Pilgerstätten

Im zerstrittenen Heiligen Land

Blick auf die Al-Aqsa-Moschee mit ihrem langezogenen, metallgedeckten Schiff und Kuppel auf dem Tempelberg, aufgenommen am 10.09.2013.
Blick auf die Al-Aqsa-Moschee mit ihrem langezogenen, metallgedeckten Schiff und Kuppel auf dem Tempelberg. © picture alliance / ZB / Matthias Tödt
Von Philipp Gessler · 12.04.2014
Tod und Leben liegen im Heiligen Land nahe beieinander - und die Spannungen lassen die Bewohner nicht zur Ruhe kommen. Eine Spurensuche nach Stille, Andacht und Frieden.
Früher sind viele Pilger hier angelandet: Der Hafen von Jaffa – heute ein etwas ruhigerer Stadtteil der israelischen Metropole Tel Aviv. Es ist Nacht, von fern sieht man die glitzernde Skyline der Party-Hochburg Israels.
Wer als Pilger das Heilige Land sucht, sollte nicht unbedingt im jungen Tel Aviv beginnen. Eher rund zwei Autostunden nördlicher. Am See Genezareth. Wo Jesus von Nazareth gepredigt und seine Jünger um sich gesammelt hat. Vor knapp 2000 Jahren.
Der See Genezareth
Der See Genezareth© Deutschlandradio / Philipp Gessler
Hier ist ein Pilgerhaus des Erzbistums Köln. Es ist ein recht luxuriöser Komplex, trotz des schlichten Namens. Die Zimmer haben keinen Fernseher, wohl der Besinnung wegen. Am See ist spät nachts niemand mehr. Die Nacht ist mondlos und schwarz.
Von fern blinken noch ein paar Lichter von Tiberias herüber. Dort ist alter christlicher Überlieferung zufolge Johannes der Täufer hingerichtet worden. Aber wer kann heute schon noch sagen, ob das stimmt? Vieles ist unklar im Heiligen Land.
"Berg der Seligpreisungen"
Das gilt auch für diesen Ort. Es ist der "Berg der Seligpreisungen". Hier soll Jesus seine Bergpredigt gehalten haben. Aber war es wirklich hier? Vielleicht. Nonnen haben an diesem Ort, hoch über dem See, zuerst ein Kloster, dann 1937 eine recht hübsche achteckige Kirche und, in den letzten Jahren, ein großes Gästehaus bauen lassen.
Berg der Seligpreisungen
Berg der Seligpreisungen© Deutschlandradio / Philipp Gessler
Es ist Sonntag morgen. Ein strahlender Tag. Wenn es unten am See nicht so diesig wäre, man hätte einen herrlichen Blick bis zum anderen Ufer. In diesen Frühlingstagen ist die Gegend hier in Galiläa noch grün – in wenigen Wochen wird die Sonne alles verbrannt haben. Auf dem parkähnlichen Gelände beten in jeder Ecke Grüppchen von Gläubigen mit und ohne ihre Priester. Aus aller Welt kommen sie.
International ist auch die Atmosphäre weiter unten, direkt am See. Am nähesten kommt man dem Wasser in Tabhga, an der Primatskirche, auch Mensa Domini genannt. Auch hier beten und singen Pilger-Gruppen in allen Sprachen der Welt.
Als Auferstandener einigen seiner Jünger erschienen
Hier soll Jesus als Auferstandener einigen seiner Jünger erschienen sein. Dem Johannes-Evangelium nach hat er ihnen mit einem Tipp geholfen, viele Fische zu fangen, genau 153 - warum auch immer. Und er soll mit ihnen gegessen haben.
Deshalb Mensa Domini: Tisch des Herrn. Primatskirche heißt die Kirche auch, da Jesus Johannes zufolge hier Petrus beauftragt hat, seine Schafe zu weiden - also seine Kirche zu führen. Deshalb wird hier des Papst-Primats, also der Vorrangstellung des Papstes in der katholischen Kirche, besonders gedacht. Aber das ist zwiespältig. Denn Jesus fragt Petrus dem Evangelium nach zuvor dreimal, ob er ihn liebe. In der Wiederholung liegt ein Vorwurf: Denn dreimal hatte Petrus, so der Evangelist Johannes, Jesus am Tag seiner Kreuzigung verleugnet. Petrus versteht den Wink und ist betrübt – trotz des großen Auftrags.
Jesus verließ seine Heimat, das sanfte, provinzielle Galiläa, um in Jerusalem, dem Zentrum des Landes, seine Bestimmung zu finden. Das war gefährlich. Noch heute ist Jerusalem auf ganz eigene Art gefährlich. Es gibt viele Verrückte hier - gerade weil diese Stadt so aufgeladen ist mit Religion.
Immer das gleiche Lied
Am rund 400 Jahre alten Jaffa-Tor, einem der acht Tore zur Altstadt Jerusalems, steht ein Straßenmusiker auf einem kleinen Vorsprung der Mauer, genau zwischen einer modernen Einkaufsmall und dem Tor. Er ist halb als Clown, halb als orthodoxer Jude gekleidet und spielt, mit übergroßen Schuhen von einem Bein aufs andere tänzelnd, immer das gleiche Lied.
Ein Straßenmusiker in Jerusalem.
Ein Straßenmusiker in Jerusalem.© Deutschlandradio / Philipp Gessler
Jerusalem ist den drei monotheistischen Religionen heilig – und wer am Abend hier ankommt, hört zuerst die Muezzine, die von ihren Minaretten herunter zum Gebet rufen. Wie ging das eigentlich, als es noch keine Lautsprecher gab?
Auf dem mit großen Scheinwerfern hell erleuchtetem Platz vor der Klagemauer sucht man ebenfalls die Nähe Gottes, Männer und Frauen getrennt. In der Männerabteilung sind es vor allem orthodoxe Juden, alle in Schwarz und mit Hut. Sie beten vor dem, was vom Tempel des Herodes, ihrem größten, ja dem einzigen Heiligtum, noch geblieben ist.
Die Oberkörper bewegen sich rhytmisch vor und zurück, ab und zu stehen einige Betende von den einfachen Stühlen auf, um singend und stehend zu beten.
Kirche diente als Pferdestall
In der St. Anna-Kirche, etwas am Rand der Altstadt gelegen, singen die Christen. Das schlichte, elegante Gotteshaus stammt noch aus der Kreuzfahrerzeit, erbaut im 12. Jahrhundert. Die romanische Kirche ist berühmt für ihren langen Nachhall. Und dass die Kreuzfahrer neben dem Blutbad, das sie bei der Eroberung Jerusalems angerichtet haben, auch so etwas Schönes errichten konnten, verwundert ein wenig.
Angeblich diente die Kirche in osmanischer Zeit als Pferdestall. Der Pferdemist soll fast bis zur Decke gereicht haben. Doch davon ist - gottseidank - weder etwas zu sehen noch zu riechen.
Nüchterner, natürlich, geht es in der evangelischen Erlöserkirche zu. Sie liegt gleich neben einem Bazar, nicht weit von der Grabeskirche. Ein Organist übt ein paar Stücke, im Hintergrund hört man die hoch gelehrten Erläuterungen eines profunden Kenners der Kirche – protestantischer könnte das alles kaum sein.
Chaotischer, ja geradezu verrückt geht es in der Grabeskirche zu – dort, wo man das angebliche Grab Jesu bewundern kann. Hier soll Jesus, so sehen es die Gläubigen, auch auferstanden sein. Gleich sechs christliche Konfessionen haben in diesem verwinkelten Bau ihre eigenen Kapellen – äthiopische Mönche leben in kleinen Klosterzellen auf dem Dach des Gotteshauses. Die Kirche stammt im wesentlichen aus dem 12. Jahrhundert.
Stille Momente trotz der vielen Touristen
Ab und zu gibt es Gerangel zwischen den Geistlichen der verschiedenen christlichen Konfessionen. So entladen sich die Spannungen zwischen den unterschiedlichen christlichen Kirchenmännern, immer dann, wenn sich jemand mal wieder nicht an die fragilen, oft Jahrhunderte alten Absprachen gehalten hat. Dennoch gibt es in all dem Trubel und trotz der vielen Touristen auch stille Momente.
In einer römisch-katholischen Kapelle in der Grabeskirche beten drei Frauen, alle um die 40 Jahre alt, früh morgens einen Rosenkranz.
Wenn das große Gedränge in der Grabeskirche mit vielen Touristen und Gläubigen morgens um acht Uhr noch nicht los gegangen ist, flattern Vögel in das hohe Gotteshaus. Sie geben dem alten, düsteren Bau etwas Leichtes.
In der Grabeskirche ist in einem der oberen Stockwerke ein Loch im Boden, etwa ein Quadratmeter groß. Das Loch wird bedeckt durch Panzerglas, darüber erhebt sich ein prächtiger, golden glänzender Altar.
Blickt man in das Loch, sieht man ein Stück Fels. Dies ist Golgatha, die Stelle, wo das Kreuz Jesu gestanden haben soll. Und tatsächlich ist dies den Forschungen der Archäologie zufolge die einzige Stelle in der Grabeskirche, die mit ziemlicher Sicherheit als historisch authentisch gelten kann. Hier beten, in relativer Ruhe, ein Gläubiger und ein Pope still zusammen.
Tod und Leben nahe beieinander
Selten gibt es in der Grabeskirche – immerhin einer der heiligsten Orte des Christentums – genug Stille, um etwa eine Messe zu feiern. Und wenn, muss man sich angesichts des Gewusels um einen herum, ganz schön konzentrieren können, um so etwas wie Andacht zu finden.
Tod und Leben liegen im Heiligen Land nahe beieinander. Ein paar Kilometer von der Grabeskirche entfernt sind Worte und Töne zu hören, die kaum auszuhalten sind. In der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem gibt es einen Bau, in dem an die von den Nazis ermordeten Mädchen und Jungen erinnert wird.
Wie in einem Spiegelkabinett umgeben die Besucher in völliger Dunkelheit Tausende von Kerzenlichter, die, dutzendfach gespiegelt, wie im Weltall zu schweben scheinen. Dazu nennt eine Frauenstimme die Namen ermordeter Kinder.
Ohne die Erinnerung an den Holocaust ist das heutige Israel nicht zu verstehen. Aber natürlich ist Israel viel mehr, viel bunter und komplexer. Im Israelmuseum, nicht weit von Yad Vashem, wird das farbenreiche jüdische Leben rund um den Globus gezeigt. Gebetsräume von Synagogen aus der ganzen Welt sind zu bewundern. Ein Raum zeigt die prächtige, vollständig ausgemalte Holzverkleidung der Synagoge von Horb am Main. Sie wurde in Oberfranken ausgebaut und hierher nach Jerusalem gebracht. Seit 1968 hat sie ihren Ort im Musem. Hier erklingt synagogale Musik.
Die Spannungen im Heiligen Land
Religion kann so schön sein, wenn sie tolerant ist und man ihr Raum und Luft gibt. Doch die Spannungen, die zwischen den Religionen im Heiligen Land herrschen, werden deutlich, sobald israelische Besucher den Tempelberg betreten – die Stätte, wo einst der Tempel Salomons stand und heute die Al-Aqsa-Moschee und der Felsendom stehen. Zuerst muslimische Frauen, dann auch einige Männer rufen allahu akbar – Gott ist groß, als sie jüdische Touristen entdecken.
Die schwer bewaffneten israelischen Sicherheitsleute, die hier für Ruhe sorgen sollen, werden unruhig ... auch wenn am Ende nichts passiert.
Noch deutlicher werden die Spannungen, die das Heilige Land nicht zur Ruhe kommen lassen, in Hebron, einer Stadt in den palästinensischen Gebieten. Hier werden Besucher freundlich begrüßt – zumindest von den kleinen Schulkindern, die in Schuluniformen und im Gänsemarsch von Erzieherinnen mit Kopftuch zum Grab der Patriarchen geführt werden.
	Palästinensische Schulkinder in Hebron vor dem Grab der Patriarchen
Palästinensische Schulkinder in Hebron vor dem Grab der Patriarchen© Deutschlandradio / Philipp Gessler
Das Grab der Patriarchen ist ein großer Steinbau, der früher eine Kreuzfahrer-Kathedrale war - und heute als Moschee und Synagoge genutzt wird. Denn hier liegen der Überlieferung nach die Gebeine von Abraham, des Urvaters der drei monotheistischen Religionen.
Ein Ort der Zerstrittenheit
Die Gläubigen sagen, in den Sarkophagen, die hier zu sehen sind, lagerten auch die sterblichen Überreste von Abrahams Frau Sara sowie die von deren Nachkommen Isaak und Jakob mit deren Frauen Rebekka und Lea.
Doch was ein Ort der Rückbesinnung auf gemeinsame Wurzeln und eine Stätte des Friedens zwischen den Weltreligionen sein könnte, zeigt vielmehr ihre Zerstrittenheit. Nachdem christliche Besucher gebeten worden sind, zum Schutz der ausliegenden Teppiche in der Moschee die Schuhe auszuziehen, besucht eine israelische Gruppe das muslimische Gotteshaus.
Die israelischen Touristen lassen die Schuhe an. Vielleicht weil sie so notfalls schneller wieder draußen sein können, falls es Ärger gibt. Teppiche werden für die Israelis ausgerollt, auf denen sie bleiben sollen. Bodyguards mit Stöpseln im Ohr und israelische Soldaten mit Maschinengewehr schützen die Gruppe. Eine beklemmende Situation. Juden und Muslime beten auch hier getrennt voneinander.
Viel Hoffnung oder Gottvertrauen
In der Altstadt von Hebron leben jüdische Siedler inmitten der palästinensischen Stadtbevölkerung – israelische Soldaten schützen die Siedler. Große Teile des alten Stadtzentrums von Hebron werden durch die massive Präsenz der Armee und durch Straßensperren lahm gelegt. Ganz ungehindert scheint hier nur der Muezzin zu sein – im Ruf zum Gebet.
Und Frieden im Heiligen Land? Man muss schon sehr viel Hoffnung oder Gottvertrauen haben, um derzeit daran zu glauben. Angesichts der all gegenwärtigen Spannungen ist man jedenfalls schon froh über jeden Straßenmusiker, der einfach nur schöne, entspannte Töne anschlägt – wie dieser Guitarrist am Jaffa-Tor in Jerusalem.Der hektische orthodoxe Musiker-Clown ist nicht da. Zumindest die Straßenmusiker scheinen sich ihren Platz nicht streitig zu machen. In diesem zerstrittenen Heiligen Land.
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