Plädoyer für Debatten mit politischen Gegnern

Eine Replik auf 140 Netz-Reaktionen zum "AfD"-Kommentar

Anhänger der Partei Alternative für Deutschland (AfD) halten in Hamburg während einer Kundgebung Fahnen und ein Plakat mit der Aufschrift "Einwanderung braucht strikte Regeln" hoch.
AfD-Anhänger in Hamburg © dpa / picture alliance / Daniel Bockwoldt
Von Christian Schüle · 01.03.2016
Über den "Armseligen Umgang mit politischem Gegner" sprach der Journalist Christian Schüle am 2. Februar 2016 ein "Politisches Feuilleton". Jetzt antwortet er auf 140 Kommentare zu seinem Appell, die "Alternative für Deutschland" nicht von der Debatte auszuschließen.
Ich war auf alles gefasst – und bin nach der Lektüre der Kommentare auf mein letztes "Politisches Feuilleton" erleichtert. Warum? Weil es dieser Tage alles andere als selbstverständlich ist, dass im Netz über Grundlagen unserer politischen Kultur mit Augenmaß, Vernunft und Niveau diskutiert wird.
Mir ging und geht es nicht darum, die "Alternative für Deutschland" und ihre Politik zu beurteilen; mir geht es um den Umgang mit ihr. Es wäre fatal, in dieser Partei pauschal einen Manufakturbetrieb rechtsradikaler Sottisen zu sehen. Immerhin scheint sie zurzeit wahlweise 10 bis 17 Prozent, also mehrere Millionen potentieller Wähler hinter sich zu vereinen.

Wenig Vertrauen in Argumente dient nicht der Demokratie

Geärgert hat mich deshalb der Vorwurf von "Jad", man würde die AfD verharmlosen, gäbe man ihr ein Forum. Und "Michael Knight" hält mir vor, "Feinden der Freiheit" so sorglos, ja naiv zu begegnen, erweise "der guten Sache einen Bärendienst".
Nein, beides eben gerade nicht: Wer so wenig Vertrauen in die Kraft seiner Argumente hat, der erweist der Demokratie einen schlechten Dienst. Und wer Gesinnungsgegner "Feinde der Freiheit" nennt, braucht dafür stichfeste Beweise, sonst wären wir im Bereich der Diffamierung und Denunziation angekommen.

Debatte um AfD - und 140 Netzreaktionen
(Deutschlandradio Kultur, Politisches Feuilleton, 02.02.2016)

Das Grundrecht auf Freiheit ist freilich auch ein Recht auf Ablehnung. Genau hier setzt der Geist einer liberalen Demokratie an: Die Freiheit des Andersdenkenden so zu achten, wie die eigene Freiheit auch vom Anderen geachtet werden soll.
Hörer "Michael Zöllner" schreibt: "Demokratie ist Dialog und Schweigen schadet." Dem ist vorbehaltlos zuzustimmen. Eine Demokratie muss extreme Sichtweisen aushalten, rechte wie linke, solange sie verfassungskonform sind. Durch Verschweigen, Verdrängen und Verachten, so lehrt uns die Psychologie, macht man nichts besser.

Nazi-Vergleiche der Medien sind Torheiten

Unter allen intellektuellen Dummheiten, die in Deutschland passieren, sind historische Analogien die gefährlichsten. Magazine und Fernsehsender zündeln allzu gern mit Hitler und dem Nazi-Faktor; um der billigen Erregung willen wird Unvergleichbares verglichen.
Björn Höcke, der Fraktionsvorsitzende der thüringischen AfD, formuliert seine Aussagen womöglich bewusst grenzwertig, wer weiß. Ihn aber, wie es kürzlich das ARD-Magazin "Monitor" getan hat, in Ton und Bild mit Goebbels in Beziehung zu setzen, verbietet sich aus Gründen verantwortungsbewusster Medien-Ethik.
Was soll das? Was bringt das? Das ist billiges Nazi-Entertainment, und damit sollte man sehr vorsichtig sein. Auch nur irgendwen oder irgendwas mit den monströsen Massenmördern des Dritten Reichs oder etwa die AfD mit dem Wahn von Lebensraumerweiterung und Judenvernichtung gleichzusetzen, ist und bleibt, pardon, eine Torheit.
Im primitiven Reiz-Reaktions-Schema der Facebook- und Twitter-Ära reißt uns offenbar nur noch der Superlativ mit: das Heftigste, Drastischste, Krasseste. Möglichst kurz, möglichst radikal. Daumen hoch, Daumen runter.

Aufgeheizte Debatte bräuchte Niveau und Reflexion

Statt Oberflächenpolitur zu betreiben und sich von Anzeigen- und Auflagenverlusten zur Kurzatmigkeit treiben zu lassen, sollten Qualitäts-Medien Fakten liefern, Widersprüche aufdecken, Zusammenhänge beschreiben – nachhaltig, wertfrei, sachdienlich, ergebnisoffen.
Wir bräuchten jetzt nichts dringender als Niveau. Wir brauchen Reflexion statt Reflexen. Ressentiments in der Dauer-Erregungsschleife haben zu einer nie dagewesenen Trivialität der Auseinandersetzung geführt.
Da draußen zünden irgendwelche Irre Asylbewerberheime an. Strafrechtliche Sanktionen sind das eine. Darüber hinaus aber müssen Debatten folgen, vor allem mit Politikern der AfD, um ihnen zu widersprechen, um sie einzubinden, zu kontrollieren und so ein höchst problematisches Vakuum zu verhindern. In Tagen von Krawall-Empörung und Parolen-Pauschalisierung sind vorgelebte Sittlichkeit, Maß und Differenzierung unerhört wichtig.

Christian Schüle, 45, hat in München und Wien Philosophie, Soziologie und Politische Wissenschaft studiert, war Redakteur der "ZEIT" und lebt als freier Essayist, Schriftsteller und Autor in Hamburg. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, darunter den Roman "Das Ende unserer Tage" (Klett-Cotta) und die Essays "Wie wir sterben lernen" und "Was ist Gerechtigkeit heute?" (beide Droemer-Knaur/Pattloch). Seit 2015 ist er Lehrbeauftragter im Bereich Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

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