Poetische Inventur

22.01.2008
Für seinen Band mit dem skurrilen Titel "Krähenüberkrächzte Rolltreppe" hat der 1930 geborene Adolf Endler Gedichte aus fünf Jahrzehnten zusammengetragen. Der Sprachjongleur setzt in dieser Auswahl nicht nur auf Kürze und Prägnanz, sondern auch auf melancholische Herzländer.
Bereits für die Gedichtsammlung "Der Pudding der Apokalypse" hatte der 1930 geborene Adolf Endler sein lyrisches Werk gesichtet. Auf 200 Seiten wählte er jene Gedichte von 1963 bis 1998 aus, die er am Jahrtausendende guten Gewissens der Öffentlichkeit vorlegen wollte.

Doch kommt ein Autor in die Jahre, ist nicht nur einmal eine Bilanz vonnöten. So kann in seinem Fall die frohe Botschaft verkündet werden, dass dabei ein neuer Gedichtband entstanden ist. Aus einem halben Jahrhundert wurden 79 ausdrücklich "kurze Gedichte" ausgewählt. Und diese Kürze fängt beim Einzeiler an.

Der Nachbemerkung des Autors ist zu entnehmen, dass kein Gedicht in der 1999 erschienenen Sammlung "Der Pudding der Apokalypse" zu finden ist und auch Gedichte aus den vergangenen Jahren aufgenommen wurden. Von Endlers virtuoser Energie, die stets neue Klangfiguren entstehen lässt, kündet bereits der skurrile Buchtitel "Krähenüberkrächzte Rolltreppe", der vor alliterierender Lautmasse nur so strotzt. Die in ihm enthaltene Portion sinnstiftender Klänge wird im dazugehörigen Gedicht von 1971 zwar nicht erklärt, aber die Rolltreppe als ein Maß für existentielle (Lebens)Zeit und (Lebens)Raum entdeckt. Schließlich muss das lyrische Ich ja "irgendwie sozusagen vorwärts ja vielleicht weiter" kommen.

Obwohl Endler mit seiner lyrischen Kollektion die "krummen" Lebenswege dokumentieren will, scheinen diese Wege von solch poetischer Krümmung, so dass die Zeiten ineinander rutschen.

Plötzlich korrespondieren die Erinnerungen an die frühen Kriegserlebnisse im Gedicht "(Als der Krieg zu Ende war:)" von 1960

"Da war ein Nest blutroten Schwalbenflaums/Da war ein Nest gebaut aus nackten Knöchlein"

mit der poetischen Metapher Gertrude Steins im Zweiteiler "Endlers Blog" aus dem Jahr 2006:

"Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose/Und Auschwitz ist Auschwitz ist Auschwitz ist Auschwitz". "

Neben anrührenden Versen wie "Bildungsweg" und "Übung" stehen Einübungen in die Kunst alltäglicher Verstrickungen ("Das Ei"), blubbert das "schnapsversengt(e)" Herz allzeit beim Trennungsschmerz ("Mein Herz dreht sich bass") und zwingt die Lust am Reim zu schwarzer Konsequenz ("Dilemma"). Doch der Sprachjongleur Endler, dessen verwegener Klangwitz zu Recht gerühmt wird, setzt in seiner Gedichtauswahl nicht nur auf Kürze und Prägnanz, sondern auch auf melancholische Herzländer, in denen sich die Zeiten als Zeitmaß des Alternden spiegeln.

So heißt es im Gedicht "Mit sechsundsiebzig":

" "Ach, die Jahre kürzer und kürzer
Wie länger die Straße, die Straße -"

und in "Das Kreuzchen"

" "Immer, wenn ich jetzt ein Manuskript zur Veröffent-
lichung herausgebe, ach,
Denke ich: Sofern es erscheint, dann mit einem
Kreuz-
chen hinter meinem Namen"."

Möge Adolf Endler seine Inventur noch viele Male wiederholen und das Kreuzchen noch lange ausbleiben.

Rezensiert von Carola Wiemers

Adolf Endler "Krähenüberkrächzte Rolltreppe".
Neunundsiebzig kurze Gedichte aus einem halben Jahrhundert.

Wallstein Verlag 2007. 85 Seiten. 16 Euro.