Pierre-Joseph Proudhon

Befürworter der Anarchie

Von Jochen Stöckmann · 19.01.2015
Der französische Ökonom und Soziologe Pierre-Joseph Proudhon eckte mit seinen anarchistischen Thesen bei vielen seiner Zeitgenossen an. Dabei stand er dem Kapitalismus nicht ablehnend gegenüber. Karl Marx befand über ihn nach einem Treffen: "Er ist der lebendige Widerspruch." Am 19. Januar 1865, vor 150 Jahren, starb Proudhon.
Entsetzt, mit gesträubten Nackenhaaren schaut Pierre-Joseph Proudhon auf den Leitartikel der Pariser Zeitung "Le Peuple". Es ist sein eigener Text, der dem Chefredakteur des kämpferischen Blattes beim erneuten Lesen Angst einjagt. Mit dieser Karikatur hat der Zeichner Cham 1849 den umtriebigen Agitator und Verfechter der Devise "Eigentum ist Diebstahl" in seiner ganzen Widersprüchlichkeit porträtiert. Eine "Volksbank", die kostenlose Kredite vergibt, sollte für die gerechte Verteilung des Kapitals sorgen. Zur Verwirklichung dieser Idee setzte der Sozialreformer nach der gescheiterten Februarrevolution sogar auf den künftigen Kaiser Napoleon III. Dessen autoritäre Herrschaft aber hatte derselbe Proudhon – diesmal ganz Anarchist – vehement abgelehnt:
"Wer Hand an mich legt, um mich zu regieren, ist ein Usurpator und Tyrann; ich erkläre ihn für meinen Feind!"
Krasse Gegensätze und abrupte Wendungen prägten das Leben des Handwerkersohns, der 1809 in Besançon geboren wurde, seine Kindheit als Kuhhirte fristete, nur kurze Zeit die Schule besuchen konnte und sich dennoch zum Schriftsetzer hocharbeitete. Den Autodidakten hielt es nicht in der Provinz, Proudhon ging nach Paris. In Zeitungsartikeln forderte er soziale Reformen, bezog in Schriften zu Fragen der Politik und Ökonomie engagiert Stellung. In Finanzkreisen und beim Großbürgertum eckte er an. Dabei hatte der Initiator anarchistischer Bewegungen doch nur die Ziele der Französischen, der bürgerlichen Revolution ein wenig variiert:
"Freiheit ist unser Prinzip, Gleichheit unser Mittel, Brüderlichkeit unser Ziel."
Mit dieser programmatischen Ausrichtung weckte Proudhon das Interesse von Karl Marx. Aber nach einer Zusammenkunft mit dem französischen Hitzkopf stellte der deutsche Sozialist fest: "Er ist der lebendige Widerspruch. Als geistreicher Mann wird er bald mit seinen eigenen Widersprüchen spielen lernen und sie je nach Umständen zu auffallenden, geräuschvollen, manchmal skandalösen, manchmal brillanten Paradoxen ausarbeiten."
Er begeisterte sich auch für Musik und Bildende Kunst
Nicht nur das "geräuschvolle" Spielen auf der Klaviatur zeitgenössischen Denkens hatte es Proudhon angetan, er begeisterte sich auch für Musik und Bildende Kunst. Das Werk Gustave Courbets, eines engen Freundes und Weggefährten, regte ihn zu seiner Schrift "Von den Grundlagen und der sozialen Bestimmung der Kunst" an, einer Abrechnung mit alltagsferner Salonmalerei. Und der Musikliebhaber kam bei Treffen mit dem russischen Philosophen Michail Bakunin, einem emigrierten Anarchisten, auf seine Kosten.
"Bakunin wohnte damals beim Dirigenten Adolph Reichel, in einer äußerst bescheidenen Wohnung jenseits der Seine. Proudhon pflegte öfters hinzugehen, um Reichels Beethoven und Bakunins Hegel zu hören, doch dauerten die philosophischen Debatten länger als die Symphonien." So berichtet es der Schriftsteller Alexander Herzen – mit unüberhörbarer Ironie. Ihm waren diese Debattierzirkel ebenso wenig geheuer wie Proudhons paradoxe Parolen:
"Anarchie ist Ordnung. Regierung ist Bürgerkrieg."
Dem Kapitalismus stand dieser Anarchist durchaus nicht ablehnend gegenüber. 1857 erschien sein "Handbuch der Börsenspekulation" – und darin schreibt er dem von vielen als Chaos empfundenen Auf und Ab des Aktienhandels eine seltsam schöpferische Kraft zu: "Die Spekulation erfindet, erneuert, versorgt und schafft gleich dem unendlichen Geist alle Dinge aus dem nichts."
Man darf sich den am 19. Januar 1865 in Paris gestorbenen Pierre-Joseph Proudhon durchaus nicht als den auf das einzige Ziel der Revolution fixierten Politstrategen vorstellen. In seiner ersten und bedeutenden Schrift "Was ist Eigentum?" kritisiert er nicht den Besitz an sich, sondern verurteilt nur jene als "Schmarotzer und Räuber", die ganz ohne eigene Arbeit Grundrente, Zinsen oder Dividenden kassieren. Da tritt die leidenschaftlich moralische Sicht eines eher streitbaren denn kritisch-analysierenden Geistes zutage – über dessen verwirrend vielfältiges Werk der Philologe J. P. Mayer urteilte: "Proudhon zählt zu den … politischen Denkern, die zu groß waren, um sie einer Partei zuzuordnen. Er wechselte die Seiten, blieb aber immer an der Front."
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