Poesie der Düsternis

10.11.2010
Der Band "Vorstellung meiner Hände" versammelt Gedichte aus dem Nachlass des 1975 jung verstorbenen Rolf Dieter Brinkmann. Wie einer ein wirkmächtiger Schriftsteller wird und ein harter Kerl, das kann man bei der Lektüre hautnah miterleben.
Wilde Posen, barsches Auftreten und die verzweifelte Suche nach einer neuen Ästhetik: dafür steht der Name Rolf Dieter Brinkmann. Sein berühmtester Gedichtband, "Westwärts 1 & 2", kam 1975 heraus, kurz nach seinem frühen Unfalltod mit 35 Jahren, allerdings in einer verstümmelten Fassung, die erst 2005 durch eine Neuausgabe korrigiert wurde. Ebenfalls bei Rowohlt erscheinen nun "Frühe Gedichte" unter dem Titel "Vorstellung meiner Hände". Sie stammen aus der Feder eines jungen Mannes, der eine Buchhändlerlehre machte und Schriftsteller werden wollte. Seit er 15 war, schrieb er Gedichte. Bereits mit 20 gelangen ihm die ersten Veröffentlichungen in verschiedenen Zeitschriften.

Wie groß und reflektiert der Gestaltungswille schon des jungen Autors war und wie enorm die poetische Schubkraft, die ihn antrieb, das zeigen diese Gedichte aus dem Nachlass verblüffend deutlich. Der Band enthält zwei Gedichtsammlungen, die Brinkmann in dieser Form konzipiert hat: "Don Quichotte auf dem Lande. Gedichte 1959/1961" und "Vorstellung meiner Hände. Gedichte 1963". Wie er seinen Sound formte, in wechselnder Absetzbewegung zu dem, was er für modisch hielt, das kann man hier fast mit Händen greifen – schmerzhafter und deutlicher als in den poetologischen Selbstaussagen, die er seinen Gedichten beifügte, wenn er sie an Zeitschriften schickte.

Die erste Sammlung hat einen völlig anderen Ton als die zweite. Aber schon in der ersten gibt es Gedichte, in denen Brinkmann poetisch reflektiert, was er in einem Brief an seinen Freund Ralf-Rainer Rygulla als seine Schwäche ansah: "zuviel Krolowsche Schönheit und zuviel an lyrischem Sperma". Auch das Heilmittel kannte er bereits: "härter und auch zum Teil apodiktischer müssen die Sachen kommen, Rührung – natürlich, aber nicht auf Kosten der Diktion!" Das schreibt ein 22-Jähriger, der eben noch all die Sehnsuchtsworte der traditionellen Lyrik aufrief: Mond, Vögel, Blau, Luft, Himmel, Sterne, Rose, Landschaft, Wind. Dazu ein lyrisches Ich, das zwischen Frühlingseuphorie und Herbstmelancholie taumelt wie ein Blatt im Wind.

Während er in "Gedicht: 1960" trotz allem daran festhalten will – "Mond Katzen Fische und Vögel / liebe ich trotz einsteinscher Formeln / und Kernspaltung" -, zeigt sich in der zweiten Sammlung der bewusst vollzogene Wechsel zu einer Poesie der Düsternis: "Wieder sind / die Vögel in der Luft / und füllen sie mit Federn und Krallen / und eisernen Schnäbeln (...) / kein Trost, kein / Haar, keine / Erinnerung / an Strassen und Gärten und Mauern, denn genau / an der Stelle, wo ich verwundbar bin / und wo mein Dasein auf die / Dichtung traf, öffnen / sie die Achseln und / Schultern".

Wie einer ein großer Schriftsteller wird und ein harter Kerl, das kann man mit diesem Gedichtband hautnah miterleben. "Wir sind drei Tage auf Reisen gewesen!", möchte man mit dem Dichter ausrufen. Es war eine echte Abenteuerreise, aufregend, schön und auch ein wenig traurig.

Besprochen von Meike Feßmann

Rolf Dieter Brinkmann, "Vorstellung meiner Hände. Frühe Gedichte",
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2010, 96 Seiten, 16 Euro
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