit zur Eurozone, in fünf, zehn oder zwanzig Jahren stehen werden. Also diese Unsicherheit erschwert die Situation dieser Länder zunehmend.

Kitzler: Die Staats- und Regierungschefs der EU, das kann man wohl sagen, haben das Problem erkannt. Aber sind sie auch auf dem richtigen Weg? Reichen Ihnen die Maßnahmen, die da jetzt angedacht werden, zum Teil schon beschlossen sind, reichen die Ihnen aus?

Emmanouilidis: Ich glaube, dass es letztendlich nicht ausreichend sein wird. Aber wenn man jetzt den Blick wirft auf den Gipfel Ende Juni, dann muss man sicherlich dort ein Paket schnüren, das einen Wachstumspakt generiert, der diesen Namen auch verdient. Man muss also konkret sehen, was sich dahinter verbirgt. Aber auch dann wird man auf europäischer Ebene noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt sein. Also wenn eines der fundamentalen Probleme dieser Krise oder auch der Gründe dieser Krise darin besteht, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen auf der einen Seite einer vollendeten Währungsunion, auf der anderen Seite einer noch weit davon entfernt sich befindenden Wirtschaftsunion oder Fiskalunion – also man muss diesen Weg weiter vorangehen, es wird nicht innerhalb kürzester Zeit zu erreichen sein, es wird länger dauern, aber man muss diesen Prozess beginnen oder noch verstärken, und da gibt es erste Anzeichen dafür, aber da muss man sehen, ob der politische Wille auch dafür da ist, das umzusetzen, was man in Gipfelerklärungen erklärt.

Kitzler: Ist nicht auch eines der größten Probleme in Europa zurzeit, dass der Graben immer tiefer wird zwischen den Ländern, die wirtschaftlich erfolgreich sind, auch auf Kosten der anderen, wie Deutschland, und den anderen Ländern, für die es immer schwerer wird, sich zu refinanzieren. Was muss passieren, um diese Spaltung zu überwinden? Brauchen wir am Ende vielleicht eine europäische Wirtschaftsregierung, die den Namen wirklich verdient?

Emmanouilidis: Wir brauchen etwas in dieser Richtung. Natürlich wird eine derartige Wirtschaftsregierung, wie Sie sie genannt haben, nicht vergleichbar sein mit dem, was wir auf nationaler Ebene haben. Aber wir brauchen mehr Koordination, wir brauchen auch mehr verbindliche Koordination. Und wir brauchen auch die Sicherheit dafür, dass, wenn man in schweres Fahrwasser gerät, es Mechanismen gibt, um aus diesem schweren Fahrwasser herauszukommen. Man hat einiges erreicht in den letzten zwei, drei Jahren, aber es liegt noch ein weiter Weg vor uns.

Kitzler: Reden wir doch auch noch mal über Griechenland. Wie ernsthaft kann man eigentlich eine Diskussion um Wachstum für Griechenland überhaupt noch führen. Das Land befindet sich doch offensichtlich in einem politischen und auch wirtschaftlichen Chaos, das sich immer weiter verschlimmert.

Emmanouilidis: Die Grundlage dafür, dass das Land auf einen Wachstumspfad kommt oder beziehungsweise, dass man zumindest das Negativwachstum stoppt und den Tiefpunkt erreicht und von dort aus dann sehr langsam sich positiv entwickelt – ich glaube, eine Grundvoraussetzung dafür ist, dass man Klarheit über die zukünftige Entwicklung in fundamentalen Fragen des Landes schafft. Man muss wissen, ob das Land tatsächlich langfristig in der Eurozone wird bleiben können, denn ohne diese Sicherheit entsteht noch mehr Unsicherheit auf den Märkten, es ist noch unwahrscheinlicher, dass Griechenland prosperieren kann, denn wie gesagt: Investoren im Inland und Ausland werden in einer solchen Situation sich davor hüten, in einem Land zu investieren, und auch die Griechen selbst verlieren die Hoffnung und ziehen ihr Geld von den Banken ab. Wir erleben bereits erste Anzeichen eines Bank Runs, und von daher ist das eine gefährliche Spirale, die leider auch andere Mitgliedsstaaten betreffen kann.

Kitzler: Am 17. Juni bei der Neuwahl, bei der Parlamentswahl werden wir eine erste Antwort auf diese Frage bekommen, aber heißt das nicht, in Wahrheit müsste man langsam mal darüber sprechen, wie Griechenland aus dem Währungssystem des Euro aussteigen kann? Haben Sie den Eindruck, dass Europa auf diesen Fall schon vorbereitet ist?

Emmanouilidis: Ich glaube, dass die Risiken, die mit einem derartigen Austritt verbunden sind, größer sind als die Chancen. In der gegenwärtigen Situation. Das kann sich anders darstellen in einem halben Jahr, einem Jahr oder eineinhalb Jahren, aber in der gegenwärtigen Situation sehe ich, dass es noch erhebliche Risiken gibt. Wir haben gesehen, dass bereits allein die Diskussion, die zugenommen hat, darüber, ob Griechenland aus dem Euroraum ausscheiden sollte, auf den Märkten zu Unruhe führt. Und es stellt sich tatsächlich die Frage, wie die Situation sich entwickelt mit Blick in andere Länder, ob das die gegenwärtigen Länder, die bereits hilfeerfahren sind, wie Portugal und Irland, aber auch andere Staaten wie Spanien oder Italien. Hier reden wir über die dritt- und viertgrößten Ökonomien der Europäischen Union. Und da ist die große Gefahr, dass es zu einem Schneeballeffekt kommt und dass man diesen Schneeball zu einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr stoppen kann und die Konsequenzen insgesamt für die Eurozone und insgesamt auch für den europäischen Integrationsprozess.

Kitzler: Janis Emmanouilidis vom European Policy Center in Brüssel über die große, große Frage, wie Europa noch zu retten ist. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

Emmanouilidis: Bitteschön.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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