Pilgerfahrt nach Jerusalem im 15. Jahrhundert

Tagebuch einer beschwerlichen Reise

Blick auf das christliche Viertel in der Altstadt von Jerusalem
Jerusalems Altstadt: Das war das Ziel von Grünemberg. © picture alliance / dpa / Reinhard Kaufhold
Von Kirsten Serup-Bilfeldt · 06.12.2015
Im Jahr 1486 machte Konrad Grünemberg sich auf die Reise nach Jerusalem. Was er dabei erlebte, schrieb und zeichnete er in sein Tagebuch. Das kann man heute noch lesen - und es lohnt sich.
Von einem auch nur annähernd angemessenen Preis-Leistungsverhältnis für dieses "Pauschalpaket" kann kaum die Rede sein: Nicht nur erweist sich das Schiff als reparaturbedürftig, man ist überdies auch noch von Mitmenschen umgeben, die mit grünen Gesichtern über der Reling hängen. Und das Personal ist inkompetent und schlafmützig. Und all das für einen Preis von 38 Dukaten? Tapfer, wenn auch leicht verärgert, notiert der Herr Konrad Grünemberg denn auch unter dem Datum des 7. Juli 1486 in sein Reisetagebuch:
"Wir lagen in Candia, wo wir aus dem Hafen fuhren und es kam ein frischer Ostwind... Das Schiff schwankte so heftig, dass viele Pilger krank wurden. Die Nacht fuhren wir sehr sorgsam, denn es gab auf der Strecke viele Riffe. Das sind spitze Felsen. Das hatten die Seeleute verschlafen, sodass wir beinahe einen berührt hätten..."
Doch als echtes Multitalent schreibt der Herr Grünemberg nicht nur, nein, er zeichnet auch. Und so prangen die hochragenden Mauern und Türme der Stadt Candia - heute Iraklion auf Kreta - als Federzeichnung in prachtvollen Farben auf einer ganzen Seite seines Berichtes. Die Schönheit der Stadt mag ihn mit den Widrigkeiten der Überfahrt versöhnt haben.
Auf den Spuren Christi wandeln
Am 22. April im Jahr des Herrn 1486 bricht der Konstanzer Patrizier Konrad Grünemberg gemeinsam mit seinem Knecht Kaspar Gaisberg vom Bodensee nach Venedig auf. Dort besteigen sie ein Schiff, das sie nach Jaffa bringt und dann geht es auf Eseln weiter bis nach Jerusalem - zu den Heiligen Stätten! Ziel dieser Wallfahrt ist es, auf den Spuren Christi zu wandeln und sich am Heiligen Grab zum Ritter schlagen zu lassen.
Grünemberg bereitet sich überaus gründlich auf die Reise vor: Er schließt einen Vertrag mit einem Reeder ihres Vertrauens, der die Reise bereits acht Mal unternommen hat - was Katastrophen offenkundig nicht ausschließt - er plant Führungen und Besichtigungen, erstellt akribisch Gepäck- und Proviantlisten, die zu einem späteren Zeitpunkt als "Reiseführer" und Merkzettel für nachfolgende Reisende dienen können.
"Versieh dich gut mit 'Biscotti', das sind zwei- oder dreifach gebackene Brote, die nicht verderben..."
Natürlich empfiehlt es sich, Geld in verschiedenen Währungen mitzunehmen. Grünemberg rät zu:
"Dukaten, Marzellen und Margetten, denn die nehmen die Griechen und die Heiden gar gern..."
Grünembergs sehr persönlich gehaltene Schilderungen sind ein unterhaltsames und facettenreiches Zeugnis für die europäische Weltsicht am Ende des Mittelalters. Schon die Tatsache, dass er beschließt, sich auf die Fahrt nach Jerusalem zu begeben, weist ihn nicht nur als fromm, sondern auch als mutig, robust und wissbegierig aus. Denn in diesen Zeiten ist eine solche Reise ein hochriskantes Unterfangen: Die Wege sind schlecht, überall lauern Räuber, wilde Tiere, fremde Söldner; die Herbergen sind schmutzig, die Verpflegung zumeist dürftig, Krankheiten an der Tagesordnung.
Wenn Grünemberg all diese Wagnisse eingeht, zeigt ihn das als Vorreiter einer heraufdämmernden neuen Zeit. Einer Zeit, in der Mobilität an sich, die Aneignung der Welt, und Bildung als wertvolle Erfahrung zum Selbstverständnis von Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft gehören werden.
Grünemberg lässt seiner Neugier freien Lauf
Die Zeiten, in denen etwa der Kirchenvater Augustinus die "curiositas", also die durch Reisen angestachelte Neugier, scharf als Laster geißelte, scheinen vorbei. Der Autor lässt denn auch seiner Neugier auf fremde Landschaften, Völker und Religionen freien Lauf und - erzählt munter drauflos:
"Wir ritten in ein Dorf, da liefen Frauen und Männer herzu und bewarfen uns mit Steinen..."
Natürlich hat er mit Sprach- und Verständnisproblemen zu kämpfen. Von daher ist er erleichtert, als er in einem Wirtshaus auf einen Hund trifft, "der Deutsch verstand..." Und da die "political correctness" noch nicht erfunden war, notiert er:
"Er verbellte ausschließlich Italiener...!"
Höhepunkt der Reise ist natürlich die Ankunft in Jerusalem:
"Da ist die Stätte, an der unser Herr Jesus Christus seiner Mutter Maria erschienen ist. Vor aller Welt gleich nach der Auferstehung...
Der bunte, prachtvolle Faksimileband des Spätmittelaltertouristen Grünemberg ist mehr als nur der Reisebericht eines auskunftsfreudigen Beobachters. Er gibt einen Einblick in eine "Zeit zwischen den Zeiten" – als das Mittelalter noch nicht zu Ende war und sich die Neuzeit erst am Horizont abzeichnete.

Konrad Grünemberg: Von Konstanz nach Jerusalem - Eine Pilgerfahrt zum Heiligen Grab im Jahre 1486
Lambert Schneider Verlag
240 Seiten, 99,95 Euro