Plädoyer für mehr Bankenaufsicht

Rudolf Hickel im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 01.08.2012
Obwohl es die Politik gewesen sei, die einst die Finanzmärkte durch Deregulierung entfesselt habe, fehle ihr nun der Mut, dies zu korrigieren, kritisiert der Direktor des Instituts für Arbeit und Wirtschaft Rudolf Hickel. Das Eingreifen der Europäischen Zentralbank bezeichnet er als "hochriskanten Kauf von Zeit".
Korbinian Frenzel: Politiker haben manchmal diese Momente so wie Jean-Claude Juncker Anfang der Woche: Da scheint es, als wollten sie einfach mal den Frust von der Seele runterreden! Junckers Frustquelle, wie sollte es beim Chef der Euro-Gruppe anders sein, ist ebenjene Währung oder vielmehr der unglaubliche Druck, der ihretwegen auf der Politik lastet. Sofortismus hat er das geschimpft in der "Süddeutschen Zeitung", es muss immer ganz schnell reagiert werden und dann, nach volltaner Arbeit, wenn wieder einmal ein Rettungsbeschluss den alten abgelöst hat, dann startet die nächste Attacke der Finanzmärkte, und zwar meistens heftiger als zuvor, so wie wir es gerade wieder erleben. Europa diskutiert jetzt den großen Wurf, mithilfe der Europäischen Zentralbank soll Rettungsgeld quasi ohne Limit bereitgestellt werden. Rudolf Hickel ist am Telefon, Direktor des Instituts für Arbeit und Wirtschaft in Bremen, um darüber und auch über anderes mit mir zu sprechen. Guten Morgen, Herr Hickel!

Rudolf Hickel: Schönen guten Morgen!

Frenzel: Wenn jetzt also die Bazooka rausgeholt wird, wenn die Europäische Zentralbank dem Rettungsschirm quasi unbegrenzt Geld leihen kann, wäre das der große Wurf oder nicht wieder nur ein Strohfeuer, ein ziemlich teures dann sogar?

Hickel: Man muss klipp und klar sagen, das kann überhaupt nicht der große Wurf sein, weil es eine Hilfsmaßnahme ist oder genauer gesagt eine Verzweiflungstat, die aber unvermeidbar ist. Worum geht es: Dieser Rettungsschirm, der jetzt noch EFSF heißt, der demnächst ESM heißen soll – wir müssen noch warten auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 12. September –, dieser Rettungsfonds ist immer gedeckelt, ist begrenzt, der wird künftig beispielsweise 750 Milliarden an Euro haben. Und jetzt ist das Problem, dass natürlich die Spekulanten und nicht nur die Spekulanten wissen, dass, wenn beispielsweise Spanien voll in den Rettungsfonds aufgenommen werden muss oder auch Italien, dass der nicht ausreicht. Und gegen diese Spekulation richtet sich jetzt die Idee – die stammt vor allem von dem EZB-Präsidenten Draghi und wird unterstützt von Italien und Frankreich –, die lautet folgendermaßen: Ihr könnt oder ihr müsst, der Rettungsfonds, ihr müsst Anleihen aufkaufen von Krisenländern – beispielsweise von Spanien –, und jetzt ist die entscheidende Frage, womit wird das bezahlt? Und jetzt kommt die Banklizenz ins Spiel. Das heißt also, der Rettungsfonds kann sich Geld besorgen, Liquidität, wie wir immer sagen, besorgen bei der Europäischen Zentralbank, und dafür hinterlegt er diese Anleihen, die natürlich in der Werthaltigkeit problematisch sind.

Frenzel: Aber Herr Hickel, letztendlich ist es doch das, was man als Gelddrucken bezeichnet. Das heißt, es gibt kein Limit mehr, es gibt keine Begrenzung, so wie sie ja eigentlich auch in den Verträgen vorgesehen war. Es war der Europäischen, es ist der Europäischen Zentralbank verboten, so etwas zu tun, aus gutem Grund, weil man Angst hat vor Inflation.

Hickel: Also, erst mal ist es völlig richtig, was Sie sagen: Den Maastrichter Vertrag, der heute Lissabonner Vertrag heißt, da ist es absolut verboten, da steht ja die No-Bailout-Klausel, die besagt, dass, wenn ein Land in Schwierigkeiten gerät, kein anderes Land und keine EU-Institution helfen darf. Aber wir lernen ja auch aus den Gründungsfehlern! Wir sind dabei, wenn man es mal generell formuliert – und die Frage ist, wie weit man da geht –, ist Europa bereit, ist die Europäische Währungsunion bereit, sozusagen mehr an Haftung zu übernehmen? Es gibt so was – und der Begriff ist von den Kritikern schon richtig gewählt –, es geht um die Frage, inwieweit man die Risiken vergemeinschaftet. Und das Ziel, wir müssen ja auch über die Ziele reden, warum wird es vorgeschlagen? Ist ja nicht um Jux und Dollerei, das wird vorgeschlagen, um die Finanzmärkte zu stabilisieren und diese hohen Zinsen, die jetzt bezahlt werden in Spanien, zurückzudrängen. Und dann sagen Sie zu Recht, das Gegenargument lautet: Da baut sich ein Inflationspotenzial auf. Aber man kann zeigen, als übrigens diese "Dicke Bertha" erstmals eingesetzt worden ist Ende des letzten Jahres mit einer Billion Liquidität durch die Europäische Zentralbank, dass es nicht zu einer Inflation gekommen ist. Offensichtlich spielt sich das in der Finanzwelt ab, aber es führt nicht zu Inflation. Aber ich bin natürlich voll klar auch der Meinung, dass die Maßnahmen immer so getätigt werden müssen, dass sie das Ziel der Stabilisierung der Finanzmärkte erreichen auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite muss damit Inflation verhindert werden. Das ist bisher gelungen. Es ist alles sehr waghalsig, es steht in keinem Lehrbuch, aber die Krise des Euro steht eben auch in keinem Lehrbuch.

Frenzel: Herr Hickel, folgt das nicht alles derselben Logik? Die Finanzmärkte sagen: Spring! Und die Politik fragt eigentlich nur noch: Wie hoch?

Hickel: Ganz genau, das ist richtig. Wir erleben bei der Euro-Krise mehr denn je die Tatsache, dass uns die Spekulanten, dass uns die Finanzmärkte im Grunde genommen immer wieder das Handeln aufoktroyieren und dass dann aber die Politik, so wie es ja vorher zitiert worden ist von Ihnen, wie Jean-Claude Juncker das gesagt hat, die Politik nicht in der Lage ist, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.

Frenzel: Aber haben Sie denn eine Idee? Ist denn die Politik in der Lage, das zu durchbrechen, oder muss sie hinterherlaufen, gibt es gerade gar keine Alternative?

Hickel: Nein, es gibt natürlich eine Alternative. Und die liegt vor allem darin, dass beispielsweise – ich habe jetzt ein ganz konkretes Instrument: Nachdem wir sozusagen spekulativ so umgetrieben werden und zu solchen spektakulären Maßnahmen gezwungen werden, müssten beispielsweise die Spekulationen mit Kreditausfallversicherungen, mit denen gegen die Staaten gewettet wird, die müssten verboten werden. Das ist die Aufgabe der Politik, dazu müssten beispielsweise zumindest die Mitgliedsländer im Euro-Land bereit sein. Aber die Politik kuscht, die Politik ist nicht mutig, hier einzugreifen. Und deshalb ist das Bild, das Sie beschreiben, leider absolut richtig, dass die Finanzmärkte uns immer wieder in neue sozusagen Ad-hoc-Maßnahmen hineinmanipulieren, ohne dass der Teufelskreis durchbrochen wird.

Frenzel: Und kann genau das nicht dann auch wieder die Situation sein, wenn man jetzt die Schleusen öffnet, wenn man der EZB diese Möglichkeit gibt, sich quasi unbegrenzt Geld zu besorgen, sind wir dann nicht wieder nur einen halben Schritt weiter und übermorgen geben uns die Finanzmärkte das nächste Ziel vor, das zu erreichen ist?

Hickel: Also, ich glaube, dass das ein Teilschritt ist. Es ist ein sehr beschränkter Schritt, nämlich jetzt dafür Sorge zu tragen, dass die Finanzmärkte stabilisiert werden, dass dieser Druck aus den Zinsen rausgenommen wird. Aber in der Tat ist es kein dauerhafter Schritt. Es ist, wenn man so will, wieder ein natürlich hoch riskanter Kauf von Zeit, innerhalb der Zeit muss etwas passieren ...

Frenzel: ... nämlich was? ...

Hickel: ... ja, und wenn die Politik jetzt beispielsweise nicht bereit ist, die Finanzmärkte massiv zu regulieren, also dafür zu sorgen, dass die schlimmsten Spekulationsinstrumente ausgesetzt werden, dann werden wir uns in der Tat, werden wir gejagt von einem Euro-Gipfel zum anderen, und dann sagt der Rat der fünf Weisen zu Recht, das sind Trippelschritte und am Ende ist es immer wieder schlimmer und es gibt wieder neue Konferenzen. Also, hier zeigt sich deutlich, gerade an der Krise des Euros zeigt sich deutlich, dass die wichtigste Voraussetzung ist, die Finanzmärkte zu bändigen. Und das Zweite, was unter dem Stichwort Bankenunion diskutiert wird, ist ganz wichtig, dass wir eine Aufsichtsbehörde haben, die richtig auch eingreifen darf, die Banken beispielsweise schließen darf, also in die Insolvenz gehen lassen darf, um im Grunde genommen die schlimmsten Fehlentwicklungen zu vermeiden.

Frenzel: Und wenn das alles nicht kommt, wie schnell erleben wir den Absturz?

Hickel: Das ist die große Frage. Also, wenn nichts passiert, wenn wir weiter das Muddling Through machen beziehungsweise die Trippelschritte, dann wird sozusagen der Euro sich zerbröseln, wird sich allmählich auflösen. Und das ist natürlich eine Entwicklung, die am Ende, wenn man die Gesellschaft und gesamtwirtschaftlichen Kosten anschaut, natürlich viel, viel größer ist als das, was wir derzeit als Risiko eingehen.

Frenzel: Kann es das eigentlich geben, die positiven, die lenkenden Kräfte des Marktes ohne Spekulation? Oder sind das zwei Seiten derselben Medaille in der internationalen Finanzwelt?

Hickel: Man kann, wenn man zurückblickt, wann das eigentlich entstanden ist, die Spekulation, dann kann man relativ am Ursprung feststellen, dass es Politik war. Politik hat weltweit, in den USA damals unter Clinton, vor allem 1986 bereits schon Maggie Thatcher mit ihrem Big Bang in London, dann aber auch Deutschland 2002, 2003, Politik hat die Finanzmärkte entfesselt und hat sozusagen noch groß abgefeiert, dass diese Entfesselung der Finanzmärkte, wie der Clinton das mal formuliert hat, wohlstandssteigernd sei. Wir haben jetzt erlebt, das ist sozusagen ein Krisenprozess, der da ausgelöst werden muss, und man muss an den Ursprung zurück und sagen: Das, was Politik mit der Entfesselung falsch gemacht hat, das muss Politik jetzt wieder korrigieren. Aber dazu fehlt der Mut auch insbesondere in Deutschland, die politische Kraft. Die Banken sind – das sehen wir ja an der Deutschen Bank beispielsweise –, sind eher jetzt selber in einer geschwächten Position, sodass der Machteinfluss eventuell bei klaren Regulierungen nicht mehr so groß ist. Und deshalb soll die Gunst der Stunde ergriffen werden.

Frenzel: Das sagt Rudolf Hickel, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Bremen. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

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