Polen

Alte Kulturschätze in neuem Glanz

Thora-Wimpel im Berend-Lehmann-Museums, das unter dem Dach der Moses-Mendelssohn-Akademie steht.
Ein alter, wertvoller Thora-Wimpel © dpa / picture alliance / Jens Wolf
Von Katrin Kühne · 07.08.2015
Ein dichtes Netz jüdischer Schtetl prägte einst die Region um die polnische Stadt Kielce. Trotz der Besetzung durch die Nazis blieben zahlreiche Synagogen erhalten. Die Restaurierung der Gotteshäuser förderte nun zahlreiche kulturelle Schätze zutage.
"Die Synagoge von Szydlow ist eine der ältesten Polens. Ihr Aussehen hat sich im Wesentlichen erhalten, auch wenn die Jahrhunderte ihre Spuren hinterlassen haben."
Bereits seit 1970 kümmert sich Grzegorz Klusczynski liebevoll und ausdauernd um die Synagoge. Er ist Leiter des kommunalen Kulturzentrums, das hier untergebracht ist. Das Zinnen-bekrönte Gebäude aus der Mitte des 16. Jahrhunderts wirkt wie eine kleine Festung in der weiten Rasenfläche, die bis an die Stadtmauer reicht. Das ehemalige Schtetl Szydlow im Zentrum der polnischen Woiwodschaft Swietokrzyskie, das bedeutet Heiligkreuz, nennt sich ob seiner mittelalterlichen Befestigungsanlagen stolz das "Carcassonne von Polen".
Rund um die heutige Hauptstadt der Woiwodschaft, Kielce, hatte sich vor allem im 18., 19. Jahrhundert ein Netz von Schtetln entwickelt mit einem hohen, manchmal überwiegenden Anteil an jüdischer Bevölkerung. Rund 30 Prozent waren es vor dem Zweiten Weltkrieg in Szydlow wie in Kielce.
Die Kunstgegenstände waren vor den Nazis unter dem Holzboden versteckt
"Aus dem 17. Jahrhundert stammt der Aron-ha-Kodesch, der Ort für die Aufbewahrung der Thorarolle. Der Thoraschrein hat eine steinerne Bekrönung in Form eines pyramidalen Reliefs. Darunter ist noch die hebräische Inschrift zu lesen: 'Durch Dich werden Könige herrschen.'"
Die Seiten des Schreins dekorieren Messingspiegel, früher zum Reflektieren des Kerzenlichts der Wandleuchter genutzt. Sie stammen aus dem 17. Jahrhundert, ebenso wie die Kronleuchter über der hölzernen Bima. Die Kunstgegenstände waren unter dem Holzboden versteckt und von den Nazis nie entdeckt worden. Erst als das Kino, das die Kommunisten nach dem Krieg hier eingerichtet hatten, 1970 in das Gemeindezentrum umgewandelt wurde, kamen sie zum Vorschein.
"Die kleinen Fenster auf der gegenüberliegenden Wand gehen in den Frauenraum. Vorwiegend aus Holz, war er im Krieg verbrannt und wurde danach von den Einwohnern wieder aufgebaut."
Es verwundert ein wenig, dass die Bewohner von Szydlow die Frauensynagoge wieder aufgebaut haben. Denn die damals regierenden Kommunisten verfolgten in Polen einen stark antisemitischen Kurs und versuchten systematisch, die Spuren jüdischer Kultur zu verwischen, zu unterdrücken.
Eine kleine, aber feine Sammlung von Judaica
"Wir bemühen uns, hier ein kleines polnisch-jüdisches Museum einzurichten, wie Sie an den Vitrinen sehen. Außerdem haben wir seit 2003 hier drei große Werke des bekannten polnischen Bildhauers Gustaw Zemla."
Moses mit den Gesetzestafeln, König David als Psalmist und ein schönes Bronzerelief mit 18 Szenen aus dem Alten Testament.
Die Vitrinen beherbergen eine kleine, aber feine Sammlung von Judaica. Der Direktor des Kulturzentrums und Marek Maciagowski, Forscher für Judaistik in der Region Kielce, der uns begleitet, erklären uns die "Balsaminki". Das sind Kräuter-gefüllte Gefäße, die zum Abschluss des Sabbats genutzt werden. Hier aber sind es vermutlich einfache silberne Pfeffer- und Salzstreuer.
Szydlow ist heute in ganz Polen für seine geräucherten Pflaumen bekannt. Es heißt, dass die im 16. Jahrhundert einwandernden Juden sie mitgebracht hätten. Das Wahrzeichen des zirka eine halbe Stunde entfernten Chmielnik ist eine Gans. Das Schtetl mit früher über 80 Prozent Einwohnern mosaischen Glaubens war einst berühmt für seine Gänsezuchtfarmen, die vorwiegend von den Juden betrieben wurden.
Seit 2008 wurde unter anderem mit EU-Geld die überlebende Synagoge von 1634 restauriert, ebenso der jüngere der beiden jüdischen Friedhöfe. Der alte umgab den Tempel. Heute ein Garten, gedenkt dort das schwarze "Schattenhaus" der Toten des Holocausts.
Der Kubus der weiß restaurierten Synagoge mit grünem Dach steht dem gegenüber als "Haus des Lichts". Anfang letzten Jahres wurde der Bau als Bildungszentrum und Museum wieder eröffnet.
"Die Juden wurden damals hier sehr gern gesehen"
Enthusiastische Direktorin ist Agnieszka Dziarmaga:
"Die Juden sind Anfang des 17. Jahrhunderts nach Chmielnik eingewandert, als sie verschiedene Privilegien erhielten, wie Handel zu treiben, eine Synagoge und eine Schule zu bauen. Und sie wurden damals hier sehr gern gesehen."
Gerade diese Toleranz und Gelassenheit gegenüber Andersgläubigen ließ die Gegend um Kielce zu einem der Zentren des östlichen Judentums werden, wie die Direktorin weiter erzählt. Mit dem Schtetl als besondere Kultur- und Lebensform, wie hier in Chmielnik oder auch in Szydlow.
"Unser Museum wurde von Miroslaw Nizio gestaltet. Er ist auch der Innenarchitekt der Ausstellung des neuen jüdischen Museums in Warschau. Die Idee für Chmielnik war, das Alte mit dem Neuen zu verbinden, das Moderne mit dem Historischen."
Nizio hat die barock dekorierten Gurtbänder, die fein gemalten Lisenen der Innendekoration des Hauptraumes wieder sichtbar werden lassen. In einem offenen Viereck aus dunklem Metall sind Guckfenster in die Vergangenheit eingelassen. Versteckte Lautsprecher führen den Besucher auf den wuseligen Marktplatz von Chmielnik, mit Kinder- und Hundegeschrei und Musik. Und im Zentrum all dessen, als Ruhe- und Höhepunkt der multimedialen Ausstellung, steht die Bima aus Glas, die im Scheinwerferlicht glänzt. Die umgebenden vier Metallwände symbolisieren ein Haus, das nach allen Seiten geöffnet ist - für die Vergangenheit, für die Zukunft und die Gegenwart des heutigen Polens. Wo die Erinnerung an die Schtetl wieder auflebt.
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