Plädoyer für einen linken Liberalismus

Rezensiert von Klaus Schroeder · 24.08.2008
Der Wirtschaftsjournalist Christian Rickens ist nicht gerade das, was man als einen orthodoxen Linken oder einen linken Populisten bezeichnen könnte. Dennoch liegen ihm die klassischen linken Ziele wie soziale Gerechtigkeit, internationale Solidarität und Demokratisierung am Herzen. In seinem Buch "Links! Comeback eines Lebensgefühls" stellt er die Grundzüge eines linken Liberalismus vor.
Bis weit in das letzte Jahrhundert hinein war eindeutig, was im politischen Kräftespiel unter "links" oder "sozialistisch" zu verstehen ist. Man setzte sich für die Interessen der Arbeiter ein und wollte ihnen beziehungsweise sich selbst eine Teilhabe an der Macht sichern.

In der alten Bundesrepublik wurde angesichts der Verhältnisse in der "linken" DDR und der schnellen Wohlstandsgewinne in einer nivellierten Mittelschichtgesellschaft der Klassenkampf Ende der fünfziger Jahre zu den Akten gelegt. Erst mit der Studentenrevolte galt es wieder als chic, "links" zu sein. Die Bewegung scheiterte schnell an den sozialen und politischen Realitäten, hinterließ jedoch ein Protestmilieu, das nachfolgende Generationen ausfüllten. Wer gegen was auch immer demonstrierte, verstand sich als links - wie auch der Autor des vorliegenden Buches, der in den späten achtziger Jahren an einem niedersächsischen Kleinstadtgymnasium sein Abitur ablegte. Als Juso war es für ihn selbstverständlich, Kohl und Reagan, Atomkraft und Atomwaffen "uncool" zu finden, denn das befriedigte sein Gefühl, "irgendwie links" zu sein. Ein Besuch in der DDR und freundliche Worte einer Juso-Funktionärin über den realen Sozialismus öffneten ihm jedoch die Augen.

"Mir wäre nie in den Sinn gekommen, dass ich der DDR von Honecker und Krenz Solidarität schulden könnte und ich wollte auch nicht zu einer Organisation gezählt werden, die das SED-Regime als irgendetwas anderes als eine Diktatur betrachtete. Ich mochte naiv sein – aber so weit waren meine Instinkte doch intakt. Der gleiche Monat, der mich zu einem politischen Menschen machte, ließ mich ahnen: Die Jusos waren ein netter Treffpunkt zum Pizza essen, aber für mich keine politische Heimat."

Eine neue politische Heimat fand der Autor nicht. Das Studium der Volkswirtschaftslehre in München und die nachfolgende Arbeit als Wirtschaftsjournalist prägten zwar seinen Blick auf die Gesellschaft und ihre wirtschaftlichen Grundlagen, änderten jedoch nichts an seinem linken Lebensgefühl. Doch die klassischen linken Ziele wie soziale Gerechtigkeit, internationale Solidarität, Demokratisierung und Nachhaltigkeit will er nun nicht durch mehr Staat und weniger Markt erreichen, sondern eher durch das Gegenteil. Seine Leitidee ist ein linker Liberalismus, den er auf etwa 250 Seiten näher beschreibt.

An seiner Orientierung an der parlamentarischen Demokratie und der Marktwirtschaft lässt er keinen Zweifel, behauptet aber, in den letzten zwanzig Jahren sei in Deutschland vieles schief gelaufen, was der Korrektur bedürfe. Ob die von Rickens und einer breiten Mehrheit der Bevölkerung gefühlte soziale Ungerechtigkeit, die nach Meinung des Autors zu einem Linksruck in der Bevölkerung geführt hat, tatsächlich zugenommen hat, kann bezweifelt werden. Gleichwohl bestimmt dieses Gefühl seit geraumer Zeit die öffentlichen Debatten.

Da zudem jeder unter "sozialer Gerechtigkeit" etwas anderes versteht, lässt sich dieser Begriff als politische Allzweckwaffe verwenden. Empfinden die einen steigende Steuer- und Sozialabgaben als ungerecht, beklagen andere die Hartz-IV-Regelsätze oder eine angebliche Umverteilung von unten nach oben. Christian Rickens will den Gordischen Knoten zerschlagen, indem er mehr soziale Gerechtigkeit mit mehr Freiheit in einem linken Liberalismus verknüpfen will. Hierzu gehört ein rationaler Umgang mit der Globalisierung und ihren Folgen ebenso wie ein anderes Verständnis vom Staat und Markt.

Von der Politik der orthodoxen Linken und linken Populisten à la Lafontaine hält er wenig. Einen zentralistischen Staat, der die Freiheit der Einzelnen einschränkt, lehnt er ebenso ab wie das polemische Ausspielen von Freiheit gegen soziale Sicherheit. Die SED-Nachfolgepartei habe es aber geschafft, mit ihren sozialen Forderungen die anderen Parteien - selbst die Union - nach links zu rücken.

Weil die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit in der Bevölkerung zentral ist, setzt Rickens hier seinen programmatischen Hebel an. Helfen soll ein bedingungsloses Grundeinkommen von etwa 800 Euro monatlich. Dessen Finanzierung erfolgt durch den Wegfall der Renten- und Arbeitslosenversicherung und durch eine Erhöhung des Steuersatzes auf 50 Prozent.

Das bedingungslose Grundeinkommen hat für den Autor vor allem zwei Vorteile: Einerseits erhält der Bürger ein klares Versprechen gegen etwaige soziale Unsicherheiten und andererseits kommt das Modell ohne eine teure Sozialbürokratie aus, die freilich auf starke Unterstützer zählen kann.

"Das bestehende Sozialversicherungssystem bedeutet Macht für das partei- und verbandspolitische Establishment. Ein bedingungsloses Grundeinkommen bedeutet dessen Entmachtung. Das Grundeinkommensprojekt ist nicht nur ein Programm für mehr soziale Gerechtigkeit, sondern auch ein radikales Programm zur Befreiung des Individuums von staatlicher Bevormundung. Deshalb sehe ich das Grundeinkommen als natürliche Grundlage für die Agenda eines neuen linken Liberalismus."

Auch wenn dieses Modell auf den ersten Blick sympathisch erscheint, bleibt offen, wie viele Menschen angesichts einer Grundsicherung noch bereit sind, regulär zu arbeiten. Wer gibt schon gerne 50 Prozent des zusätzlichen Einkommens ab, wenn er durch Schwarzarbeit alles behalten kann.

Rickens weitere Vorschläge gehen alle in eine ähnliche Richtung. Markt und Staat sollen gleichermaßen optimal für Freiheit und soziale Sicherheit genutzt werden. Die Besteuerung soll nicht nach dem Wohnortprinzip, sondern nach der Staatsangehörigkeit erfolgen, private und gesetzliche Krankenkassen müssen gleichgestellt werden und miteinander konkurrieren und qualifizierte Zuwanderer in möglichst großer Zahl ins Land geholt werden.

Mit einem Zehn-Punkte-Plan möchte Rickens soziale Gerechtigkeit erreichen und mehr Demokratie wagen. Das klingt vielversprechend, lässt sich aber wohl kaum politisch realisieren. Vor allem die Linken in der SPD und der früheren SED werden zu verhindern suchen, dass das liberale Manifest von Christian Rickens Realität wird. Als "links" werden sie seine Vorschläge wohl kaum begreifen, zumal der Autor keinen Zweifel an der Wertigkeit von Arbeit und Nicht-Arbeit lässt.

"Jemand, der von staatlicher Unterstützung lebt, muss immer auch einen Anreiz zum Arbeiten haben. Wer arbeitet, muss finanziell besser dastehen als jemand, der nicht arbeitet. Wer viel arbeitet, muss hinterher mehr Geld in der Tasche haben als jemand, der wenig arbeitet. Jemand, der heute Geld fürs Alter zurücklegt, muss im Alter mehr Rente bekommen als jemand, der alles verprasst und auf den Staat vertraut.

Wer sich durch die Schule kämpft und einen Beruf erlernt oder gar ein Studium abschließt, sollte hinterher besser dastehen als jemand, der seine Jugend nur auf dem Bolzplatz verbringt."

Christian Rickens: Links! Comeback eines Lebensgefühls
Ullstein-Verlag, Berlin 2008