Pilzvergiftungen

Pilzsaison - aber Vorsicht!

Pilze liegen in einem Korb.
Der feuchte Sommer sorgte 2014 für eine gute Pilzernte. © dpa / picture alliance / Ole Spata
Von Udo Pollmer  · 17.10.2014
Das gute Pilzjahr 2014 hat auch eine Schattenseite: Die Zahl der Pilzvergiftungen steigt. Mitverantwortlich dafür ist zum Beispiel der Trend zur Rohkost. Doch auch gekocht ist mancher traditionelle Speisepilz mit Vorsicht zu genießen.
Dieses Jahr ist ein gutes Pilzjahr in weiten Teilen Deutschlands – der feuchte Sommer sorgte für ein reiches kulinarisches Angebot in Wald und Flur. Mit dem Wachstum der Pilze wuchs leider auch die Zahl der Sammler, die sich und ihre Angehörigen mit ihren Fundstücken vergifteten. Schon letztes Jahr war die Zahl der Krankheitsfälle nach oben geschnellt, 2014 ist eine weitere Zunahme zu beklagen.
Für diese Entwicklung ist nicht nur die pilzfreundliche Witterung verantwortlich, sondern auch der Trend zur Rohkost. Die meisten Speisepilze sind nicht für den Rohverzehr geeignet. Erst gründliches Erhitzen vermag sie zu entgiften, wie beispielsweise Maronen, Perlpilze und vor allem der Hallimasch. Nicht umsonst steht Letzterer in Deutschland bei den Pilzvergiftungen auf den vorderen Plätzen.
Im Internet wird verbreitet, zumindest Champignons könne man roh essen. Können schon, aber auch der rohe Champi enthält etwas, das erst mal verdaut werden will, namentlich das fragwürdige Agaritin. In Tierversuchen erwies sich der Stoff als krebserregend. In einem Kilo frischer Wiesenchampignons wurde bis zu einem halben Gramm Agaritin nachgewiesen. Zuchtpilze enthalten etwas weniger, Dosenware dank der Erhitzung nur noch einen Bruchteil. Besonders viel Agaritin steckt im Karbol-Egerling, der dem Wiesenchampignon zum Verwechseln ähnlich sieht. Dies führt immer wieder zu Vergiftungen bei Pilzliebhabern.
Viele vertragen manche, andere nicht
Der Trend zu veganer Kost tut sein Übrigens. Verschiedentlich wird in veganen Kreisen der Verzehr von Pilzen empfohlen, um einem Vitamin B12-Mangel zu begegnen. Bisher konnten allerdings nur in zwei Pilzarten mäßige Vorkommen an echtem Vitamin B12 nachgewiesen werden; erstens die geschützte Totentrompete, und zweitens der beliebte Pfifferling. Um auf eine akzeptable Vitaminzufuhr zu kommen, müsste man davon täglich etwa ein Kilo verspeisen. Natürlich roh, versteht sich, denn Hitze schädigt das Vitamin.
Doch auch gekocht können traditionelle Speisepilze ziemlich ungemütlich werden. Eindrucksvoll ist das schmähliche Ende des Kahlen Kremplings. Grund ist das Paxillus-Syndrom, eine lebensbedrohliche Immunreaktion, die zur Zerstörung der roten Blutkörperchen führt. Typisch für diese Vergiftung ist, dass die betroffenen Patienten den Pilz meist über Jahre hinweg ohne Probleme verzehrt haben. Heute wird dieser ehemalige Speisepilz aufgrund zahlreicher Todesfälle als "äußerst gefährlich" eingestuft.
Es gibt viele Pilze, die einzelne Menschen nicht vertragen, während andere sie lieben. So der Shiitake, der eine merkwürdige Dermatitis auslösen kann oder die Nebelkappe, die manchem Pilzesser gegen seinen Willen wieder durch den Mund verlässt. Beim Butterpilz sollte die Haut vom Hut entfernt werden, der Flaschenbovist ist nur jung genießbar. Andere Pilze sind nur in bestimmten Kombinationen toxisch, beispielsweise gewisse Tintlinge, wenn dazu Wein genossen wird. Es gibt sogar Pilzvergiftungen, die treten erst 14 Tage nach dem Verzehr ein.
Die meisten Gifte sind nicht identifiziert
Das Bundesinstitut für Risikobewertung vermerkt zu den Risiken üblicher Pilzgerichte in dankenswerter Offenheit: "Fast jeder essbare Pilz kann zur Unverträglichkeit führen! Das Syndrom bedingt Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Soweit rohe Pilze Hämolysine (Stoffe, die rote Blutkörperchen auflösen) enthalten, sind blutiger Urin und Nierenschmerzen möglich. Etwa 40 Prozent aller Pilzvergiftungen entfallen auf dieses Syndrom." Nicht umsonst sind im angelsächsischen Raum Pilze als Nahrungsmittel generell verpönt, dort heißen sie allesamt "Toadstools" – Krötenhocker.
Bis heute sind die meisten verantwortlichen Gifte nicht identifiziert. Ihre Bildung ist abhängig von Standort, Witterung und Mikroben – und deshalb kaum berechenbar. Wenn stolze 40 Prozent aller akuten gesundheitlichen Probleme nach einem Pilzgericht laut Bundesinstitut durch natürliche Gifte in "essbaren" Exemplaren ausgelöst werden, dann frage ich mich: Sind unsere Ängste vor den stets beschworenen "Restrisiken" bekömmlicher Speisen nicht etwas übertrieben? Mahlzeit!
Literatur:
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