Philosophie

Die entgrenzte Kunst

Das Wandbild #1084 des Künstlers Sol LeWitt.
Das Wandbild #1084 des Künstlers Sol LeWitt © picture alliance / dpa / Erik Van 't Woud
Von Ingo Arend · 17.04.2014
Juliane Rebentisch erklärt die Gegenwartskunst nicht über zentrale Werke, sondern über eine Geschichte der Theorien. Als Handreichung für Studienanfänger ist dieses hochkomplexe Buch damit nur bedingt geeignet.
Dem Wahren, Schoenen, Guten. Der berühmte semantische Dreiklang, der in Bronzebuchstaben über dem Portal der Alten Oper in Frankfurt am Main prangt, ist zur festen Metapher für die Künste geworden. Doch wenn es eine Erkenntnis aus Juliane Rebentischs "Theorien der Gegenwartskunst" gibt, dann die, dass Kunst und Wahrheit dort eben nicht mehr als Synonyme verstanden werden.
Schuld daran sind für die 1970 geborene Professorin an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach die Langzeitwirkungen zweier Theoretiker: Umberto Eco und Rüdiger Bubner. Vertrat der eine mit seinem 1962 (deutsch: 1973) erschienenen Band "Das offene Kunstwerk" die Idee vom bedeutungsoffenen, unvollendeten Kunstwerk, propagierte der Heidelberger Philosoph in seinen Schriften zur "Ästhetischen Erfahrung" seit dem Ende der 80er-Jahre die Theorie, dass sich das ästhetische Objekt nie ohne seinen Betrachter konstituiert.
Die Bedeutung von Kunst stellt sich immer neu her
Seitdem steht die Kunst für Rebentisch im Zeichen von Entgrenzung und Erfahrung. Mag man auch noch so sehr an Martin Heideggers Diktum von der Kunst als "Sich-ins-Werk-Setzen der Wahrheit" hängen. In dem Feld hybrider, entgrenzter Kunst, deren Bedeutung sich in einem nie abschließbaren Diskurs bei jedem Akt der Rezeption immer neu herstellt - so eine von Rebentischs Grundannahmen - kann es keine solche Wahrheit mehr geben.
Rebentisch erklärt die Gegenwartskunst nicht über zentrale Werke oder chronologisch, sondern über eine Geschichte der Theorien, die Künstler, Akademiker und Kritiker über sie entwickelt haben. Sie lässt die wichtigsten von ihnen anhand von Oberbegriffen wie "Partizipation" oder "Intermedialität" Revue passieren. Oder anhand von Gattungen: Etwa wenn sie das Readymade von Arthur C. Dantos Aufsatz "Die Verklärung des Gewöhnlichen" von 1981 her erklärt. Oder wenn sie die Land Art durch die These von der kulturellen Vermitteltheit der Natur erklärt, wie sie der Künstler Robert Smithson formulierte.
Juliane Rebentisch bringt Widersprüche auf den Punkt
Die Philosophin referiert solche Theorien nicht nur. Sie bringt auch manche Widersprüche auf den Punkt. Etwa wenn sie dem Konzeptkünstler Joseph Kosuth entgegenhält, dass die Ersetzung der Kunst durch den Begriff, wie man es auf seinen berühmten schwarzen Tafeln sehen kann, ironischerweise genau das sinnliche Werk schafft, das er eigentlich eliminieren wollte. Rebentisch bezieht auch selbst Position. Adornos fragwürdig gewordenem Begriff von der Autonomie der Kunst kann sie wieder etwas abgewinnen, so wie inzwischen selbst der Neoliberalismus "gesellschaftliche Wirksamkeit" von der Kunst fordert.
"Zur Einführung", den Untertitel von Rebentischs Buch darf man nicht als Handreichung für Studienanfänger deuten. Hier schreibt eine Autorin auf hohem, sprachlich mitunter hochkomplexem Niveau. Auch die "Bausteine für den normativen Begriff von Gegenwartskunst", die sie zusammentragen will, stehen doch etwas unverbunden.
Wenn Rebentisch von Kunst als einer "Welt interpretierter Dinge" spricht, positioniert sie sich bei Bubners Rezeptionsästhetik. Der Rekurs auf Adornos Autonomiebegriff vitalisiert dann wieder die Aura des singulären Kunstwerks. Dennoch liefert der schmale Band eine Fülle erhellender Einsichten jenseits bloßer Geschmacksurteile. Einsichten, die helfen ein komplexes Phänomen einzuordnen, dem selbst Kunstfreunde ratlos gegenüber stehen.

Juliane Rebentisch: Theorien der Gegenwartskunst zur Einführung
Junius-Verlag, Berlin 2013
256 Seiten, 15, 90 Euro

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