Poetische Trauerarbeit

15.12.2009
Pünktlich zum 85. Geburtstag Friederike Mayröckers am 20. Dezember 2009 erscheinen mit der Gedichtsammlung "dieses Jäckchen (nämlich) des Vogel Greif" sämtliche zwischen 2004 und 2009 geschriebenen Verse.
Sehen, fühlen, denken, schreiben verschmelzen in Mayröckers Poetik zu einer intensiven, fesselnden Sprach-Bewegung. Ihre lyrischen Texte, mit denen sie die Grenzen der Gattung beständig erweitert, stellen offene Gesprächsräume dar. Von Klängen, Gerüchen, Farben durchflutet, laden sie zum Dialog ein.

Pünktlich zum 85. Geburtstag Friederike Mayröckers am 20. Dezember 2009 erscheinen mit der Gedichtsammlung "dieses Jäckchen (nämlich) des Vogel Greif" sämtliche zwischen 2004 und 2009 geschriebenen Verse. Zusammen mit den "Gesammelten Gedichten" von 2004 liegen damit (laut Klappentext) alle lyrischen Texte vor, die Mayröcker "jemals zur Publikation bestimmt hat".

Da die Gedichte des Jahres 2008 bereits im Frühjahr 2009 unter dem Titel "Scardanelli" publiziert wurden, stellen vor allem die 21 Gedichte, die zwischen dem 1.1.09 und 22.3.09 geschrieben wurden, eine Entdeckung dar.

In äußerst konzentrierter Form widersetzt sich das lyrische Ich darin dem immer häufiger aufkommenden Schmerz des Verlustes von Freunden und Seelenverwandten. Im Fall des 2009 verstorbenen Dichterfreundes Gert F. Jonke heißt es:

"ich traf zuletzt ihn in der Strasze, er/ war in Eile, eilte fort. Dahin der grosze Dichter. Ich winke ihm nach."

Auch mit dem 2005 verstorbenen Lyriker Thomas Kling – "dieser raue und zärtliche Held" – wird in poetischer Trauerarbeit kommuniziert:

"Liebling des Gesanges sein Aventüre Leben nämlich schlenkerte mit den/Armen / overdressed die Natur indessen unbeweint werde ICH sein/ o du prophetische …"

Der einstige Herz- und Hand-Gefährte Ernst Jandl hingegen ist ungenannt in allen Versen präsent. Derart verlassen – "keine Antwort fast 9 Jahre dasz er aufgehört hat zu sprechen" –, durchlebt das schreibende Ich das Alter als Einsamkeitshölle. Während in einem Gedicht vom 15./16.10.04 diese schmerzhafte Disharmonie noch als temporärer Schock erlebt wurde …

"erschrecke zuweilen dasz der zu dem ich/spreche nicht da ist",

… drängt sich beim Lesen nun zunehmend die Bildlichkeit der Melancholia auf. Sie bildet in "dieses Jäckchen (nämlich) des Vogel Greif" das intellektuelle Zentrum. In "Melancholia" vom 24.2.06 heißt es:

"suche nach Halt um weiter-/leben zu können bald alles verweht ... in meinem verwelkenden Zustand fast keine Flamme mehr und die Funken und Wolken be-/wegen sich kaum bin tief gebeugt …"

Wütend konfrontiert Friederike Mayröcker das Motiv der Vergänglichkeit mit dem Anspruch des Künstlers auf Ewigkeit in ihrer Dichtung. Doch während die "Knie den Dienst" versagen ("an Sappho"), schreitet der "Geistling", oder sollte man besser sagen die Geistlingin, tapfer voran.

Besprochen von Carola Wiemers

Friederike Mayröcker: dieses Jäckchen (nämlich) des Vogel Greif - Gedichte 2004-2009
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
356 Seiten, 22,80 Euro