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Was aus Flüchtlingsunterkünften wird
Stille im Baumarkt

Die Stadt Köln besitzt einen leeren Baumarkt. Als im Sommer 2015 tausende Flüchtlinge in die Stadt kamen, diente das Gebäude als Notunterkunft. Die Halle könnte reaktiviert werden, obwohl die Stadt Massenunterkünfte vermeiden will. Es ist nicht die einzige Lehre aus dem Flüchtlingsjahr 2015.

Von Moritz Küpper | 09.05.2019
Die Hallen der Baumarkt stehen leer, einzig die Wandbemalung zeigt, dass in dem früheren Baumarkt einmal Flüchtlinge untergebracht waren.
Ein Willkommensgruß in 35 Sprachen (Moritz Küpper)
Still liegt er da, der ehemalige Baumarkt im Südosten von Köln. Anne Schröder vom Amt für Liegenschaften, Vermessung und Kataster der Stadt Köln schließt eine Seitentür auf, führt hinein: "Ja, das ist selbsterklärend, hier war die Küche…"
Die Hallen stehen leer, einzig die Wandbemalung zeigt, dass in dem früheren Baumarkt einmal Flüchtlinge untergebracht waren. "Herzlich Willkommen" ist an die Wand geschrieben, auf mehr als 35 Sprachen. "Essensausgabe" steht an einer anderen Ecke, "Speisesaal" ein paar Meter weiter.
Eine Halle mit Labyrinth
Das Gebäude und das Gelände drum herum sind riesig - insgesamt mehr als 5000 Quadratmeter. "Der ehemalige Aufenthalts- und Essraum und das sind die abgetrennten, quasi Wohn-Bereiche", zeigt Anne Schröder.
In die Halle wurden Wände eingezogen, es ist eine Art Labyrinth entstanden. Die Flüchtlingsunterkunft steht heute leer – könnte aber reaktiviert werden: "Er ist noch da, als Reserve, steht allerdings zurzeit auch über das städtische Liegenschaftsamt zur Vermarktung an. Den haben wir damals gekauft, aber was will ich als Stadt jetzt mit einem Baumarkt."
Josef Ludwig, Leiter des Amts für Wohnungswesen, sitzt in seinem Büro. An der Wand hängen Fotos, die Ludwig als erfolgreichen Angler zeigen, doch in den vergangenen Jahren dürfte er für sein Hobby nur wenig Zeit gehabt haben. Als im Sommer und Herbst 2015 tausende Flüchtlinge nach Köln kamen, waren er und sein Amt gefordert.
Erinnerung an eine anstrengende Zeit
Köln ist die bevölkerungsreichste Stadt im bevölkerungsreichsten Bundesland – und zog viele Menschen an: "Köln ist weltoffen, Köln heißt viele gerne willkommen und von daher sind wir sicherlich auch Anziehungspunkt für Leute, die ein neues Leben suchen. Es hat Vorteile, es hat Herausforderungen."
Der Baumarkt als Flüchtlingsunterkunft wurde zu einer Art Symbol für diese Zeit, zu einem Ort, für den sich damals viele interessierten. Vertreter aus anderen Kommunen seien gekommen und hätten sich das angeschaut, erzählt Ludwig.
In dem ehemaligen Baumarkt im Südosten von Köln waren Flüchtlinge untergebracht.
Unterkunft ohne Tageslicht (Moritz Küpper)
Das sei eine anstrengende Zeit gewesen – und doch er blickt auch mit Stolz zurück: "Ach, wir haben so vieles Kreatives, manchmal Unsinniges gemacht. Ja, ja. Wir waren in einer, das hört die Kanzlerin nicht gerne, in einer Krisen-Situation, auch hier in Köln. Wir haben Sachen gemacht, die man heute nicht mehr machen könnte, nicht mehr machen wollte, nicht mehr machen dürfte, aber sie haben dazu beigetragen, keinen obdachlos werden zu lassen und das war gut."
Zu den unsinnigen Sachen, die sie damals gemacht haben, zählt Ludwig etwa die Unterbringung der Flüchtlinge in Turnhallen oder in Hotels. Heute leben schätzungsweise fast 9.000 Flüchtlinge in städtischen Unterkünften in Köln. 2016 waren es mehr als 13.000 Flüchtlinge. Ein enormer Anstieg im Vergleich zu nicht mal 2.000 Flüchtlingen in den Jahren vor der sogenannten Flüchtlingskrise.
Angespannter Wohnungsmarkt
Es war ein Ausnahme-Zustand, sagt Ludwig: "In der Hochphase standen wir in vor der Herausforderung, wöchentlich zwischen 400 und 500 Personen zusätzlich unterbringen zu müssen. Auf diese Herausforderung waren weder wir noch andere große Städte in der Republik vorbereitet und wir waren sehr schnell mit unseren Kapazitäten am Ende und mussten dann so unsinnige Dinge machen wie die Belegung von Turnhallen, wir sind in große Einrichtungen reingegangen."
Aber nun hat es Ludwigs Amt geschafft, dass in Köln niemand mehr in Turnhallen oder Leichtbauhallen wohnen muss. Fast im Wochentakt werden neue, feste Unterkünfte eingeweiht. Nur noch wenige Flüchtlinge leben in Notunterkünften oder provisorischen Herbergen.
Nun, so Ludwig, gehe es an den nächsten Schritt: "Der Geflüchtete, der hier bleiben kann, wird über kurz oder lang auf dem angespannten Kölner Wohnungsmarkt nach einer Wohnung suchen und sie hoffentlich auch finden und dann in der Stadtgesellschaft ohne dann unsere Hilfe leben können."
Doch: Das ist oft noch ein weiter, beschwerlicher Weg. Denn: Nur 426 Menschen, so eine aktuelle Meldung aus der Kölner Sozialverwaltung, seien im vergangen Jahr aus Flüchtlingsunterkünften herausgeholt und in privaten Wohnungen untergebracht worden.
Gerade in Köln, so Ludwig, sei es schwierig, "weil der Wohnungsmarkt so ist, wie er ist, er ist angespannt, wir haben besonders im preiswerten Segment eine hohe Nachfrage und geringes Angebot, der Sozialwohnungsbestand geht zurück, es wird zu wenig im preiswerten Segment gebaut und wir haben eine Vielzahl von Kölnerinnen und Kölnern, die auch in dem Segment suchen und da kommen die Geflüchteten als eine Personengruppe, die sich um ein knappes Gut bewirbt hinzu."
Vorbereitet sein auf Flüchtlinge
Mit 19.000 Euro pro Jahr und Person, liegen die Kosten für die Unterbringung laut Ludwig auch deswegen über dem Landesdurchschnitt. Private Unterkünfte sind preiswerter, aber eben schwer zu finden.
Rückblickend hat Ludwig seine Lehren gezogen – auch wenn seine erste Lektion banal klingen mag: Sein Amt, die Kölner Politik, aber auch die Stadtgesellschaft, müssten besser vorbereitet sein, wenn viele Flüchtlinge kommen. "Mittlerweile betreiben wir – in Absprache mit der Politik – eine Reservehaltung", so Ludwig. "Wir halten 1500 Plätze vor, in Reserve, die kurzfristig belegbar sind. Und das ist schon eine andere Situation, als wir sie vor ein paar Jahren, 2014, hatten. Mit diesen 1500 Plätzen sind wir irgendwann, wenn der Zustrom wieder so groß werden würde, wie damals, auch am Ende, aber es gibt uns doch ein paar Wochen Zeit, um uns besser aufzustellen."
Zweiter Punkt: An dieser Reserve auch langfristig festhalten. "Also, ich weiß vom meinem Vorvorgänger, der vor zehn oder 15 Jahren schon, dass der diese Reserve eingefordert hat. Und in der Verwaltung, aber auch in der Politik, da auf taube Ohren gestoßen ist. Ich hab‘s jetzt ein bisschen einfacher, weil die Ereignisse 2014, 2015 noch sehr frisch sind. Ich mag nicht verhehlen, dass, wenn diese Erinnerung verblasst, Verwaltung und Politik vielleicht auch auf andere Gedanken kommen kann, aber ich glaube, mit dieser Unordnung, die wir in der Welt zurzeit haben, das Gefühl für so eine Vorratsreservehaltung noch eine ganze Weile andauern wird."
Hauptsache, jeder hat ein Dach über dem Kopf
Lektion Nummer drei: mehr Ressourcen – auch in seinem Amt. Die Zahl der Beschäftigten hat sich – von einst rund 200 vor der Hochphase – nunmehr auf mehr als 400 verdoppelt. Schlussendlich zeigt sich Ludwig selbstkritisch, er weiß, dass auch Fehler gemacht wurden:
"Auf einer Friedhofserweiterungsfläche, wo noch nie jemand beerdigt war, allerdings innerhalb der Friedhofsmauern, angefangen zu bauen. Das war absoluter Unsinn und wir haben es schnell eingestellt. Das hätten wir besser nicht getan. Wir sind auch kostenintensive Maßnahmen eingegangen, wie die ganzen Hotel-Unterbringungen, die sind schweineteuer. Wir haben manche andere Sachen, wie auch die Leichtbauhallen gemacht, um Masse zu machen und wenn man sich dann immer an jede Vergaberegel gehalten hätte, wäre es nie so weit gekommen. Da ist auch ein Teil Geld sicherlich verbrannt worden, aber wir haben keinen obdachlos werden lassen und da sind wir alle stolz drauf."