Poetische Heckenschützin

Von Tobias Wenzel · 06.10.2010
Lola Arias schreibt Theaterstücke, Gedichte, Prosa- und Liedtexte und singt auch noch selbst. Und das alles so überzeugend, dass sie auch noch von sich reden machen dürfte, wenn im nächsten Jahr Argentinien nicht mehr Gastland der Frankfurter Buchmesse ist.
""Ein paar Afrikaner verticken Drogen
wie Statuen mit Handys zwischen den Bäumen.
Und während die Dealer auf ihre Kunden warten
um ihnen in Büschen ein Tütchen zu reichen
warten die Tiere im Streichelzoo auf Kinder
die umherrennen und sie mit klebrigen Händchen betatschen [...]
""

Lola Arias sitzt am Ort ihres Gedichts, im Berliner Park Hasenheide, vor dem Gehege des Streichelzoos. Die noch nassen Haare der 34-jährigen argentinischen Autorin verbreiten den Duft von parfümiertem Shampoo, der sich wiederum mit dem Geruch nach Ziegen und Eseln vermischt. Es ist, als wären alle Protagonisten des Gedichts von Lola Arias gekommen, um ihre Verse auf die Bühne zu bringen. Wobei die Bühne der Park selbst ist, mit samt den Tieren:

"Es gibt einen Blickkontakt zwischen mir und dem Bison. Ist wohl ein Mann. "

Tiere suchen die sympathische Autorin auch in ihren Werken auf. Wenn sie eine Ratte und einen Hund als Protagonisten für ein Theaterstück vorsieht, dann auch deshalb, weil echte Tiere sich der Kontrolle entziehen, weil sie Überraschendes, Unvorhergesehenes tun.

""Der Esel dreht durch! Sehr schön!" "

Lola Arias liebt die Überraschung – und starke Bilder. Sie nennt die Tiere des Streichelzoos "Huren für Kinder", wirft die Frage auf, ob im Bauch einer schwimmenden, schwangeren Frau auch das Baby krault, lässt eine Figur die Liebe als Heckenschütze definieren, schickt die personifizierte Schönheit mit einer über das Gesicht gestülpten Tüte auf die Bühne. Lola Arias folgt ihren Träumen im Schreiben. Den Hang zur Fantasie hat sie von ihrer Mutter, einer Literaturprofessorin.

"Meine Mutter war nie besonders organisiert, ordentlich oder streng. Jeden Morgen hat sie mir gesagt: 'Heute gehst du nicht in die Schule! Wozu auch?! Bleiben wir doch lieber im Bett und schlafen einfach.' Und ich sagte: 'Mama, ich möchte aber in die Schule gehen, bitte!' Und sie: 'Ach nein, lesen wir doch lieber ein Buch und unterhalten uns ein bisschen.' Mein Vater war das absolute Gegenteil: streng und fordernd. Das war also schon eine etwas schizophrene Erziehung. Aber ich habe sie überlebt."

"Ich habe schon als Kind angefangen zu schreiben. Das Erste, was von mir existiert, ist ein Gedicht über den Tod meiner Schildkröte. Ein sehr dramatisches Gedicht. Denn ich fand sie tot auf dem Rücken, die Innereien hingen heraus. Eine Katze hatte sie gefressen. Später habe ich dann weitere Gedichte geschrieben, sehr schlechte, nach und nach bessere. Vielleicht bessere. Einige meinen, ich müsste weiter an ihnen arbeiten."

Lola Arias nimmt sich selbst nicht so ernst. Aber über ihre Werke möchte sie die Kontrolle behalten. Es macht die 34-Jährige nervös, dass sie nicht überprüfen kann, ob ihre Gedichte angemessen ins Deutsche übertragen wurden. Denn Deutsch versteht die argentinische Schriftstellerin noch nicht gut genug. Obwohl sie mit dem Schweizer Künstler Stefan Kaegi verheiratet ist und mittlerweile mehr Zeit in Berlin verbringt als in Buenos Aires:

"Ich versuche, die Winter zu vermeiden. Deshalb lebe ich in Berlin von März bis Oktober. Und von Oktober bis Februar bin ich in Argentinien. So entkomme ich der Winterdepression und lebe immer im Sommer. Ich brauche einfach die Sonne. Ohne Sonne, ohne Licht werde ich unendlich melancholisch. Die deutschen Winter – die bringen mich um!"

1976 wurde Lola Arias in Buenos Aires geboren. Und damit im Jahr, in dem die Militärdiktatur begann. Eltern verschwanden, wurden vom Militär versteckt, gefoltert und getötet. Die Kinder wurden zu Waisen. In ihrem Theaterstück "Mi vida después", "Mein Leben danach", lässt Lola Arias sechs Schauspieler, die in den 70er-Jahren geboren wurden, das Leben ihrer Eltern erzählen oder rekonstruieren.

"Ich bin sehr neugierig und verliere mich im Betrachten der Menschen, die an mir vorbeigehen. Als ich Kind war, lebte ich mit meinen Eltern im Zentrum von Buenos Aires, dort, wo die ganzen Banken ihre Gebäude hatten. Da gab es keinen Park, in dem ich herumlaufen konnte. Dafür hatte ich ein anderes Vergnügen: Ich saß auf dem Balkon meines Zimmers und bewarf die Passanten mit Gegenständen. Wie eine Heckenschützin!"

Lola Arias: Liebe ist ein Heckenschütze
Blumenbar Verlag 2010
übersetzt von Rike Bolte, Udo Kawasser und Margit Schmohl
240 Seiten, 22,90 Euro

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