Polen

Geschichtsinszenierung im Dienste der Nation

Der polnische PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski vor dem Logo der Partei.
Ministerpräsidentin Beata Szydlo und PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski stehen für eine nationale Geschichtspolitik. © AFP / Janek Skarzynski
Von Martin Sander · 06.01.2016
Die Heldenverehrung von Politikern des frühen 20. Jahrhunderts hat in Polen Hochkonjunktur. Im mächtigen konservativen Spektrum der Gesellschaft sieht man vor allem in der Berufung auf historische Lichtgestalten einen Ausweis polnischer Identität.
Ein repräsentatives Familiengrab im Warschauer Stadtteil Bródno. Hier ruht der einflussreichste Vordenker des modernen polnischen Nationalismus – Roman Dmowski. Zum 76. Todestag Anfang 2015 gedenkt eine Schar von Dmowski-Anhängern ihres Meisters.
"Es gibt kein freies Polen. Wir leben seit 1939 unter Fremdherrschaft. Ob es uns gelingt, ein freies Polen zu erkämpfen, werden wir sehen",
verkündet der Aktivist Sławomir Zakrzewski, der sich hier wie seine Gesinnungsgenossen als Wahrer des politischen Erbes von Roman Dmowski in feindlichen Zeiten empfindet.
"Alljährlich versammeln wir uns vor dem größten Polen in der Geschichte des Landes, den man bis heute verfolgt, weil er ein Patriot war."
Roman Dmowski gründete Ende des 19. Jahrhunderts die antideutsche und antijüdische Partei Nationale Demokratie. Nachdem er im Kommunismus zur Unperson erklärt wurde, erlebt Roman Dmowski im demokratischen Polen seit Jahren eine Renaissance – Plätze, Straßen, Neuauflagen seiner Werke. Populärer als Dmowski ist nur Jozef Pilsudski, der Wiederbegründer des polnischen Staats 1918 und diktatorische Präsident der Zweiten Republik. Die Heldenverehrung von Politikern des frühen 20. Jahrhunderts hat in Polen nach der Wende Hochkonjunktur. Im mächtigen konservativen Spektrum der Gesellschaft sieht man vor allem in der Berufung auf historische Lichtgestalten einen Ausweis polnischer Identität, weil sie für den polnischen Staat kämpften. Auch im Schulunterricht ist die unkritische Vorstellung dieser Persönlichkeiten wichtiger als etwa die Lektüre nationalismuskritischer Dichter Polens.
Kinder in Uniformen - das Bild ist weit verbreitet
Kostümfeste, sogenannte historische Rekonstruktionen, avancierten in den vergangenen Jahren zu einem Hauptzweig populärer Kultur. Mal ist die Schlacht von Tannenberg, also der Sieg der Polen über den Deutschen Orden 1410 an der Reihe, mal sind es Piłsudskis Legionäre im Ersten Weltkrieg. Weit verbreitet ist die Kostümierung von Kindern mit einer Uniform, wie sie polnische Pfadfinder trugen, als sie gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg kämpften. T-Shirts mit dem Widerstandssymbol des Untergrundstaats gelten als trendy unter Jugendlichen.
"In Polen glaubt man tatsächlich, dass das moderne Staatenverständnis, das Nationalitätsverständnis etwas Transzendentes und Ewiges ist. Und nicht erst im 19. Jahrhundert erfunden wurde. In allen gesellschaftlichen Schichten kann man von einem nationalen Konsens ausgehen, wo die nationale Identität nicht infrage gestellt werden kann",
diagnostiziert der polnische Rechtswissenschaftler und Antifa-Aktivist aus Wrocław Kamil Majchrzak.
Majchrzak kämpft gegen die neue nationale Geschichtspolitik in Polen, vor allem deshalb, weil er befürchtet, dass die Grenzen zwischen bürgerlichem Mainstream und Rechtsradikalismus immer mehr verschwimmen könnten. In der Tat: Nationalistische Studentengruppen stürmten unlängst eine Veranstaltung mit dem bald 90-jährigen Sozialphilosophen und Nachkriegskommunisten Zygmunt Bauman an der Breslauer Universität.
Fußballfans propagieren rechte Gewalt
Der Oberbürgermeister musste eine Antiterroreinheit in den Hörsaal rufen, um Bauman zu schützen. Fußballfans propagieren wie vielerorts in Europa rechte Gewalt – und berufen sich dabei aber auf Widerstandshelden im Zweiten Weltkrieg wie Witold Pilecki. Pilecki, ein Offizier der antikommunistischen Heimatarmee, ging freiwillig ins KZ Auschwitz, um dort Widerstand gegen die Nazis zu organisieren. Nach Kriegsende ließen ihn die Kommunisten als Spion hinrichten. Der Nazi-Gegner und Antikommunist wird von den Nationalkonservativen heute als Nationalheiliger verehrt. Und er wird für die nationalkonservative "Polen gehört den Polen"- Ideologie vereinnahmt - ganz im Sinne von Roman Dmowski.
"Es geht um unsere Abwehraktion gegen die Diffamierung der Polen, gegen Antipolonismus, der heute die rechtliche Existenz Polens des polnischen Staats infrage stellt",
sagte jüngst der Vorsitzende der nationalkonservativen PiS-Partei Jarosław Kaczyński. Nationale Geschichtspolitik ist zentraler Bestandteil einer Wagenburgmentalität, die in Polen aktuell stark verbreitet ist.
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