Poetik

Kapitulation vor der Wirklichkeit

Der österreichische Schriftsteller Thomas Glavinic.
Thomas Glavinic mag den Sommer und Mücken, Zecken und Wespen aber weniger. © picture alliance / dpa / Erwin Elsner
Von Gerrit Bartels · 09.07.2014
Woher kommen die Ideen für einen Roman? Wie vollzieht sich der Schreibprozess? In "Meine Schreibmaschine und ich" versucht der österreichische Schriftsteller Thomas Glavinic auf seine launige Art zu erklären, wie man das Ich in immer wieder neue Formen gießt.
Die Studenten der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg müssen ganz schön verblüfft gewesen sein, als Thomas Glavinic ihnen vor zwei Jahren im Rahmen einer Poetik-Dozentur erst einmal eine Liste seiner Vorlieben und Abneigungen präsentierte. "Ich mag Freiheit", hob der österreichische Schriftsteller an, um dann fortzufahren, dass er den Sommer mag und Mücken, Zecken und Wespen nicht so, dass er Fisch mag, aber kein Lamm, dass er Zivilcourage mag und Mut, aber, natürlich, wer mag die schon? - er mag keine Feiglinge. Und so weiter.
"Was soll das denn?", dürften sich vor allem die Studenten gefragt haben, die von Glavinic bisher nicht so viel gehört oder gelesen hatten: "Will der uns auf den Arm nehmen?" Wollte er sicher nicht – nur ist Thomas Glavinic ein Schriftsteller, der gern gegen Erwartungen anläuft, der nicht gleich, nur weil sich das bei einer Poetik-Dozentur womöglich so gehört, mit poetologischen Reflexionen seiner Arbeit beginnt, der ironisch wirkt, es aber gar nicht ironisch meint. Und der eben nicht zuletzt auch etwas Dunkel-Hemdsärmeliges, Vor-den-Kopf-stoßendes hat – in seiner Literatur wie im richtigen Leben.
Die innere Stimme – Esoquatsch oder Ideengeber?
Trotzdem hat Glavinic dann in Bamberg, wie man in dem auf seinen Vorlesungen basierenden und mit einem Vorwort des von Glavinic verehrten Schriftstellers John Burnside ausgestatteten Buch "Meine Schreibmaschine und ich" nachlesen kann, über das eigene Schreiben nachgedacht. Schon in der "Was ich mag und was ich nicht mag"-Vorlesung taucht neben der Vorliebe für Romane und für "Talent, Tiefe und Fleiß" als Voraussetzung für gelingende Bücher auch die für gute Ideen auf: "Wenn eine große Idee zu mir kommt, wenn plötzlich etwas da ist, das einen Roman tragen könnte, bin ich glücklich. Es ist, als hätte ich Nachricht aus einer Welt empfangen, zu der Menschen gewöhnlich keinen Zugang haben." Und mit diesen nicht zu erzwingenden Ideen setzt sich Glavinic dann im folgenden intensiv auseinander – von seiner Fähigkeit, diese Ideen tatsächlich zu "sehen" über die in ihnen verborgenen Abgründe, die es ihm nicht erlauben, sie auf Papier zu bringen, bis hin zu seiner "inneren Stimme", die verkündet, dass er auf dem richtigen Weg ist (Was Glavinic im übrigen gleichermaßen als Eso-Quatsch abtut – und dann doch nichts auf diese innere Stimme kommen lassen will!).
"Ich weiß nicht, ob ich ein guter Schriftsteller bin"
Glavinic erzählt, warum er und wie er Schriftsteller wurde, wie er arbeitet, was sich unter seinen vermeintlich "seichten" Oberflächen verbirgt. Und auch, wie fast jedes seiner inzwischen zehn Bücher zustande kam, angefangen von seinem 1998 erschienenen Debüt "Carl Haffners Liebe zum Unentschieden" bis hin zu seinem jüngsten Roman "Das größere Wunder", den er mehrmals begann, wieder liegenließ und von dem er große Teile auch wieder verwarf. Erstaunlich ist die Offenheit, die Glavinic hier an den Tag legt, gipfelnd in der nur scheinbar koketten Äußerung, dass man von ihm nichts lernen könne: "Ich weiß nicht, ob ich ein guter Schriftsteller bin, ich weiß gar nichts." Und frappant ist auch, dass er immer wieder nach Worten sucht, um gerade hinter seine drei mitunter rätselhaften, doppelbödigen, mit verschobenen Wirklichkeiten spielenden Jonas-Romane zu kommen, um "Unerklärbares zu erklären" – und ihm das nur unzureichend gelingt.
Glavinik, Glawnik oder Glawinitsch
Am Ende, nach einem höchst unterhaltsamen Gespräch mit einem fiktiven Interviewer, der ihn wahlweise Glavinik, Glawnik oder Glawinitsch nennt, kapituliert Thomas Glavinic endgültig vor der Wirklichkeit. Er gesteht, dass er dieser überhaupt nicht vertraue, er ihr gar alles zutraue, "sogar ihre eigene Nichtexistenz!". Soviel Freiheit muss sich schließlich gerade ein Schriftsteller erlauben dürfen.

Thomas Glavinic: Meine Schreibmaschine und ich
Edition Akzente, Hanser Verlag 2014
115 Seiten, 17, 90 Euro

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