Pierre Bismuth: "Where is Rocky II?"

Oscar-Gewinner auf der Suche nach legendärem Felsen

Blick auf das Death Valley in der Mojave-Wüste, USA.
Irgendwo in der Mojave-Wüste muss das Kunstwerk stecken: der Felsen von Ed Ruscha. © dpa / Barry Sweet
Pierre Bismuth im Gespräch mit Patrick Wellinski · 15.10.2016
Vor 38 Jahren hat der Künstler Ed Ruscha einen Kunstfelsen in der Mojave-Wüste versteckt. Keiner weiß, wo der Stein liegt, ob es ihn überhaupt gibt. In seinem Dokumentarfilm "Where is Rocky II?" forscht der französische Oscar-Gewinner Pierre Bismuth nach dem Felsen.
Patrick Wellinski: Herr Bismuth, wann haben Sie eigentlich das erste Mal von Rocky II gehört?
Pierre Bismuth: Ich glaube, das war ungefähr vor 15 Jahren, durch Zufall. Ein Freund gab mir drei VHS-Kassetten, zwei davon waren Marcel-Duchamp-Interviews in Philadelphia und eine war die BBC-Dokumentation über Ed Ruscha.
Wellinski: Was faszinierte Sie denn an diesem Kunstprojekt von Ed Ruscha?
Bismuth: Diese wirklich verblüffende Arbeit, die er so um 1976 angefertigt hat, und an der man ihn in der Dokumentation arbeiten sieht: dieser große künstliche Felsbrocken aus Schotter und Wüstensteinchen, den er in die Wüste zwischen all die echten Steine stellte, und der sich komplett in die Landschaft einfügt und über 40 Jahre dort geblieben ist.

"Mit Fragen von Realität und Fiktion auseinandersetzen"

Ich sage nicht, dass ich mir vor 15 Jahren schon voll bewusst darüber war, was daran interessant war. Aber ich spürte, dass das eine großartige Gelegenheit war, mich mit Fragen von Realität und Fiktion auseinanderzusetzen, über die verschiedenen vorherrschenden Realitäten in den Medien der Gegenwart. So verstehe ich den Film heute.
Wellinski: Wie haben Sie denn überhaupt mit dem Film angefangen? An dem Film ist ja die Struktur sehr wichtig. Ist Ihnen diese Struktur von vorneherein klar gewesen? Oder ist die Struktur etwas, das mit dem Dreh entstanden ist?
Bismuth: Das hat sich während der Vorbereitung der Produktion entwickelt, nicht während des Drehs. 2008 habe ich angefangen zu verstehen, was der Film sein könnte. Dann habe ich gemerkt, dass ich, wenn ich etwas über diese Arbeit machen möchte, die keiner kennt, zunächst einmal sicherstellen muss, dass das Publikum mir glaubt, dass dieses Werk wirklich existiert. Ich wusste, dass Ed Ruscha 2009 eine große Solo-Ausstellung in London haben würde, in der Hayward Gallery. Also beschloss ich, dorthin zu gehen und ihn öffentlich in einer Pressekonferenz mit der Existenz dieses Werks zu konfrontieren.
Die Drehbuchautoren Charlie Kaufman, Michel Gondry und Pierre Bismuth wurden 2005 mit dem Oscar für das beste Drehbuch für den Film "Vergiss mein nicht!" ("Eternal Sunshine of the Spotless Mind") in Hollywood ausgezeichnet.
Pierre Bismuth (rechts) gemeinsam mit den Drehbuchautoren bei der Oscar-Verleihung 2005. Sie erhielten den Filmpreis für das beste Drehbuch des Films "Vergiss mein nicht!". © EPA / ARMANDO ARORIZO
Seine Reaktion war sehr interessant. Er war überrascht, dass ich diese Arbeit kannte. Und diesen Moment sieht man auch im Film. Mit dem Material habe ich dann wirklich angefangen, eine Struktur zu entwickeln. Die Vorgehensweise kam auch durch den Ansatz zustande, rein praktische Probleme zu lösen: Wenn ich nach L.A. fahre und nach dem Werk suche - wer kann mir helfen, mich zu zurechtzufinden, weil ich ja gar nichts über L.A. und die Wüste wusste?

Ein Privatdetektiv sucht einen Felsen

Meine vielen Überlegungen fokussierten sich auf die Idee, mit einem Privatdetektiv zusammenzuarbeiten, weil es dessen Job ist, etwas zu finden. Und es gibt sehr viele Privatdetektive in Los Angeles. Alle nutzen deren Arbeit für verschiedenste Probleme.
Als ich dann einen Detektiv gefunden hatte, wurde klar, dass wir die Kino-Ebene betraten, weil ein künstlicher Felsen und ein Detektiv schon sehr nach einem Kino-Film klingen.
Die andere Frage, die ich mich umtrieb, war die, warum der Künstler so ein Werk anfertigt. Was ist die künstlerische Motivation, etwas zu schaffen, das unsichtbar sein wird und über das er sich weigert zu sprechen, aber gleichzeitig zu erlauben, dass eine BBC-Doku darüber gemacht wird.
Da passte etwas nicht ganz zusammen, und ich wollte herausfinden, was das ist. Allerdings stellte sich heraus, dass der Detektiv nicht die richtige Person war, um diese Frage zu beantworten. Wer also kam sonst noch in Frage, mir auf der Suche nach dem Warum behilflich zu sein? Die Lösung war: Drehbuchautoren. Sie sind die perfekten Leute dafür - denn genau das tun sie: Sie stellen alles infrage mit ihrem Schreiben. Als ich den Drehbuchautor gefunden hatte, stand auch die Struktur.

"Es geht um die verschiedenen Realitäten, die die Medien beherrschen"

Wellinski: Kann man sagen, dass Michael Scott, so heißt ja der Detektiv, den Sie engagieren, wirklich nach dem Kunstwerk sucht und die Hollywood-Drehbuchautoren nach der Geschichte zu dem Kunstwerk suchen?
Bismuth: Ja, genau. Man kann sagen, der Detektiv sucht das Kunstwerk und die Autoren suchen die Bedeutung des Kunstwerks, indem sie eine Geschichte schreiben, die darauf basiert, was der Detektiv macht. Es ist also eine direkte Interpretation dessen, was bei der Suche des Detektivs passiert.
Wellinski: Die Suche ist ja im Zentrum des Films. Bei den Drehbuchautoren ist sehr interessant zu sehen, dass sie, glaube ich, durch die Fiktion versuchen, zur Wahrheit zu kommen. Ist das ein Weg, der funktioniert?
Bismuth: Es ist lustig, dass Sie das sagen. Ich denke, das Gegenteil ist der Fall. Ich glaube, der Detektiv arbeitet so. Nach meiner Erfahrung beginnt der Detektiv mit einer Art fiktiver Spekulation, um dann schließlich die Wahrheit zu finden.
Drehbuchautoren dagegen recherchieren viel Reales, was sie dann wiederum zu fiktiven Ideen und Vorschlägen bringt. Sie machen also eine ähnliche Reise, aber in die andere Richtung. Meiner Ansicht nach beschreiben Sie also die Arbeit des Detektivs und nicht des Autors.
Wellinski: Weil der Film in L.A. spielt, spielt er auch in Hollywood. Ist das auch ein Film über die Essenz von Hollywood. Der Film beginnt ja auch mit einem Zitat, wo man sagt "Hollywood ist auch ein Verb - man kann auch etwas hollywooden". Haben Sie Rocky II "gehollywoodet"?
Bismuth: Absolut. Es geht um die verschiedenen Realitäten, die die Medien heutzutage beherrschen. Was lässt uns glauben, dass etwas real ist oder nicht; nicht so, wie es in den Medien präsentiert wird?
Aber noch wichtiger: Wie wollen Medienleute die Realität in ihrem Medium präsentieren? Das finde ich oft problematisch. Das war eine sehr wichtige Frage für mich, die in dem Film unbedingt eine Rolle spielen sollte. Ich denke, der Film ist eine Ode an die Kreativität. Denn es geht ja darum zu zeigen, wie Kreativität von verschiedenen Perspektiven aus funktioniert, vielleicht sogar darum, wie jeder letztendlich ein Künstler ist.
Der Künstler Ed Ruscha posiert am Donnerstag (11.02.2010) in München (Oberbayern) vor seinem Bild "Large Trademark with Eight Spotlights" aus dem Jahre 1962 in der Ausstellung "Ed Ruscha, 50 Jahre Malerei".
Der Künstler Ed Ruscha© dpa / Felix Hörhager
Wellinski: Das stimmt. Wenn man sich Ihre Arbeiten ansieht, nicht nur im Film. Sie arbeiten gerne im Grenzbereich zwischen Film und Kunst. Warum ist gerade dieser Bereich so fruchtbar für Ihre Arbeit?
Bismuth: Ich bin von Haus aus Künstler und befasse mich einfach mit Dingen, die mir vertraut sind. So einfach ist das. Wenn ich Chemie studiert hätte, würde ich wahrscheinlich Filme über Chemie machen.
Wellinski: Es kommt ja noch dazu, dass auch die Suche immer wichtig ist. Ist das etwas, worauf Sie Wert legen, dass der Prozess des Suchens in Ihren Arbeiten vorkommt?
Bismuth: Ja, weil mein Verständnis davon, ein Kunstwerk zu schaffen, in der Recherche liegt. Es ist nichts anderes als nachzuforschen, versuchen herauszufinden, wie das jeweilige Ding beschaffen und präsentiert sein sollte. Mein Ansatz des Geschichtenerzählens ist, dass man nicht Storys erfinden muss. Man muss einem Moment, den man erlebt hat, nichts Seltsames hinzufügen - man muss nur versuchen, sich zu erinnern. Die Erinnerung an sich ist schon ein fiktiver Moment. Alles, was man erinnert, ist schon ein redigiertes fiktives Stück. Ergibt das irgendeinen Sinn?
Wellinski: Natürlich. Es macht ja auch Sinn zu fragen am Ende eines Films, bei dem es um eine Suche geht, haben Sie denn gefunden, was Sie gesucht haben?
Bismuth: Ja, wir haben das Werk gefunden, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich das sagen sollte, aber ja, wir haben es gefunden. Ich glaube, wir haben das Rätsel dieses künstlichen Felsens irgendwie gelöst. Ich möchte jetzt nicht zu viel sagen, weil es im Film einige Überraschungen gibt, aber ich denke, wir haben es gefunden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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