Pixar-Regisseur über "Arlo & Spot"

"Die Familie ist in dem Film ganz wichtig"

Regisseur Peter Sohn bei der Premiere von "The Good Dinosaur" - deutsch: "Arlo & Sport" - in Madrid; Aufnahme vom November 2015
Regisseur Peter Sohn bei der Premiere von "The Good Dinosaur" - deutsch: "Arlo & Sport" - in Madrid; Aufnahme vom November 2015 © imago/ZUMA Press
Peter Sohn im Gespräch mit Susanne Burg · 21.11.2015
Arlo ist ein kleiner animierter Dinosaurier, der sich mit einem wilden Menschenkind namens Spot anfreundet. Spot kann weder sprechen noch laufen, dafür schreckt der Menschenjunge Spot vor keiner Gefahr zurück. Geschaffen hat die beiden der Regisseur Peter Sohn.
Susanne Burg: Als der Disney-Konzern 2006 Pixar übernahm, war die Frage, wie es wohl weiter gehen würde mit der innovativen Animationsschmiede, die Filme wie "Findet Nemo", "Ratatouille", "Wall-E" oder "Oben" produziert hatten. Tatsächlich schien der Kommerz einzuziehen – mit Fortsetzungen und Franchises wie "Toy Storys 3" und "Cars 2". Dann kam vor einigen Wochen die bunte Psychoanalyse "Alles steht Kopf" in die Kinos. Und die Kritiker waren begeistert.
Nun legt Pixar nach. Ab Donnerstag gibt es wieder eine Originalgeschichte: "Arlo & Spot". Sie geht von der Idee aus, dass vor 65 Millionen Jahren ein Asteroid einfach an der Erde vorbeigerauscht ist und die Dinosaurier noch immer die Erde bevölkern.
Der junge Brontosaurus Arlo ist ein ängstliches Wesen und um ihm Mut zu machen, nimmt der Vater ihn mit auf eine kleine Verfolgungsjagd. Aber der Vater stirbt, und Arlo muss sich alleine in der bedrohlichen Natur zurecht finden. Er trifft auf Spot, ein wildes und rohes Menschenkind. Sie freunden sich an.
Regisseur des Films ist Peter Sohn, der Anfang des Jahrtausends als Storyboardzeichner für "Finding Nemo" bei Pixar angeheuert hat. Mit ihm habe ich in Los Angeles telefoniert.
Und ich wollte zunächst wissen: Es gab früher unzählige Dinosaurier-Arten. Sie haben sich dafür entschieden, dass Arlo ein Brontosaurus ist. Warum? Ist er sympathischer als ein Tyrannosaurus Rex, weil er Pflanzenfresser ist?
Peter Sohn: Also, als ich aufwuchs, da waren die Darstellungen der Dinosaurier in den Büchern, die ich las, da waren das immer diese sehr friedlichen, fast eleganten Tiere, die so unglaublich groß waren, dass man immer das Gefühl hatte, sie seien sehr leicht zugänglich. Und so habe ich dann als Erstes auch einen Dinosaurier mit einem ganz langen Hals gemalt, der quasi den Boden pflügen konnte wie ein Traktor, als sei es mehr als nur ein Dinosaurier, sondern eben auch wie ein Bauer, wie ein Farmer, der das Land ackert. Und dann habe ich mir das so ausgedacht, dass die Dinosaurier das tun mussten, um zu überleben. Und diese Figur des langhalsigen Dinosauriers habe ich dann einfach weiterentwickelt, auch diese Idee, dass er praktisch wie ein Farmer ist, und gleichzeitig ist aber "Arlo" auch die Geschichte einer Coming-of-Age Story, weil es hier auch um das Aufwachsen geht, um das Größerwerden.
Burg: Arlo ist ja auch so ein bisschen tollpatschig. Was muss man bei der Animation eigentlich berücksichtigen, damit er so aussieht?
Sohn: Also, zu Beginn wollten wir erst einmal untersuchen, wie sich diese Brontosaurier eben auch bewegen. Und sind dafür erst einmal in Museen gegangen und haben uns Tiere angeschaut, die eine große Masse bewegen müssen. Und da kamen wir natürlich auf Elefanten. Da hatten wir aber die Charaktere noch gar nicht entwickelt.
Rollentausch: Der Mensch als Hund und der Dinosaurier als Mensch
Und wie wir dann zu Arlo kamen, diesem kleinen Brontosaurier, da haben wir uns gedacht, dass wir dieses typische Disney-Motiv vom Jungen und dem Hund wieder mitaufnehmen und dass in diesem Fall der Junge den Hund spielt und der Dinosaurier wäre dann der Mensch in dieser Gleichung.
Und dann sind wir eben auf Teenager gekommen, wie sich Teenager eben benehmen, und wir sahen das Video von einem Freund, wo man Jungs sieht, wie sie herumtollen, auch irgendwo tollpatschig sind. Und ein anderer Bekannter meinte, als er das Video sah: Du, das erinnert mich daran, wie sich Kamele bewegen, die ja auch so etwas Tollpatschiges haben, wenn sie ihre beiden großen Höcker in der Wüste bewegen müssen.
Burg: Arlo trifft ja auf Spot, das ist eben der Mensch. Der krabbelt aber wiederum auf dem Boden und bellt manchmal wie ein Hund. Die Menschen sind nicht so weit entwickelt wie die Dinosaurier, Arlo hält Spot wie einen Hund. Sie haben schon gesagt, die Rollen sind verdreht. Was hat Sie an diesem Wechsel der Rollen interessiert?
Sohn: Ganz ehrlich, zuerst war das für uns eine ganz witzige Idee, wir sagten uns, was wäre, wenn der Dino spricht und der kleine Junge praktisch das noch gar nicht beherrscht, so die Sprache, und erst mal nur so gewisse Laute ausstößt, was würde das ergeben? Und dieses witzige Konzept haben wir dann einfach vertieft und haben versucht, auch eine gewisse Wahrheit darin zu finden, und uns gesagt, was bedeutet es, wenn wir im Dino den Jungen suchen, wie benimmt er sich dann, wie wächst er dann auf? Und das Gleiche war dann eben auch, das Tier in Spot eben zu untersuchen.
Und wir haben letztendlich sehr viel darüber gelernt, was es für Unterschiede in menschlichen Verhaltensweisen dabei eben auch gibt und was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Und dabei ist uns eben auch aufgefallen, dass man in gewissen Kulturen erst mal nur mit der Nase zuerst Gegenstände oder Dinge berührt hat. So haben wir Spot erst mal entwickelt zu Beginn des Films. Und dann in der Mitte des Films, wo die beiden, Arlo und Spot sich näherkommen, eine ganz andere Beziehung zueinander aufbauen, da verändert sich natürlich auch die Figur von Spot und wir haben diese kleinen menschlichen Gesten hinzugefügt, was uns letztendlich sehr berührt hat. Weil, aus unserem witzigen Grundkonzept entstand plötzlich eine große emotionale Tiefe.
Burg: Sie haben ja auch erwähnt, wie schwierig es war, dass Sie am Anfang kommunizieren. Sie sprechen nicht die gleiche Sprache. Und da gibt es so eine ganz berührende Szene, wo Arlo sagt, er versucht, seine Familie zu finden, und er stellt lauter Stöckchen in den Sand und malt einen Kreis drum. Und das versteht Arlo und macht dann das Gleiche und zeigt, dass eben seine Eltern, wie er glaubt, gestorben sind. Das, was sie dann bei aller Unterschiedlichkeit vereint, ist ja im Grunde genommen die Familie. Wie zentral ist die Familie in dem Film?
Familienkonzept des Nordwestens als Vorbild
Sohn: Die Familie ist hier ein ganz wichtiges Thema, genauso wie auch in meinem Leben. Ich finde ja, dass dieser Film Grenzen überschreitet, der wirkt ja manchmal wie so ein Western, es geht ja ums Überleben und es geht um die innere Stärke, die man dazu braucht. Und das ist ein Konzept, dieses Familienkonzept des Nordwestens, was ich wirklich recherchiert habe. Als ich mit Farmern dort geredet habe, mit Ranchern, die dort leben, und eben gespürt habe, wie wichtig für sie die Familie ist, und wie alle darum kämpfen zu überleben, da hat mich das tief beeindruckt, obwohl ich in New York City aufgewachsen bin und Western wirklich nur aus dem Kino kannte. Meine Mutter war ein ganz großer Western-Fan und hat mir diese Filme immer gezeigt und ich kannte diese großartigen Landschaften eben von der großen Leinwand.
Aber meine Eltern, die in New York einen kleinen Laden hatten, haben eben versucht, in der Stadt zu überleben. Und die Farmer da draußen im Nordwesten, die mussten eben auf Tausenden von Hektaren überleben. Und insofern war das ein gleicher Kampf, den jedes einzelne Familienmitglied führte, egal ob du jetzt in New York City lebst und einen kleinen Einkaufsladen hast, oder eben eine ganz große Farm zu beackern hast, alle halfen mit.
Und in dem Film ist es eben auch so, dass Arlo beispielsweise zuerst der Meinung ist, er schafft es nicht, er kann seine Familie nicht ernähren und er leidet darunter. Und dann merkt er später, dass er sich eine neue Familie aufbaut, dass er zu seiner inneren Stärke findet, dass er mit Spot und einfach anderen Figuren, die sie treffen, anderen Charakteren sich eben eine neue Familie bastelt. Und dieses Familienkonzept im Film ist wirklich sehr wichtig.
Burg: Die Natur wirkt sehr real im Film. Was waren die Herausforderungen bei der visuellen Umsetzung, also wie schwierig war das?
Sohn: Zu Beginn haben wir uns natürlich einer ganz großen Herausforderung stellen müssen, denn es gibt so viele Filme mit oder über Dinosauriern, wo dann am Ende der T-Rex oder einer dieser fleischfressenden Dinosaurier alles jagt und auffressen will. Und wir wollten schon ein bisschen etwas anderes dagegensetzen. Wir wollten eine gewisse Dualität erreichen, wir wollten zeigen, die Natur kann natürlich grausam sein, aber eben auch sehr schön. Sie kann Angst einflößen, aber auch Hoffnung spenden. Und da bin ich dann zu den Technikern von Pixar gegangen und habe gesagt, wir müssen das irgendwie hinbekommen, dass die Natur wie eine Figur wird im Film, wie ein echter Charakter.
Und die größte Problematik besteht dann beispielsweise darin, einen Fluss zu animieren, weil das wirklich sehr, sehr schwer zu machen ist. Aber der Fluss musste immer das unterstützen, was Arlo gerade fühlt. Am Anfang fällt er in den Fluss hinein und hat unglaubliche Angst, und dann später, wenn er Spot kennengelernt hat, wird dieser Fluss plötzlich friedlich, fast wie ein Stück Glas. Später findet dann ein Sturm statt, dann hat der Fluss wieder etwas Bedrohliches, und all das musste ausgedrückt werden. Aber das ist bisher kaum in einem Animationsfilm gemacht worden. Das letzte Mal, dass man das versucht hatte, das war in "Merida", und da gab es wirklich nur ganz kurze Szenen mit dem Fluss.
Und dann habe ich eben zu unseren Technikern gesagt, ihr müsst das irgendwie anders hinbekommen. Und sie hatten dann eben diese großartige Idee, das Stück für Stück zu machen, so als würde man Legostücke haben, die verschiedenste Dinge ausdrücken und die man dann so zusammensetzen konnte, wie man das wollte. Und genau dasselbe haben wir dann auch mit den Landschaften gemacht. Auch dort mussten wir uns neue Dinge einfallen lassen.
Und es gibt mittlerweile neue Technologien, die das ermöglichen. Man darf nicht vergessen, CGI funktioniert ein bisschen so, wie früher die ganz großen Studiofilme funktioniert haben. Dann gab es eben diese große Bühne, wo dann man im Hintergrund ein bisschen die Dinge verändern konnte, aber die Kameras ließen sich nicht bewegen. Und "Lawrence von Arabien" war dann so der erste Film, wo man mal wirklich in der Natur gedreht hat und plötzlich diese Landschaften auch durch Kamerabewegung möglich waren. Und genau das haben wir hier auch versucht, eben mit CGI zu machen, und auch hier haben unsere Techniker wunderbare Lösungen gefunden und praktisch aus Google-Maps-Bildern so Ziegel gebaut, die sich dann zusammenbauen ließen, dann wurden Bäume hinzugefügt, Naturelemente, Gebirgsläufe, das hört sich alles sehr einfach an, war aber unglaublich schwer zu realisieren. Aber unsere Pixar-Techniker haben das ganz gut hinbekommen.
Burg: John Lasseter, er ist der Produzent des Films und der große Kopf bei Pixar. Wie eng ist er dann in jedes Projekt involviert, auch in jeden Schritt?
"Es gab Momente, wo ich in ein tiefes Loch fiel"
Sohn: Also, John hat sich in diesen Film sehr eingebracht. Und er ist ja selber auch Regisseur, macht seine eigenen Filme, dadurch verfügt er über diese große Erfahrung. Es ist aber auch sehr schwer, dann Zeit zu finden. Aber er nimmt sich dann auch die Zeit. Und ich konnte sehr von seinen Ratschlägen, von seiner großen Erfahrung profitieren.
Es ist ja mein erster Film als Regisseur und John hat auch immer gesagt, komm ruhig zu mir, wenn du Rat brauchst. Und es ist auch wirklich nur ein Ratschlag, es gab niemals eine Notwendigkeit, dass ich mich dann auch daran halten musste. Er hat mich wirklich nur beraten, weil er mir wirklich vertraut hat. Und er wusste, wie man sich fühlte, hat auch gesagt, wenn du wirklich ein Problem hast, hier hast du so eine Notrufnummer, damit erreichst du mich immer, denn ich kenne diese Situation!
Und es stimmte, es gab Momente, wo ich mich großartig gefühlt habe während der Herstellung dieses Films, und dann gab es Momente, wo ich in so ein tiefes Loch fiel. Und John kannte diese Probleme, er wusste, wie man aus so einem Loch dann auch wieder rauskommt, und sagte dann einfach nur: Okay, du musst versuchen, irgendwie weiterzumachen. Und das hat dann unglaublich geholfen. Also, der Input sozusagen von John Lasseter hier war sehr wichtig und ich habe auch sehr, sehr gerne mit ihm zusammengearbeitet.
Burg: Die Krise des Individuums ist irgendwie das große Thema bei Pixar Film, es gibt viele Heldenreisen, Emanzipationsgeschichten wie zum Beispiel bei "Ratatouille" oder "Wall.E", an denen Sie selbst auch mitgearbeitet haben. Gibt es so etwas wie einen Pixar-Geist?
Sohn: Ich finde das sehr interessant, was Sie da fragen, und ich habe da, glaube ich, so noch niemals drüber nachgedacht und so haben wir unter Kollegen auch noch nie darüber gesprochen. Am Anfang ist immer nur diese Idee, diese Ausgangsidee einer Geschichte. Das kann man mit einem Kleinkind vergleichen und dieses Kleinkind muss dann wachsen, aufwachsen und diese Filmidee muss sich entwickeln.
Am Anfang ist es wirklich so, dass wir versuchen, diese ganze Entwicklung vorherzubestimmen, und dann kommt es an einen Punkt, während wir den Film produzieren, dazu, dass der Film uns sagt, was er braucht. Das ist so, als würde man von einem Baby eigentlich wollen, dass es mal ein ganz großer Geiger wird, und man holt all diese tollen Musiklehrer, das Kind soll Geige lernen! Und irgendwann sagt dir dann dieses Baby, ich will aber überhaupt kein Geiger werden, ich möchte ein Basketballspieler werden oder ein Footballstar. Und da muss man lernen, zuzuhören.
Und so ist es bei einem Film letztendlich auch, Sie haben gewiss recht, wenn Sie diese Parallelen und diese Überlegungen anstellen, aber für mich ist das alles eine sehr organische Geschichte, die sich dann zu einem Film verdichtet.
Burg: Jetzt ist also das Baby erwachsen geworden, das neuste Werk von Pixar, "Arlo und Spot" heißt der Film. Peter Sohn ist der Regisseur, am Donnerstag kommt der Film bei uns in die Kinos. Vielen Dank, thank you very much!
Sohn: Thank you very much, Susanne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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