Pocahontas

Von Nicolas Hansen · 09.05.2007
Als 1607 die ersten europäischen Siedler nach Virginia kamen und die Siedlung Jamestown gründeten, war unter ihnen ein junger, kräftiger und gut aussehender Mann namens John Smith. Er geriet in die Gefangenschaft der Indianer und als diese ihn töten wollten, wurde er von Pocahontas, der hübschen Tochter des Häuptlings, gerettet.
Die beiden verliebten sich in einander und sorgten so für die Verständigung zwischen Indianern und den weißen Siedlern. Nicht einmal Hollywood hätte die Geschichte besser schreiben können. In der populären Folklore Amerikas hat sie sich so zugetragen - in Wirklichkeit war sie aber ganz anders. Jetzt 400 Jahre später entdeckt Amerika seine Wurzeln. Archäologen haben die Überreste der verloren geglaubten Siedlung gefunden und freigelegt. Die Geschichte von Pocahontas und John Smith könnte neu geschrieben werden. Es ist ein Kampf Davids gegen Goliath oder Wissenschaft gegen Hollywood.

In einem Indianerdorf in Virginia wuchs Anfang des 17. Jahrhunderts ein junges Mädchen auf. Sie war 12 Jahre alt und galt als lebenslustig, neugierig und aufgeweckt. Ihr Name war Pocahontas.

Das Dorf, in dem sie lebte, lag tief in den Wäldern von Virginia. Es war ein typisches Indianerdorf, eines von vielen in der Region. Die Indianer hier lebten nicht in Zelten, wie die der Great Plains, sondern in Hütten aus Baumstämmen. Die Frauen sammelten Früchte und bereiteten das Essen zu, die Männer jagten und bauten Mais an. In diese Welt wurde Pocahontas geboren. Als junge Frau sollte sie zur Symbolfigur Amerikas werden.

Die ganze Region war durchzogen von Flüssen und Seen, die alle zum Wassersystem der Chesapeake Bucht gehörten. Das Reich der Powhatan Indianer reichte vom Süden Virginias bis hinauf zum Potomac River, wo heute Washington DC liegt, erzählt Chief Robert Green.

"Das Dorf, in dem Pocahontas gelebt hat, liegt heute unter Wasser. Es liegt hier draußen in Akiqueeg Creek. Es ist im Laufe der Zeit weggewaschen worden. In den 1890ern haben sie Teile des Dorfes freigelegt. Von hier wurde Pocahontas damals entführt. Wie Sie sehen, ist dies wunderschönes Land, wo man sehr gut lebt. Als die englischen Kolonisten damals ankamen, haben sie uns von diesem Land vertrieben."

Chief Robert Green ist heute der Häuptling des Patawomack Stammes. Früher gehörte sein Stamm zum Reich der Powhatan Indianer, einem Verbund von etwa 30 Stämmen mit über 15.000 Menschen. Chief Powhatan war ihr mächtigster Häuptling, er lebte weiter südlich in der Nähe von Jamestown.

Chief Robert Green: "Es war für sie nicht ungewöhnlich, hin und her zu reisen zwischen diesem Dorf und Jamestown. Ich meine, wir haben hier einen Super-Highway und sie sind mit ihren Kanus ganz schön rumgekommen. Powhatan soll in jedem Dorf eine Frau gehabt haben und Pocahontas war die Tochter seiner Patawomack Frau. Sie hat hier eine ganze Weile gelebt."

Der Mythos um Pocahontas beginnt im Dezember 1607. Sie lebte zu dem Zeitpunkt bei ihrem Vater im Süden von Virginia. Sieben Monate zuvor waren etwa 100 englische Siedler angekommen und hatten die Siedlung Jamestown gegründet. Einer von ihnen war John Smith. Er war 27 Jahre alt und galt als tapfer und unerschrocken. Als Söldner hatte er für die Franzosen gekämpft und für die Habsburger gegen das Osmanische Reich. Im Dezember 1607 wollte er, wie schon so oft, die Gegend erkunden. Als hätte er die Gefahr geahnt, nahm er zum Schutz vor Indianern ein paar Männer mit.

Wie aus dem Nichts, wurden sie von Kriegern der Paspaheh angegriffen. Smith und die anderen Engländer waren die ersten Europäer, die in Virginia siedelten. Sie waren den Indianern bereits vorher begegnet, doch die Treffen verliefen immer friedlich. Seine Begleiter wurden von Dutzenden Pfeilen durchsiebt, einer von ihnen konnte fliehen. Nur John Smith wurde lebendig von den Indianern in ihr Dorf gebracht. Er hatte Todesangst.

"Sie brachten mich ins Dorf, wo zweihundert bedrohliche Krieger aufgereiht standen und mich ansahen, als wäre ich ein Monster. Powhatan nahm mit seinem Gefolge auf einer erhöhten Liege platz, die einem Bett glich. Er trug eine große Robe aus Waschtierpelzen, an der die Schwänze der Tiere herunterbaumelten. Vor ihm war ein Feuer. Rechts und links von ihm saß jeweils eine junge Frau zwischen 16 und 18 Jahren."

Die Engländer wussten wenig über die Indianer und sie vermuteten, dass sie Menschen opferten oder gar verspeisten.

"Die Indianer brachten zwei große Steine auf den Platz. So viele Krieger wie möglich zerrten an mir herum und schleppten mich zu den Steinen. Sie legten meinen Kopf auf die Steine und nahmen große Knüppel. Mit ihnen wollten sie meinen Schädel zertrümmern. Pocahontas, Powhatans liebste Tochter, warf sich auf mich und nahm meinen Kopf in ihre Arme, um mich zu retten."

Zur Überlieferung dieser Geschichte trug am meisten John Smith selber bei. Er schrieb über seine Erlebnisse in Virginia später in seinen Büchern.

Chief Robert Green: "Er hat das vielleicht alles so wahrgenommen. Aber, er war in einem fremden Land, umgeben von fremden Menschen... Er hätte schon den Eindruck kriegen können, aber warum schreibt er davon nicht schon früher, sondern erst in seinem dritten Buch? Wenn er wirklich Todesangst gehabt hätte..., ich meine, er wollte sowieso alle nur mit seinen Geschichten beeindrucken, warum erwähnt er das dann nicht schon früher?"

Auch Historiker zweifeln an der Richtigkeit seiner Schilderungen. James Horn, von der Colonial Williamsburg Foundation.

"In seinen Schriften, besonders in den späteren Schriften, dem Geschichtsbuch über Virginia von 1624, schreibt er über seine Erlebnisse mit den Powhatans und wie Pocahontas ihm das Leben rettete. In all seinen Schriften wird er von Zeit zu Zeit immer wieder von Frauen vor Sklaverei, Tod oder irgendeinem anderen Schicksal gerettet. Smith ist immer der tugendhafte Ritter, der von Frauen vor dem Tod oder einem anderen Schicksal bewahrt wird."

Smith stellte sich gern als Held dar. Von einigen seiner Erzählungen gibt es auch unterschiedliche Versionen. Daher gilt Smith unter Historikern nicht als eine unbedingt glaubwürdige Quelle.

James Horn: "Man nimmt an, dass dieses Ritual, das Smith beschreibt, in dem er hingerichtet werden sollte - man nimmt an, dass das eine Adoptionszeremonie war. In der Zeremonie wird der englische Smith quasi umgebracht und wird als Powhatan Smith neu geboren."

Obwohl historisch zweifelhaft, wurde die Legende von Pocahontas und John Smith zu einer der beliebtesten Geschichten Amerikas. Elvis Presley und Peggy Lee sangen darüber, es gibt Kinderbücher und Comics. In der amerikanischen Folklore werden die beiden als Liebespaar wahrgenommen, ein romantisches Bild zwischen dem englischen Siedler und der Indianerin entsteht. In den 1990er Jahren verstärkte der Disney Konzern diese Wahrnehmung mit einem Zeichentrickfilm. Darin ist Pocahontas nicht mehr zwölf Jahre alt, sondern eine junge Frau, die sich in John Smith verliebt und ihn rettet.

Chief Robert Green: "Es gibt glaube ich keinen Zweifel, dass sie John Smith kannte. Aber eine Romanze, nein, das glaube ich nicht. Es hätte sein können. Heute regen sich Leute auf, dass sie erst 12 Jahre alt war, aber damals wurden sie in dem Alter verheiratet. Die damalige Lebenserwartung lag bei ungefähr dreißig. Mit 12 hatte sie also fast ihr halbes Leben hinter sich. In der heutigen Gesellschaft klingt das alles furchtbar. Also: wäre es theoretisch möglich? Ja, wahrscheinlich. Glauben wir, dass es so war? Eher nicht."

John Smith sah in Pocahontas vermutlich eine Freundin. Er lernte von ihr die Sprache der Indianer, war häufig Gast in ihrem Dorf und verstand sich gut mit Powhatan. Smith wollte mehr über das Land erfahren, ob es einen Wasserweg zum Pazifik gab. Die Engländer interessierten sich für die Bodenschätze Amerikas. Sie hofften auf Gold und Silber, denn ihre Kolonie war von einer Aktiengesellschaft finanziert und die Investoren in London erwarteten Profite. Die Indianer auf der anderen Seite wollten vom technischen Fortschritt der Europäer profitieren.

Powhatan sah in ihnen einen Handelspartner. Doch als John Smith Virginia verließ, verschlechterten sich die Beziehungen zwischen den Engländern und den Indianern. Es kam zu gegenseitigen Überfällen, Raubzügen und Entführungen. Pocahontas geriet in die Gefangenschaft der Engländer. Ein Jahr lebte sie unter der Obhut des Priesters von Jamestown. Sie lernte die englische Sprache, sie wurde englisch gekleidet und schließlich sogar getauft. Der Siedler Ralph Hamor schreibt 1614 in einem Brief:

"Ein Gentleman mit guter Reputation und ehrlichen Absichten, Master John Rolfe, hat sich in Pocahontas verliebt und sie sich in ihn. Der Gouverneur Sir Thomas Dale hat einer Hochzeit zugestimmt, da sie zum Besten der Kolonie sein würde. Pocahontas hat ihrerseits Powhatan und ihre Familie darüber informiert. Powhatan sandte einen Onkel und zwei Brüder, der Zeremonie in der Kirche beizuwohnen. Seit dem haben wir beste Beziehungen mit Powhatan und allen Nachbarstämmen."

Danielle Moretti-Langholtz und Buck Woodard, Anthropologen am College of William and Mary in Williamsburg, Virginia haben das Leben von Pocahontas studiert.

Moretti-Langholtz: "Aus den Aufzeichnungen wissen wir, dass ihr Vater Powhatan mehrere Frauen hatte, um Kinder zu zeugen und damit Allianzen zu bilden."

Woodard: "Die Engländer haben aber keine Frauen. Die Indianer können nicht sagen, damit wir eine Allianz schließen können ..."

Moretti-Langholtz: "... gebt uns ein paar von euren Frauen und wir tauschen Frauen ... "

Woodard: "... Also ist es die einzige Möglichkeit, dass eine der Powhatan Frauen einen Engländer heiratet. Aus indianischer Sicht bedeutet diese Allianz, dass wenn wir verwandt sind, Du mir auch verpflichtet bist."

Pocahontas lebte integriert unter den Engländern. Sie nahm nach ihrer Taufe sogar einen englischen Namen an: Rebecca. Zusammen mit John Rolfe bekam sie bald Nachwuchs. Sie nannten ihren Sohn Thomas.

Buck Woodard: "Die Engländer sahen in Pocahontas und Powhatan immer eine Art Prinzessin und einen König. Damit nahm Pocahontas für die Kolonisten eine andere Rolle ein, die sie in ihrer eigenen Gesellschaft vielleicht nie hatte."

Eine indianische Prinzessin heiratet einen englischen Siedler: Die Aktiengesellschaft in London war begeistert von der Nachricht der Hochzeit. Bewies sie doch Skeptikern und potentiellen Investoren, dass die Indianer kontrollierbar waren - mehr noch, es war möglich, sie zu christianisieren. Die Aktiengesellschaft lädt Pocahontas und John Rolfe und einige Stammesmitglieder der Powhatan nach England ein.

Danielle Moretti-Langholtz: "Pocahontas besucht auch den königlichen Hof. Man könnte das als eine Art diplomatischen Besuch verstehen. Man möchte in ihr eine Autorität sehen, jemanden adliger Abstammung. Und interessanterweise besucht sie den königlichen Hof alleine, denn ihr englischer Ehemann gilt nicht als adelig. Ich denke absolut, die Engländer hatten ein Interesse daran, mit dieser Geschichte zu werben."

Die Hochzeit von Pocahontas und John Rolfe und der Besuch von Prinzessin Pocahontas in London wurde zu dem Stadtgespräch. Doch das Klima in England und die von Öfen und Fabriken verschmutzte Luft machten den Indianern zu schaffen. Einige von ihnen wurden krank und starben innerhalb weniger Monate. Auch Pocahontas klagte in London über Atembeschwerden. Bereits an Bord des Schiffes, das sie, John Rolfe und ihren Sohn zurück nach Virginia bringen sollte, verschlechterte sich ihr Zustand. Zur Behandlung wurde sie an Land gebracht und starb wenig später vermutlich an einer Lungenentzündung. Ihr Sohn Thomas Rolfe wuchs nach ihrem Tod in England auf und kehrte erst im Alter von 18 Jahren nach Virginia zurück.

James Horn: "Der Mythos von Pocahontas entwickelt sich teilweise schon sehr früh durch die Schriften von John Smith. Aber die Geschichte, mit der wir so vertraut sind, entwickelt sich erst viel später, im späten 18. und 19. Jahrhundert. Es wird zu einer Geschichte über Ursprung und Herkunft. Sie suggeriert, dass Europäer und Indianer langfristig friedlich zusammenleben können. Oder unverblümt gesagt, Indianer und andere Rassen würden zur englischen Lebensweise und Kultur übertreten. Es ist eine romantische Sichtweise der Beziehungen zwischen Kulturen. Das stimmte natürlich so nicht, beschönigt aber die Ausbeutung der Indianer und danach der Schwarzen durch die Europäer und ihrer Nachfahren."
Die Rettung Smiths durch Pocahontas und ihre Hochzeit mit John Rolfe gehören zu den Gründungsmythen Amerikas. Sie stammen aus der Frühphase der englischen Kolonie Jamestown, die für die amerikanische Geschichte eine besondere Bedeutung hat. Ende des 16. Jahrhunderts begann unter den europäischen Mächten eine Art Wettlauf um die Welt. Scheinbar unbegrenztes Land lockte nach Nordamerika. Zudem gab es Gerüchte über reichhaltige Gold- und Silbervorkommen. Sowohl Spanier als auch Engländer beanspruchten Nordamerika für sich und auch die Franzosen und Portugiesen wollten am vermeintlichen Reichtum teilhaben. Zahlreiche Versuche, Kolonien in Nordamerika zu gründen, schlugen fehl. Auch John Smith und die Siedler von Jamestown überlebten nur knapp.

James Horn: "Das größte Problem, was sie hatten, ähnelte den Problemen, die die meisten europäischen Kolonien hatten, als sie ihre Kolonien gründeten, und das war, genug zu Essen zu finden und Vorräte anzulegen, die sie durch die erste Phase des Aufbaus der Siedlung brachten."

Von den 104 Siedlern, die Jamestown im Mai 1607 gründeten, überlebten nicht mal 40 das erste Jahr. Aus England kam Nachschub. 1609 kamen neun Schiffe mit 500 neuen Siedlern in Jamestown an. Nur ein halbes Jahr später zählte die Bevölkerung noch 60 Siedler. Unter ihnen war George Percy. Er schrieb in einem Brief an den König von den katastrophalen Zuständen in der Kolonie.

"Jeder von uns in Jamestown fühlte stechenden Hunger, den kein Mensch auch nur annähernd in der Lage ist zu beschreiben. Einige Männer haben unser Vorratslager geplündert. Sie wurden vom Gericht daraufhin zum Tode verurteilt. Wir haben die Pferde geschlachtet und die anderen Haustiere gegessen, so lange ihr Fleisch reichte. Danach haben wir Hunde, Katzen, Ratten und Mäuse gegessen."

Im Sommer machte eine Dürre die Ernte der Siedler zu Nichte, die Flüsse führten kaum trinkbares Wasser und die Winter waren eisig. Die Jagd mit Pfeil und Bogen war leiser als die mit den Musketen der Siedler, daher waren die Indianer erfolgreicher bei der Jagd. Doch obwohl es den Indianern nicht viel besser ging, berichten verschiedene Siedler, dass Pocahontas ihnen Nahrungsmittel brachte. Mit Hilfe einiger Krieger gelang es ihr, vor allem Mais und etwas Fleisch nach Jamestown zu bringen. So half sie den Siedlern durch den sogenannten "Hungerwinter" und sicherte das Überleben der Siedlung.

Auch John Rolfe war unter den wenigen, die den Winter überlebten. Er war an Bord eines der neun Schiffe, die 1609 nach Jamestown kamen. In der Karibik waren sie in einen Hurricane geraten, und das Schiff, auf dem sich John Rolfe, seine Frau und sein erstes Kind befanden, zerschellte an einem Riff. Die Reparatur an den Schiffen dauerte Monate. Die Strapazen der Überfahrt, das ungewohnte Klima und Krankheiten machten den Siedlern zu schaffen. John Rolfes Frau und sein Kind starben auf der Insel.

Den Siedlern gelang es, zwei kleine Schiffe zu bauen und ihre Fahrt nach Jamestown fortzusetzen. Doch John Rolfe verlies die Karibik nicht, ohne einige Samen einheimischer Pflanzen mitzunehmen, die er später in Jamestown aussäte. Es war Tabak. Von den Indianern lernte er die Pflanzen zu kultivieren, zu ernten und zu verarbeiten.

James Horn: "Tabak verbesserte schließlich die wirtschaftliche Situation von Jamestown. Die Kultivierung einer Tabaksorte, die dem englischen Geschmack entsprach und die in Virginia gut angebaut werden konnte, brachte ordentliche Profite auf den Märkten von London. Ab 1620 entstand ein regelrechter Tabakboom, es gab eine große Nachfrage nach Tabak aus Virginia. Tabak wird also die erste große Einnahmequelle. Und dem Tabak ist es zu verdanken, dass sich die Kolonie zu der wohlhabendsten englischen Kolonie im 17. und 18. Jahrhundert entwickelt."

Die Bedeutung von Jamestown für die amerikanische Geschichte liegt darin, dass es die erste Siedlung von Europäern in Nordamerika war, die letztendlich erfolgreich war. Mit den Erfahrungen, die die Engländer in Jamestown gesammelt hatten, konnten auch andere Kolonien in Nordamerika gegründet werden. Jamestown diente dabei als eine Art Modell. Das dreihundertjährige Jubiläum, 1907, wurde deshalb mit einem Volksfest gefeiert.

Danielle Moretti-Langholtz: "Dieses Bild ist von 1907 und es zeigt, dass 1907 Nachfahren der Pamunkey-Indianer die Szene nachspielen, wie Pocahontas John Smith das Leben rettet. Sie sehen also, auch die Indianer haben diese Geschichte gefördert."

50 Jahre später.

Danielle Moretti-Langholtz: "1957 steht interessanterweise die Hochzeit im Mittelpunkt der Pocahontas-Geschichte, ihre Hochzeit mit John Rolfe. Ich habe dazu einige Nachforschungen angestellt, statt der Rettung von John Smith wurde dann die Hochzeit nachgespielt."

Ein Soldat der US-Navy spielte John Rolfe und eine Indianerin Pocahontas. Die unterschiedlichen Akzente der Geschichte zu verschiedenen Zeiten, glaubt Moretti-Langholtz, haben mit der Selbstwahrnehmung der Vereinigten Staaten zum jeweiligen Zeitpunkt zu tun.

"Nach dem Zweiten Weltkrieg wollen die USA etwas anderes aussagen als 1907. Teddy Roosevelt ist 1907 Präsident und er schickte das erste Mal die US-Navy ins Ausland. 1957 sagen wir, der Zweite Weltkrieg ist vorüber, die Alliierten haben gewonnen, unser großer Partner in der Diplomatie sind die Engländer. Also ist es die Hochzeit zwischen John Rolfe und Pocahontas, die im Mittelpunkt steht. Die symbolische Vereinigung zweier Kulturen, der indigenen amerikanischen und der englischen Kultur. Also verschiedene Schwerpunkte."

1907 ändert sich auch das Bild von Pocahontas. Jetzt war sie nicht als Kind zu sehen, sondern als junge Frau. Und sie wurde auf Postkarten, die zum Jubiläum erscheinen, zusammen mit John Smith abgebildet.

Buck Woodard: "Aus amerikanischer Sicht werden John Smith und John Rolfe zu einer Person. Was dann passiert, ist, dass Pocahontas als junges Mädchen John Smith rettet und sich dann verliebt. Und in der Folklore ist das ein und dieselbe Person. Wir sehen Pocahontas hier in diesem Kleid, mit den langen Haaren und der Feder im Haar, wie sie denjenigen umarmt, der wahrscheinlich eine Kombination aus John Smith und John Rolfe ist. Und es wird auf einmal eine romantische Geschichte, sie rettet ihn..., und die Liebe... und dann heiraten sie und das setzt sich im Allgemeinen bei den Leuten ab. Nur diejenigen, die sich mehr für Geschichte interessieren, können sehr wohl zwischen John Rolfe und John Smith unterscheiden."

1958, nur ein Jahr nach dem 350. Jubiläum der Gründung von Jamestown, erscheint der Song "Fever" von Elvis Presley und Peggy Lee. Darin wird Pocahontas und John Smith eine wilde Affäre angedichtet.

Ein Zurück gibt es anscheinend nicht mehr. Auch Hollywood nimmt sich der Geschichte an. In dem Zeichentrickfilm der Walt Disney Studios kommt Pocahontas Ehemann John Rolfe nur noch am Rande vor. Im Mittelpunkt steht die zweifelhafte Geschichte von der Rettung John Smiths und auch hier entwickelt sich eine Liebesgeschichte.

Danielle Moretti-Langholtz: "Ich glaube, seit dem Disney-Film, der hier in den Vereinigten Staaten sehr erfolgreich war, höre ich von Eltern, dass sie die Disney-Figur sehr gemocht haben. Sie sehen Pocahontas als eine starke, junge Frau, die ihre eigenen Entscheidungen trifft. Als Anthropologin sieht mir das sehr danach aus, als ob hier heutige amerikanische Werte auf eine historische Figur projiziert werden."

Terrence Malick drehte 2004 den Film "The New World" über die Gründung von Jamestown und den Pocahontas-Mythos. Die Indianer in Virginia spielten im Film zum Teil mit, doch wollten sie zunächst wissen, ob es wieder eine Liebesgeschichte werden sollte. Der Film hält sich jedoch näher an der Wahrheit. Auch zum 400. Jubiläum wird nicht mehr Pocahontas in den Mittelpunkt gestellt. Im Jahr 2007 konzentriert sich Amerika auf seine Gründung.

Buck Woodard: "2007 wird Jamestown als Geburtsort dargestellt und als Zeit, in der Amerika geboren wird. Während 1976 1776 zum Anlass genommen wurde und gesagt wurde, das ist die Zeit, als Amerika geboren wurde, wird die Geschichte jetzt wieder angepasst und gesagt, dies ist der Ursprung, die Zeit, als die Wurzeln Amerikas gepflanzt wurden."

Das Interesse an Jamestown bei den Amerikanern ist groß. Sarah Brau fühlt sich Jamestown Island verbunden. Sie ist mit ihrem deutschen Ehemann hierher gekommen, um ihre Familiengeschichte vor Ort wiederzuentdecken.

Sarah Brau: "Es gibt diese Societies, Colonial Dames Society oder Daughters of the American Revolution, und wenn man Mitglied werden möchte, muss man die ganze Geschichte einer Familie, einen Stammbaum - research machen und das aufschreiben und sagen 'ich bin direkt descendent von Captain Thomas Graves' - und das kann man natürlich schreiben und wissen und entdecken. Und ich bin ganz stolz, da Mitglied zu sein, weil die haben Interesse gezeigt über die Geschichte und die haben vieles hier geschützt gegen Zerstörung."

Thomas Graves, bis zu dem Sarah Brau ihre Familiengeschichte zurückverfolgen kann, kam 1608 mit einem Versorgungsschiff in Jamestown an. Doch Spuren des Vorfahren zu finden, ist nicht so einfach.

Sarah Brau: "Oben in der Kirche steht ein Schild, ein Plakat, mit Namen von der ersten parlamentarischen Versammlung auf Jamestown Insel und der steht drauf, Captain Thomas Graves von Smythes Hundert. Hundert bedeutet glaube ich hundert acres. Und da war es genannt. Smythe war ein Familienname und hundert acres gehört irgendwie zu dem Smythe und der war irgendwie gewählt, diese Smythe Hundert zu repräsentieren in der ersten Parlament Versammlung."

Die Abstammung von den ersten Siedlern ist bis heute in Virginia prestigeträchtig, bedeutet dies doch eine direkte Verbindung zu denjenigen, die die Gründung Amerikas erst möglich gemacht haben. Dies gilt insbesondere für die Abstammung von Pocahontas und John Rolfe.

Danielle Moretti-Langholtz: "Als ihr Sohn Thomas nach Virginia kam, war er 18. Er wurde dann Pocahontas Verwandten vorgestellt und hat seine Onkel kennen gelernt. Diese Geschichte ist bis heute wichtig. Leute sagen 'Ich stamme von Pocahontas ab'. Es gibt sogar ein Buch, das diejenigen benennt, die über ihren Sohn Thomas Rolfe von ihr abstammen. So wird diese Geschichte auch am Leben gehalten."

Buck Woodard: "Diese Leute sind nicht irgendwelche Leute, was die Abstammung angeht. Mit Thomas Rolfe begann eine große aristokratische Familie in Virginia. Viele der frühen Plantagen am James River und viele dieser Familien steigen auf zu großem Ansehen. In der frühen Phase ist Jamestown nicht so hierarchisch gegliedert, aber mit dem Tabak kamen die großen Unterschiede in den Gesellschaftsschichten - die großen Besitzer und die Besitzlosen - in Bezug auf Land, Einkommen und so weiter. Diese frühen Familien, die das Land kontrollieren und Tabak anbauen, stammen von der Rolfe Dynastie ab. Viele der prominenten Familien, die wir heute in Virginia haben, die Bowlings, die Carters, die Randolphs, es gibt viele Familien, die ihre Abstammung zu Thomas Rolfe zurückverfolgen können."

Die Geschichte bleibt in Virginia präsent, weil dies die Familien sind, die regieren, Gouverneure werden, Abgeordnete im House of Burgesses, und so wird diese Oberschicht-Folklore am Leben gehalten, um zu zeigen, dass diese Leute in der gleichen Liga spielen wie George Washington: Als Kind soll er ja den Kirschbaum gefällt haben oder später hat er angeblich einen Silberdollar über den Potomac geworfen, und so rettet Pocahontas John Smith. Und das sind die Wurzeln amerikanischer Folklore und Mythen aus der Zeit, als das Land gegründet wurde.

Pocahontas wurde 1617 in Gravesend in England begraben. Ihre Geschichte und die von John Smith und John Rolfe hat eine Eigendynamik entwickelt. Sie gehört zur amerikanischen Kulturgeschichte und die Amerikaner beginnen erst zu lernen, damit umzugehen.

Danielle Moretti-Langholtz: "Die Geschichte hat so viele Formen angenommen und am liebsten würde ich sagen, 'ja, ich möchte, dass die wahre Geschichte erzählt wird', welche das auch immer ist, aber als Anthropologin glaube ich nicht daran. Ich glaube, wir werden mit dieser Geschichte so weitermachen. Sie spiegelt wider, wer wir Amerikaner sind und wo wir herkommen. Mag sein, dass diese Geschichte so nicht stimmt, aber sie hat auch diese schmerzliche Seite, die einen Teil unserer Geschichte wiederspiegelt, mit dem wir noch nicht gelernt haben umzugehen. Das beinhaltet die Konsequenzen der Kolonisation für die Urbevölkerung und ich glaube, wir sind noch nicht so weit, uns damit auseinanderzusetzen. Ich bin da gespalten, einerseits ist es unsere Geschichte, andererseits ist sie auch schmerzlich und sehr traurig."
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