Freitag, 19. April 2024

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Ausstellung "Hausbesuch" des Museum Ludwig 
Kunst in fremden Wohnzimmern

Wohnzimmer statt Ausstellungsraum: Mit der Reihe "Hier und jetzt" lädt das Kölner Museum Ludwig in sechs Kölner Privathäuser ein. Die Macher wollten damit die Grenze zwischen dem öffentlichen und privaten Raum aufheben - ein Experiment, das gelingt.

Von Georg Imdahl | 08.11.2016
    Ein Mann sitzt in einem Raum mit Holzfußboden auf einem durchsichtigen Sitzsack.
    Ausstellung "Hausbesuch" in Künstlerkollektiv "AYR" im "Haus ohne Eigenschaften" in Köln. (dpa/Wolfram Kastl)
    Nicht, dass man sich gleich wie der Hausarzt fühlt, aber ein bisschen ungewohnt ist diese Rolle ja schon. Da möchte man eine Ausstellung besuchen, geht aber nicht ins Museum, sondern überschreitet statt dessen die Schwelle einer unbekannten Privatwohnung. Wie etwa im Belgischen Viertel in der Kölner Innenstadt, wo die Gruppenschau "Hausbesuch" in die Räume einer alleinerziehenden Mutter führt - und zu einer Performance der Amerikanerin Marwa Arsanios. Man betritt das Wohnzimmer und zu Füßen liegen einem zahlreiche Bücher. Die Titel kreisen allesamt um die Rolle der Frau in der Gesellschaft, in der Ehe und in der Familie. "Arbeitsplatz Haushalt", lautet eines der Bücher, "Hausfrauen und Mütter - Die vergessenen Sklavinnen" ein anderes, und ein drittes wiederum: "Geschlechterkonstruktionen durch Arbeit".
    Dann tritt eine junge Frau auf den Plan und liest eine Viertelstunde lang aus den ausliegenden feministischen Schriften. Unweigerlich schließt der Besucher die gehörten Texte mit der häuslichen Umgebung kurz, in der die Lesung stattfindet. Die in Beirut lebende Marwa Arsanios hat dafür die Kölner Schauspielerin Laura Sundermann engagiert, die die von ihr vorgelesenen Passagen bisweilen mit yoga-ähnlichen, jedenfalls anstrengenden körperlichen Übungen kommentiert - derweil der Besucher auf dem Sofa sitzt. Was im Museum allgemein und abstrakt bleibt, hier erhält es eine konkrete Rückbindung an den Ort: die Wohnung einer Mutter.
    Rohrleitungen im Luxusambiente
    Im Stadtteil Hahnwald betreten wir einen modernistischen Bungalow. Dessen Fensterfront ist mit einem Vorhang verhüllt, der aus Second-Hand-T-Shirts aus Mexiko-City besteht. Die dort lebende Pia Camil hat die Altkleider mithilfe mexikanischer Schneiderinnen zusammengenäht, und in das noble rheinische Wohnhaus schleust sie jetzt, diskret und ohne moralischen Fingerzeig, eine weniger wohlhabende Moderne ein.
    Dann öffnet uns ein freundlicher Immobilienmakler eine wahrhaft luxuriöse Maisonette-Wohnung im Gerling-Viertel. Während es in Köln an Wohnraum all überall mangelt, wechseln hier geräumige Penthäuser zu Millionenpreisen den Besitzer. In einem davon installiert der französische Künstler Neil Beloufa Küche, Schlafstätte und Toilette, er verbaut die edlen Räume mit denkbar provisorischen Rohrleitungen, die allen Komfort konterkarieren.
    Experimentelles Format
    Diese künstlerischen Interventionen sind Teil einer Reihe unter dem Titel "Hier und jetzt", mit der das Kölner Museum Ludwig Möglichkeiten austariert, übliche Formen der Ausstellung zu entgrenzen. Zum Beispiel die Schranke zwischen dem öffentlichen und dem privaten Raum aufzuheben, wie die Kuratorin Leonie Radine erklärt:
    "Es ist ein sehr experimentelles Format: Was passiert, wenn man den öffentlichen Raum verlässt und in die Privaträume einzieht? Was mir daran auch gefallen hat - einfach als Vorstellung - ist diese Unvorhersehbarkeit, die in Vielem liegt. Ich weiß nicht, was für Begegnungen zustande kommen in den privaten Häusern und wie die Besucher auch untereinander in Kontakt treten, weil sie sich eben in privaten Häusern im Hier und Jetzt dort vor Ort befinden."
    Tatsächlich verändert sich die Wahrnehmung der Kunst, wenn diese in einem privaten Umfeld auftaucht - ganz gleich, ob sie nun ortsspezifisch oder sozialkritisch, performativ oder feministisch auftritt. Sie wirkt dann nämlich plötzlich auch privat, dies auch deshalb, weil sie nicht en masse dargeboten wird.
    Vorläufer in Gent
    Neu ist das Format des "Hausbesuchs" allerdings nicht. Einen berühmten Vorläufer hatte es schon vor dreißig Jahren mit einer Ausstellung des späteren Documenta-Leiters Jan Hoet in Gent, ausgerichtet in 50 Privatwohnungen über volle drei Monate: "Chambres d’amis": Zimmer von Freunden. Viele Argumente für die intime Begegnung mit der Kunst außerhalb der Institution Museum sind schon 1986 vorgebracht worden. Ein museales Modell ist, wie man weiß, nicht daraus entstanden, und auch der Kölner Hausbesuch dürfte kaum schulbildend werden.