Planspiel auf dem Kirchentag

Wie man Asylbewerber willkommen heißt

Teilnehmer des Eröffnungsgottesdienstes sitzen oder stehen am 03.06.2015 in Stuttgart (Baden-Württemberg) bei der Eröffnung des Evangelischen Kirchentags auf dem überfüllten Schlossplatz.
Teilnehmer des Eröffnungsgottesdienstes des Evangelischen Kirchentags in Stuttgart. © picture alliance / dpa / Bernd Weißbrod
Von Kirsten Dietrich · 05.06.2015
Beim Kirchentag wird über den christlichen Umgang mit Flüchtlingen debattiert. Wer nicht nur diskutieren will, kann spielen: Die Teilnehmer tragen den Konflikt zwischen Befürwortern und Kritikern in einem Planspiel aus - bis zum bitteren Ende.
Simon Raiser: "Wir befinden uns also in Welzhausen. In Welzhausen ist es so, dass heute 650 Flüchtlinge dort leben, viele von denen sind relativ neu dort, und der Bürgermeister hat das Gefühl, irgendwas muss getan werden, damit Welzhausen auch sich nach außen hin als offene Stadt zeigt und den Flüchtlingen das Gefühl vermittelt wird, dass sie dort auch willkommen sind."
Spielleiter Simon Raiser erläutert das Szenario für 160 Teilnehmer an acht Tischen. In den nächsten zwei Stunden spielen sie die Bürger des fiktiven Welzhausen. Und sie haben einen dicken Konflikt zu lösen. Denn in Welzhausen wollte man nett zu Flüchtlingen sein – was nach hinten losging.
"Jetzt ist es so, dass das Stadtfest als Willkommensgeste für die Flüchtlinge schiefgeht. Das liegt daran, dass auf dem Fest einige Flüchtlinge zwar gesehen werden, weniger als vermutet, und von denen viele sehr betrunken. Es gibt dann Übergriffe zwischen der Jugendfeuerwehr und den Flüchtlingen...."
Teilnehmer spielen Rolle von Dorfbewohnern
Die Besucher sind ab jetzt Bürgermeister, CDU-Abgeordnete, Antifa-Mitglieder, Traditionsbürger aus dem Heimatverein, Flüchtlinge – zehn Rollen bietet das Spiel. Und für viele der Mitspieler geht es nicht nur um Spaß.
"Weil in unserem Stadtteil in Berlin-Buch auch gerade ein Flüchtlingsheim eröffnet hat mit 450, und da gerade diese Kontaktsachen anstehen, und deswegen interessiert mich das hier im spielerischen Szenario."
"Es gibt beim Kirchentag verhältnismäßig wenig Angebote, wo Sie sich selber interaktiv einbringen können, Sie können für zwei Stunden sehr konzentriert und intensiv nachdenken, was sonst beim Kirchentag nicht so vorkommt."
Spielleiter Simon Raiser. Sein Unternehmen Planpolitik organisiert Planspiele als Mittel der politischen Bildung.
"Die Alternative zu Planspiel wäre, mehrere Experten einzuladen und eine Podiumsdiskussion zu machen zu Willkommenskultur. Dann würden aber alle die Teilnehmenden, die jetzt aktiv eine Rolle spielen, eigentlich nur als passive Zuhörerinnen und Zuhörer im Raum sitzen und sich anhören, was die Experten für Meinungen haben. Und hier können sie sich selber in die Rolle von relevanten Akteuren bringen."
Fiktive Jugendfeuerwehr streitet mit fiktiven Asylanten
Egal, ob ein 11-Jähriger die Rolle des Bürgermeisters erwischt hat und jetzt eine Diskussionsrunde leitet oder eine 60-Jährige die alkoholischen Verfehlungen der Jugendfeuerwehr erklären muss – die meisten tauchen mit Gusto in ihre Rollen ein. Gerade, wenn die gar nicht den eigentlichen Überzeugungen entsprechen, hat man als Zuschauer den Eindruck.
Timo Zionkowski: "Im Prinzip hab ich mich auf die gängigen Klischees gestützt, die man aus Presse und Medien über Pegida mitbekommen hat, ich hatte ja so ne ultrakonservative Rolle, und man konnte sich relativ gut reinfühlen, auch wenn ich so mich selbst schon in der Diskussion selbst echt eklig gefunden hab."
Spielleiter: "So, jetzt möchten wir Sie erstmal bitten, die Namensschilder abzunehmen. Ihre Rolle dürfen Sie jetzt wieder verlassen."
"Ich hatte ein bisschen Probleme, in meine Rolle zu finden, ich war eher still, in der Diskussion, aber ich konnte es gut aufnehmen, und die Positionen sind mir schon auch verständlich, sind mir schon begegnet, das fand ich sehr realistisch."
"Das haben wir bei mir zuhause nicht, wir sind auch nur ne Kleinstadt, aber wir haben nicht so einen Verein, aber wenn das in der Realität so ist, dann muss ich ehrlich sagen hab ich Hochachtung vor unserem Bürgermeister, so was unten zu halten und freundschaftlich zu regeln."
Zwei Stunden heftige Debatten, Ringen um das bessere Argument. Und sei es nur zur Ehrenrettung einer fiktiven Jugendfeuerwehr, die betrunken fiktive betrunkene Asylbewerber angepöbelt hat – das bringt sicher keine tiefen neuen Erkenntnisse. Aber sicher ein Gefühl dafür, wie schwierig das mit der echten Politik sein kann und mit der Debattenkultur: denn die gespielten Flüchtlinge, um deren Wohl es doch gehen sollte, kamen fast gar nicht zu Wort. Wie im echten Leben eben.
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